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Arm- und Kopfteffilin - Kapseln mit Bekenntnistext noch heute im Gebrauch bei gläubigen Juden - copyright Wikipedia

Predigt Sonntag 13.06.2021

(Predigt über 5. Mose (Deuteronomium) Kap. 6, Verse 4-14 u. 20-25, gehalten von Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel auf dem Vorplatz der Versöhnungskirche)

Die Gnade und der Friede Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

in so ziemlich jedem Gottesdienst sprechen wir ein Glaubensbekenntnis miteinander, in der Regel, das altbewährte apostolische, das den größten Teil der Christenheit in aller Welt seit vielen Jahrhunderten verbindet.

Ein Bekenntnis sagt etwas über die eigene Identität, also wer wir sind, wer wir sein wollen, wo wir herkommen, wo wir hingehen. All das gehört zur Identität.

Es gibt die schöne Ausdrucksweise „Farbe bekennen“, die allerdings vielen Jugendlichen gar nicht mehr so vertraut ist, habe ich festgestellt. Farbe bekennen bedeutet einfach, mich zu einer bestimmten Wahrheit oder Meinung zu bekennen, also dazu zu stehen, dass ich diese Wahrheit oder Meinung vertrete und nicht anderen nach dem Mund zu reden.

Es gibt das ein oder andere Bekenntnis, das im Verlauf der Kirchengeschichte wichtig geworden ist, so eben besonders dieses eine sogenannte Apostolische Glaubensbekenntnis, das auch heute noch unsere Konfirmanden/innen mit uns auswendig lernen, so dass sie es im Gottesdienst oder auch woanders sprechen können und sich ind er Tat auch dazu bekennen können.

Schon zu biblischen Zeiten gab es solche Bekenntnisse und es gibt ein großes Bekenntnis, ja, das zentrale Bekenntnis des Volkes Israel, das wir im 5. Buche Mose, auch Deuteronomium genannt, Kap. 6 finden. Dieses Bekenntnis gehört auch zu unseren Bekenntnissen. Wir sind nicht Israel. Aber wir sind zu Israel hinzugekommen. Wir teilen die Geschichte Gottes mit seinem Volk. Wir gehören zu dieser Beziehungsgeschichte und so ist vielen von uns das dort zu findende, erinnernde Bekenntnis auch vertraut.

Da heißt es: „Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR ist einzigartig für uns. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du Dir zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst. Und du sollst sie als Erinnerungszeichen an deine Hand binden, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein,  und du sollst sie schreiben auf die Türpfosten deines Hauses und an die Tore. Wenn dich nun der HERR, dein Gott, in das Land bringen wird, von dem er deinen Vätern Abraham, Isaak und Jakob geschworen hat, es dir zu geben – große und schöne Städte, die du nicht gebaut hast, und Häuser voller Güter, die du nicht gefüllt hast, und ausgehauene Brunnen, die du nicht ausgehauen hast, und Weinberge und Ölbäume, die du nicht gepflanzt hast –, und wenn du nun isst und satt wirst, so hüte dich, dass du nicht den HERRN vergisst, der dich aus Ägyptenland, aus der Sklaverei, geführt hat, sondern du sollst den HERRN, deinen Gott, achten und ihm dienen und bei seinem Namen schwören. Und ihr sollt nicht andern Göttern nachfolgen, den Göttern der Völker, die um euch her sind.“ Amen

Soweit die Verse 4-14.

Das ist das große, das zentrale Bekenntnis Israels, in das wir uns mit hineingenommen und erinnert fühlen dürfen. Wir haben einen einzigartigen, unverkennbaren Gott, der das Volk in die Freiheit geführt hat, und ihnen Land und Güter anvertraut hat, um sie in seinem Sinne und unter Achtung seiner Gebote zu bewahren. Und wir sollen eben deshalb keinen anderen Göttern hinterherlaufen, weil die ihm nicht gleichen. Das ist kurz zusammengefasst das Bekenntnis.

Und das gilt übertragen auch für uns heute. Gott will unsere Freiheit und ein gemeinschaftliches und gesellschaftliches Zusammenleben in gegenseitiger Achtung und wir sollen uns keinen anderen Göttern  unterordnen, auch nicht den Göttern, die heute angebetet werden: also dem Mammon, dem Geld, der Karriere ohne Rücksicht auf Verluste, dem Gott der Rendite und welche es da alle geben mag und auch nicht der Selbstvergötterung.

Ich halte dieses Bekenntnis, was ja zugleich mit dem Gebot der Achtung Gottes verbunden ist, für hochaktuell. Und wir merken, dieser Gott, der unsere Freiheit und Mitmenschlichkeit will, ist nicht einfach austauschbar.

Wir müssen uns zu ihm bekennen. Wo wir es nicht tun, regieren andere Götter in unsere Welt und in unseren Herzen oder Menschen, die sich zu unseren Göttern machen.

