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Predigt 17.09.2023 Zuerst war der Mensch, dann die Frau, dann der Mann als Gegenüber

(Predigt gehalten von Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel in der Versöhnungskirche in Köln Rath-Heumar)

Die Gnade und der Friede und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

der für den heutigen Sonntag vorgesehene Predigttext ist einer der beiden bekannten Schöpfungserzählungen entnommen, die zu Beginn der Bibel stehen. Jawohl, richtig gehört. Es gibt zwei Schöpfungserzählungen, die da am Anfang stehen, was schon mal deutlich macht: in dne Schöpfungserzählungen geht es nicht um Augenzeugenberichte. Sie können es auch kaum sein, gab es doch am Anfang ja noch gar keien Menschen. Niemand war bei der Schöpfung der Welt und der Menschen dabei, der sagen könnte, wie alles geworden ist.

Beide Erzählungen verstehen sich also vielmehr als Glaubenszeugnisse. Sie wollen uns jeweils etwas ans Herz legen, was Gott und unseren Glauben, unser Vertrauen auf ihn betrifft. Darum haben sie ihre eigene Wahrheit. Keine historische Wahrheit, aber eine tiefe Wahrheit, die in ihnen übermittelt ist. Und diese tiefen Wahrheiten gilt es bei der Lektüre der jeweiligen Erzählung offenzulegen und zu entdecken.

Wenn wir jetzt bei „Wer wird Millionär“ wären und ich fragen würde: Wer war zuerst da, der Mann oder die Frau? Und es heißt dann Antwort A: Der Mann. Dann würden vermutlich alle von Euch sagen: „Antwort A ist richtig. Das steht doch so in der Bibel.“ Und wenn ich fragen würde: Aus wem ist die Frau geschaffen worden: Antwort A.: Aus dem Mann. Dann würden vermutlich alle sagen: „Ja, klar, Antwort A . Das steht doch so in der Bibel am Anfang. Und wenn ich fragen würde: „Aus wessen Rippe wurde die Frau geschaffen?“ Antwort A: aus der Rippe des Mannes. Dann würden vermutlich alle sagen: „ A ist korrekt. Die Frau ist tatsächlich aus der Rippe des Mannes entnommen. Das hat man uns doch immer erzählt, wenn es um die Schöpfung der Frau in der biblischen Erzählung ging.

Ich darf Euch jetzt schon mal verraten. A. ist in keinem der Fälle richtig. Die Antworten sind alle falsch. Richtig, uns wurde das so über Jahrhunderte erzählt. Aber es steht so nicht in der Bibel. Was genau in der Bibel steht, das bitte ich Euch jetzt einmal, aufmerksam zu hören. Ich lese den Textabschnitt vor, der für die Predigt des heutigen Sonntags vorgesehen ist. Er befindet sich im Buch Genesis oder auch 1. Buch Mose genannt in Kap. 2, Verse 18 bis 25 und erzählt nur eine von zwei Versionen der Erschaffung des Menschen. Da heißt es:

„Und Gott der HERR sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe schaffen, ein Gegenüber, das ihm entspricht. Und Gott der HERR machte aus Erde alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und brachte sie zum Menschen, um zu beobachten, wie er sie nennen würde und ganz so wie der Mensch als lebendiges Wesen sie nennen würde, so sollten sie heißen. Da gab der Mensch allem Vieh, den Vögeln des Himmels und Tieren des Feldes Namen. Aber für das Menschenwesen fand sich keine Hilfe, die ihm als Gegenüber entsprochen hätte. Da ließ Gott der HERR einen Tiefschlaf auf das Menschenwesen fallen, sodass es einschlief. Und er nahm eine von seinen Seiten und schloss die Stelle mit Fleisch. Und Gott, der HERR, formte die Seite, die er von dem Menschen genommen hatte, zu einer Frau und brachte sie zu Adam, dem der übrig geblieben war vom Menschenwesen. Da sprach dieser Teil des Menschenwesens: Dieses mal ist es endlich Gebein wie mein Gebein und Fleisch wie mein Fleisch; man wird sie Männin nennen, weil sie vom Selben genommen ist, wie der Mann.“ Amen.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

