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Impulse gesetzt

Ende der Gemeinschaft der Gläubigen? Kommt zusammen!

 

(Wen) Ich hatte schon einmal überlegt, ob wir auf der Titelseite der Impulse mal eine Traueranzeige abbilden sollen, etwas so: „Unsere geliebte Kirche ist nach schwerem Kampf im Alter von 2000 Jahren in Westeuropa gestorben. In tiefer Trauer nehmen wir Abschied im engsten Kreise. Von Beileidsbekundungen am Grabe bitten wir abzusehen.“ Auf viele hätte aber diese Provokation zu negativ gewirkt und wenn man den Tod der Kirche herbeiredet, dann mag er um so schneller eintreten. Sicher macht das Klagen und Gejammer die Kirche auch nicht attraktiver. Aber in diesem Artikel müssen mal ein paar Dinge beim „Namen“ genannt werden.

 

Der Theologe heißt eigentlich Theologe, weil er von „Gott“ (griechisch „theos“) redet. Es ist aber an der Zeit, vom Teufel zu reden. Etwas, was die Kirche seit dem Zeitalter der Aufklärung zwar kaum noch tut. Aber wer von Gott redet, sollte hin und wieder auch die Konkurrenz im Auge behalten. Ich denke nicht, dass es den Teufel im Sinne einer Person gibt, aber doch im Sinne einer lebenszerstörerischen Dynamik, die kräftig am Werke ist. Wir haben gedacht, der Teufel wäre tot – das Thema wäre erledigt. Er hatte zwar eine kleine Auferstehung erlebt zu der Zeit als in Deutschland etwa sechs Millionen Juden und weitere andere Menschen ermordet wurden. Aber dann glaubte man, ihn endgültig begraben zu haben, nach dem Motto: „Teufel“ – das gibt es nicht in einer aufgeklärten und hochtechnisierten Welt. Doch gerade da gibt es ihn. Er kommt nur in anderen Gewändern daher. Es ist hier daran zu erinnern, was in der Bibel, wo uns der Teufel immerhin einige Male begegnet, mit Teufel gemeint war – nicht wirklich eine Person. Im griechischen Urtext steht an der Stelle, wo Luther oder andere auch schon lange vor ihm mit Teufel übersetzt haben, immer „Diabolos“. Das heißt im Deutschen ganz neutral übersetzt zunächst einmal nichts anderes als „Zerwürfnis“ oder auch der „Zerwerfende“ oder im übertragenen Sinne „Chaosstiftende“, um deutlich zu machen, dass das Böse nicht schicksalhaft über uns kommt, sondern menschengemacht ist.

 

Und genau das erleben wir in unserer Gesellschaft und Kirche heute – ungebändigte Kräfte, die sich zerstörerisch entfalten und die zerwerfen. Sie zerstören Gemeinschaftsformen.  Sie spalten sie auf. Das verhindert, dass wir „zusammen bleiben“ oder überhaupt „zusammen kommen“.

Konkret: Das Zusammenleben mehrerer Generationen wird heute verunmöglicht – Arbeitsplatzbindungen sowie veränderte Arbeitszeitgestaltungen und Öffnungszeiten erschweren oder verhindern es, gerade oder selbst am Wochenende. Das ist ein Prozess, der seit Ende der achtziger Jahre an Intensität gewonnen hat. „Das Ende gemeinsamer Zeit?“ lautete der Titel bereits damals in Auftrag gegebenen Forschungsarbeit des damaligen sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD  (erschienen 1988). Ökonomisch notwendig wurde auch die Unterbringung von Kindern unter drei Jahren in der KITA,  die offene Ganztagsschule und die Verkürzung auf 12 Schuljahre.

 

Gerade die beiden zuletzt genannten Entwicklungen zeigen heute ihre konkreten Auswirkungen. Kirche definiert sich nach Luther als die „Versammlung der Gemeinschaft der Gläubigen“. Was aber, wenn das Versammeln verunmöglicht wird? Dann kann es logischerweise auch keine Kirche mehr geben. Kirche ist heute deshalb ebenso Angriffen ausgesetzt wie anderes gemeinschaftliches Leben. Es ist unmöglich geworden, sich mit Jugendlichen zu treffen. Sie haben bzw. finden keine gemeinsame Zeit, um sich gemeinsam als Jugendliche in einer Gruppe in unserer Gemeinde zu treffen und einer Aktivität nachzugehen, außer manchmal Freitagsabends um 18 Uhr. Die schulische Rundumversorgung konkurriert so schon mit anderen Aktivitäten und Familie. Genauso schwierig ist es aber geworden, Menschen dafür zu gewinnen, dass sie sich regelmäßig bzw. kontinuierlich ehrenamtlich in der Kirchengemeinde engagieren – keine Zeit. So ist auch kaum noch jemand bereit, das Presbyteramt (Gemeindeleitung) zu übernehmen. Wir suchen händeringend nach Menschen, die bereit sind, etwas Zeit für die Gemeinschaft zu schenken. Und dann schließlich der Gottesdienst am Sonntag. So schon von Terminen geplagt, wollen viele an dem Tag zur Ruhe kommen. Aber das wollen sie gerne mit einem extra Familienprogramm. Ihnen entgeht damit die Erfahrung, wie schön und verbindend Gottesdienst sein kann, ja, zum auftanken am Wochenende dazu gehören kann. Nüchtern muss man feststellen: Überall schlägt uns der kalte Wind des „Diabolos“ entgegen – des Zerwürfnisses, der Auflösung von Gemeinschaft. Menschen bleiben nicht nur den Gottesdiensten fern und Menschen treten massenweise aus der Kirche aus und in keine neue bessere ein. Wie Adam und Eva tauchen sie einfach unter, entziehen sich ihrer Verantwortung für die Gemeinschaft und die Gesellschaft. Dennoch müssen wir uns gerüstet mit innerer Widerstandskraft diesem Trend entgegenstellen, also Gemeinschaftsformen und Möglichkeiten des Zusammenkommens gleichwohl entwickeln und einrichten.