sicher ist Euch aufgefallen, dass die Rippe in dieser Übersetzung nicht vorkommt und ebenso, dass die Frau aus dem Menschen oder Menschenwesen, geschaffen worden ist, das zuerst da war und nicht aus dem Mann. Da werden jetzt manche vielleicht versuchen zu entgegnen. Aber der erste Teil des Menschen oder das erste Menschenwesen war doch der Mann. Nein, das steht so nicht in der Bibel. Und ich rede gar nicht nur vom Hebräischen original. Selbst in der Übersetzung von Martin Luther ist die ganze Zeit nur die Rede vom Menschen vor der Entstehung der Frau und dann nach der Enstehung der Frau wird erst der Mann erwähnt. Das Wesentliche ist, dass es gmäß der Erzählung erst den Menschen oder ein Menschenwesen gab. Von diesem Menschenwesen wurde dann in der Vorstellung der Erzählung ein Teil bzw. eine Seite des Menschen genommen, daraus eine Frau geschaffen und der Mann wird erst als das Übriggebliebene des Menschenwesens erwähnt. Etwas salopp könnte man auch fast sagen. Der Mann ist soetwas wie ein Abfall- oder Nebenprodukt der Schöpfung der Frau. Eine amüsante Vorstellung, weil sie ganz dem Wortlaut des biblischen Textes folgt, der unserer traditionell überlieferten Auslegung dieses Textes diametral entgegen steht, wo die Frau immer als eine Art Nebenprodukt des Mannes gesehen worden ist, weil sie angeblich der Rippe des Mannes entnommen worden sei und nicht des Menschen. In einer christlichen Gesellschaft, in der über Jahrhunderte die Welt vom Mann dominiert worden ist, war wohl auch kaum eine andere Auslegung dieses Bibeltextes zu erwarten. Traurig ist es aber schon, weil das Beispiel zeigt, wie gern wir Dinge in Bibeltexte hineinlesen, die da gar nicht drin stehen. Da steht sowohl im hebräischen Original als auch im Deutschen „Mensch“ oder „Menschenwesen“ und nicht etwa „Mann“.

Kommen wir kurz auf die Rippe zu sprechen: Freilich kann das Wort, das im Hebräischen steht, sowohl mit Rippe als auch mit „Seite“ übersetzt werden. Beides ist möglich. Es mag also legitim sein, an dieser Stelle im Bibeltext mi „Rippe“ zu übersetzen, wie es Luther und viele andere Übersetzer getan haben.

Aber – und nun stoßen wir zur Tiefe und zur Wahrheit dieses Textes vor, auch wenn der nicht historisch wahr sein mag – das im Text Gemeinte ist es nicht. Die tiefe Wahrheit dieser Erzählung der Erschaffung von Frau und Mann ist ja nicht, zu beschreiben, wie sich Gott da als ein experimentierender Frankenstein-Arzt willkürlich der Körperteile eines Halbtoten bedient und diese förmlich ausschlachtet für ein Menschenmonsterexperiment, sondern die Botschaft des Textes, die Wahrheit des Textes ist, wie Gott das Leben des Menschen erst zu seinem eigentlichen Ziel führt, den Menschen also erst zu seiner eigentlichen Bestimmung führt, indem er ein menschliches Gegenüber schafft.

Darauf läuft die ganze Erzählung hinaus, dass hier jemand geschaffen wird, die oder der dem Anderen gegenübersteht. Erst durch die Schaffung des Gegenübers kommt Gottes Schöpfung zu seinem Ziel. Der Mensch braucht ein Gegenüber, das ihm zur Seite steht und deshalb ist es sinnvoll auch zu übersetzen, dass vom Menschen nicht eine Rippe entnommen worden ist, sondern seine Seite zur Schaffung der Frau bzw. des Gegnübers. Da wird kein Doktorspiel Gottes beschrieben, sondern das eigentliche sinnerfüllte Werden menschlichen Zusammenlebens.

Nach der Vorstellung dieser Erzählung ist die Schöpfung Gottes also auch kein einmaliges Geschehen, ein anmaliger Akt Gottes, sondern ein Prozess, der fortdauert und bei dem sich Gott laufend korrigiert, wenn man so will. Denn zunächst hat er den Menschen ja nur als alleiniges Wesen geschaffen bis er gemerkt hat, dass dieser unglücklich ist ohne ein Gegenüber. Es geht also darum, dass dem Menschen jemand zur Seite steht, im wahrsten Sinne des Wortes. Diese schöne Erfahrung ist also gemäß dieser Geschichte im schöpferischen Tun Gottes zugrunde gelegt. Und das kenne ich durchaus auch aus dem Munde von Hochzeitspaaren, die ich traue, egal ob heterosexuell oder homosexuell. Die sagen nicht selten: „Wir haben das Gefühl, dass uns Gott irgendwie zusammengeführt hat. Wir haben uns gesucht und wurden gefunden.“

Das, was wir Liebe nennen oder liebende Beziehung, ist hier also in der Schöpfung grundgelegt. Und es ist zugleich die eigentliche Bestimmung des Menschen. Darauf will diese Erzählung hinaus.

Im biblischen Text spiegeln sich unsere Erfahrungen des gefundenen Glücks in partnerschaftlicher Liebe wie auch überhaupt des menschlichen Zusammenlebens.

Der Sinn des Lebens ist ein aufeinander bezogenes Leben und nicht ein Leben, indem die anderen Menschen oder Lebewesen lediglich zur Bedürfnisbefriedigung meiner selbst dienen.

Zum Ich gehört ein Du. Das Leben ist kein Monolog, sondern ein Dialog.

Auf ein paar wenige Dinge möchte ich nun noch unsere Aufmerksamkeit lenken. Der Text beginnt mit einer Beobachtung Gottes: „Und Gott der HERR sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe schaffen, ein Gegenüber, das ihm entspricht.“

Von Hilfe ist hier die Rede. Der Mensch soll eine Hilf an seiner Seite erhalten. Das ist aber freilich nicht einfach eine Putzhilfe oder Küchenhilfe, auf die die Rolle einer Frau zumindest in früheren Zeit ja gerne reduziert wurde. Und noch mal: Hier wird ja auch nicht dem Mann eine Hilfe in Aussicht gestellt, sondern dem Menschenwesen allgemein.

Im Nachsatz ist diese Hilfe entsprechend erläutert: „ein Gegenüber, das ihm entspricht“. Ein anderes schönes deutsches Wort dafür wäre „ein Gefährte oder eine Gefährtin“. Denn es ist ja offensichtlich jemand, der mit mir durch alle Untiefen und Gefahren des Lebens geht. Jemand, mit dem ich mich ergänzen und so das Leben gemeinsam bewältigen kann. Und da muss ich an so viele Menschen der Älterne Generation denken, die 50, 60 oder mehr Jahre gemeinsamen Weg zurückgelegt haben und wissen, was das heißt. Sie haben nicht nur meine große Bewunderung. Sie sind für mich auch lebende Beweise, dass das Leben mit einem Gegenüber auch über eine so lange Zeit erfüllend sein und gelingen kann.

Was mit Hilfe oder Gegenüber gemeint ist, das Gott dem Menschen alllgemein und damit letztlich für einen jeden Menschen schaffen will, kommt wunderbar in einem Text zum Ausdruck, den wir im Buch Prediger oder auch Kohelet im Alten Testament finden. Die Zeilen dieses Textes könnten soetwas wie die Leitgedanken Gottes bei der Schaffung des menschlichen Gegenübers sein. In Kapitel 4, Verse 9-12 heißt es dort:

„Zwei sind besser dran als einer allein;

sie haben doch einen guten Lohn

für ihre Mühe.

Denn fallen sie,

so hilft der eine dem andern auf.

Doch wehe dem Einzelnen,

wenn er fällt

und keiner da ist,

um ihm aufzuhelfen!

Und liegen zwei beieinander,

so haben sie warm;

wie aber könnte einer allein erwarmen?

Und mag einer auch den Einzelnen überwältigen,

so halten ihm doch die Zweie stand;

und ist es gar ein dreifaches Band,

so reißt es nicht so schnell entzwei.“ Amen

Das Glück, einen Gefährten oder eine Gefährtin zu haben, ein menschliches Gegenüber macht sich dabei nicht daran fest, ob es ein Mann oder eien Frau ist, homosexuell oder heterosexuell, sondern daran, ob die beiden eine liebevolle Beziehung, in der sie hilfreiches gegenüber füreinander sind, führen oder nicht.