 

Sich sammeln geht nicht ohne sich zu versammeln. Das griechische Wort für Kirche „Ekklesia“ war ursprünglich die Bezeichnung für eine Volksversammlung. Und das griechische Wort des jüdischen Gotteshauses (Synagoge) bedeutet „Versammlung“. Im Zeitalter des selbstbestimmten Individuums wittert jeder in einer Versammlung bzw. dem Zusammenkommen als Gemeinschaft der Glaubenden gleich eine Fremdbestimmung oder Unterworfensein unter die Gemeinschaft. Profitieren davon und Geborgenheit will eigentlich jeder, aber an dem „Wir“ arbeiten und es entwickeln, hegen und pflegen will oder kann eigentlich niemand. Damit geben wir dem „Diabolos“ die Schlüssel über unser Leben in die Hand. Wir delegieren es an ihn, an die vorgeblichen, sogenannten ökonomischen Zwänge usw.

Woher letztlich das genannte Gemeinschaftszerstörende eigentlich herrührt, darüber mögen Sie selbst nachdenken!

 

Auch die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland und die Landessynoden der letzten zehn Jahre scheinen nicht begriffen zu haben, in welchem Auflösungsprozess wir uns eigentlich befinden. Sie stärken durch Reformen den Zentralismus statt die Menschen der Kirche vor Ort und deren Versammlungsmöglichkeiten zu unterstützen – ein Kniefall vor der Bürokratie und einer rein ökonomischen Betrachtungsweise von Kirche. Der Teufel hat die Kirche schon längst wirtschaftsfundamentalistisch unterwandert und kommt im Kirchengewand daher.

 

Der Kirche geht es vornehmlich um ihr eigenes Überleben und sie versklavt sich in ihrem Handeln dabei an ökonomische Gesetze, in der Hoffnung, dadurch die Kirche retten zu können. Jesus hat hingegen Menschen um ihrer selbst willen bei sich versammelt und gerettet. Das ist der Unterschied. Es war ein „Come together“ (ein Zusammenkommen), wie es später eine berühmte Zigarettenwerbung für sich in Anspruch nahm, aber von jeher schon in den sozialen Netzwerken der Alten Kirche gelebt wurde. Ich will diese Reflexionen mit einem Pauluszitat und einem Appell an Sie beschließen, liebe Gemeindemitglieder. Das Pauluszitat findet sich im Brief an die Galater, Kap. 5, Vers 1: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“  Freiheit werden wir nur haben bzw. bewahren, wenn wir uns dem Angriff auf die Gemeinschaft verschließen und seine destruktive, diabolische Kraft abwehren. Und das ist mein Appell an Sie: Lassen Sie uns zusammen kommen – um der Gesellschaft willen und damit die Botschaft von diesem Jesus Christus eine Zukunft hat! Helfen Sie uns, Kirche zu sein, indem Sie mitmachen oder einfach nur kommen und dabei sind. Bringen Sie sich ein mit Ihren Talenten oder seien Sie einfach nur dabei! Kirche, das sind Sie! Die Kirche von heute und morgen hat Ihr Gesicht oder aber gar keins mehr! Auch in dem aktuellen Lied „Zusammen“ der deutschen Alt-Rapper-Gruppe „Die Fantastischen Vier“ wird diese Sehnsucht nach sinnerfüllter Gemeinschaft deutlich: „Wir sind zusammen groß. Wir sind zusammen alt. Komm lass ‘n bisschen noch zusammen bleiben…Denn nur zusammen, ist man nicht allein. Komm lass uns alles miteinander teilen. Denn nur zusammen, ist man nicht allein. Komm lass ‘n bisschen noch zusammen bleiben.“ Freiheit und Gemeinschaft ist kein Widerspruch. Eine Kirchengemeinde eröffnet Wege zur Freiheit in erlebter Gemeinschaft.