Interessant ist, wie im Text beschrieben wird, dass Gott die Einsamkeit oder das Alleinsein des Menschen zunächst aufheben wollte, indem er Tiere schuf. Und siche rhat sich der ein oder Andere gefragt, was soll diese ganze Passage mit der Namensgebung der Tiere? Ich lese sie noch mal vor: „Gott der HERR machte aus Erde alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und brachte sie zum Menschen, um zu beobachten, wie er sie nennen würde und ganz so wie der Mensch als lebendiges Wesen sie nennen würde, so sollten sie heißen. Da gab der Mensch allem Vieh, den Vögeln des Himmels und Tieren des Feldes Namen. Aber für das Menschenwesen fand sich keine Hilfe, die ihm als Gegenüber entsprochen hätte.“

In der altorientalischen Wissenschaft ist oft die Aussage zu finden, dass die Namensgebung in der damaligen Gesellschaft ein Ausdruck von Herrschaft gewesen sei. Derjenige, der die Namen vergibt sei also der Herrscher über die jeweils Anderen, insbesondere die Tiere. Das würde also bedeuten, dass Gott wollte, dass der Mensch über die Tiere herrscht. Schaut man genauer in diesen Bibeltext, so findet sich für diese These aber kein Anlass. Das Ziel der Schaffung und Namesgebung der Tiere sollte ja nicht ihre Beherrschung sein, sondern ihre Geselligkeit mit oder für den Menschen. Mit anderen Worten: diese Lebenswesen Tier und Mensch sollten sich gegenseitig gut tun, in einer hilfreichen Beziehung zueinander stehen und füreinander Gegnüber sein, sofern möglich. Das Experiment Gottes bzw. diese Maßnahme zur Schaffung eines Gegenübers reicht zwar nicht aus, wie Gott dann feststellt. Der Mensch ist noch immer allein. Aber dennoch mahct sich der Mensch mit den Tieren vertraut und gibt ihnen Namen und damit wird deutlich, welche Rolle die Namensgebung hier spielt. Sie drückt aus, dass der Mensch in Beziehung zu den Tieren tritt. Namensgebung ist ein Zeichen von In-Beziehung-Treten. Unsere neu geborenen Kinder nennen wir mit einem Namen, die Kölner verpassen selbst ihren Gebäuden lustige Namen wie wie etwa Hänkelmännchen und manchmal vergeben wir auch Kosenamen, die unsere besondere Zuneigung ausdrücken sollen. Und so kann die Bedeutung dieser biblischen Passage auf die heutige Zeit bezogen durchaus wie folgt auf den Punkt gebracht werden. Wir haben uns von der Tierwelt entfremdet. Sie ist für uns lediglich Nahrung. Eine namenlose anonyme Fleischmasse sozusagen. Und entsprechend gestaltet sich die heutige industrielle Tierhaltung.

Jedes Tier hat aber bei Gott sehr wohl einen Namen und seine Würde wie jedes Lebewesen. So lang irgendein namenloses Stück Fleisch auf dem Tisch steht, isst es jeder. Wenn das Fleisch aber zufällig erkannt wird, weil es die Form eines Karnickels hat oder es sogar das Karnickel aus dem eigenen Stall ist, das den Namen Blacky trug, tun sich vor allem Kinder schwerer. Denn sie stehen in einer Beziehung zu dem Karnickel. Auf einem Bauernhof, wo es glückliche Tiere gibt, muss schließlich beides kein Widerspruch sein. Aber genau das ist der Punkt. Wieviel Respekt bringen wir unseren Mitgeschöpfen entgegen, dass sie ein würdiges und gutes Leben selbst da, wo sie zu Nutztieren werden oder der Nahrung dienen?

 

Gott hat diese Welt mit allen Lebenwesen schön geschaffen und uns anvertraut. Wir haben es in der Hand, in ihr nicht eine Sache zu sehen, die gedankenlos ausgebeutet werden kann und darf, sondern Dinge und Geschöpfe, für die wir ein in Verantwortung stehendes Gegenüber sind. Willi Millowitsch hat Recht: Wir sind alle klein Sünderlein. Aber wir sind auch alle kleine Helferlein. Amen

 

Lied: 667, 1- 4 („Wenn das Brot, das wir teilen…“)