Wenn in der Corona-Zeit die Mitmenschlichkeit groß geschrieben wird und bestimmet Maßnahmen ergriffen werden, ist das gut. Und überall, wo das geschieht, sollte man sie unterstützen. Wo aber ein Dschungel von Vorschriften entworfen und beibehalten wird, die nicht nachvollziehbar sind, das menschliche Miteinander nur erschweren oder nur dazu dienen unverhältnismäßig unsere Freiheit einzuschränken, müssen wir auch eben nach den Verhältnismäßigkeiten fragen dürfen und erinnern, dass wir von einem Gott der Freiheit herkommen, der unser aller Leben gelingen sehen will.

Juristen und Administrationen bestimmen zunehmend in vielen Lebensbereichen unser heutiges Leben – auch schon vor Corona. Und niemand versteht mehr ihre Sprache, ganz besonders nicht diejenigen, die abhängig und bedürftig und auf staatliche Unterstützungen angewiesen sind. Sich da bei Anträgen oder Amtsschreiben durch die Vorschriften- und Paragraphen und – Formularwelt hindurchzuarbeiten erfordert schon fast einen Doktor in Jura oder Verwaltungsdeutsch.

Eine Gesellschaft die den wirtschaftlichen Profit anbetet und ihm alles opfert, alle Lebensbereiche letztlich davon allein bestimmen lässt und zugleich alle Lebensbereiche durchbürokratisiert, ist keine freie, sondern in Wirklichkeit unfreie Gesellschaft – ein ägyptisches Sklavenhaus. Und diejenigen, die heute den Druck auf dem Arbeitsplatz in irgendwelchen Firmen erleben, wo es immer nur um schneller und noch höhere Produktionszahlen und noch billigere Produktionskosten geht, werden mir bei diesem – zugegebener Maßen etwas überzeichnetem – Vergleich beipflichten.

Wir haben einen Gott der Freiheit ist die biblische Erinnerung, ist das Bekenntnis Israels, ist unser Bekenntnis. Von diesem Gott kommen wir her und er macht unsere Identität als Juden und als Christen aus.

Gemäß seinen Geboten und nicht den Diktaten unserer Wirtschaft oder der Verwaltungserfordernisse, wie sie sich zunehmend auch in der Kirche breit machen, sollen wir unsere Welt gestalten, auch die Arbeitswelt und sämtliche übrigen Lebensbereiche. Und jetzt wird es noch mal spannend in Kapitel 6, wo wir dieses Bekenntnis finden.

Es hieß ja eben schon, dass Gottes Gebote, die in die Freiheit und zum Leben weisen, den Kindern eingeschärft werden sollen. Genau das wird nun noch einmal aufgegriffen. Die Kinder, die Söhne und Töchter, die Jugendlichen kommen nun noch mal ganz besonders ins Blickfeld. In den Versen 20 bis 25 lesen und hören wir:

„Wenn dich nun dein Kind morgen fragen wird: Was sind das für Weisungen, Gebote und Bestimmungen, die euch der HERR, unser Gott, geboten hat?, so sollst du deinem Kind sagen: Wir waren Sklaven und Sklavinnen des Pharao in Ägypten, und der HERR führte uns aus Ägypten mit starker Hand heraus; und der HERR vollbrachte große und furchtbare Zeichen und Wunder an Ägypten und am Pharao und an seinem ganzen Hause vor unsern Augen und führte uns von dort weg, um uns hierher zu bringen und uns das Land zu geben, wie er unsern Vätern durch einen Schwur zugesagt hatte.

Und der HERR hat uns geboten, uns nach all diesen Weisungen, Geboten und Bestimmungen zu richten, damit wir den HERRN, unsern Gott, achten, auf dass es uns wohlergehe allezeit und er uns am Leben erhalte, so wie es heute ist.“ Amen

Einer der wenigen biblischen Texte, in dem Kinder und Jugendliche Im Blickpunkt, ja im Mittelpunkt stehen.

Im Fragen und im Antworten, also im Dialog soll an Kinder und Jugendliche hier das Wesentliche weitergegeben werden – das, woran wir glauben, worauf wir vertrauen und was uns am Leben erhält – auf den Punkt gebracht – der Gott der Freiheit und Mitmenschlichkeit und seine Geschichte mit Israel und uns. Wir nennen das auch Überlieferung oder mit einem weniger passenden und missverständlichen Wort “Tradition”.

Es geht um Überlieferung, um Weitergabe. Durch Fragen, Antworten und Erzählen ist in der Begleitung und Erziehung von Kindern und Jugendliche elementar und dieses Fragen, Antworten und Erzählen führt sie auch heute noch zum Glauben. Dadurch finden sie einen Zugang – auch zu unserem Glauben. Es ist seltener geworden, dass in Familien über den Glauben gesprochen wird. Dass jemand überhaupt zur Kirche gehört, hat sich von einer Selbstverständlichkeit zu einer bewussten Entscheidung verändert. Viele Menschen wissen nicht mehr, was es für das eigene Leben bedeuten kann, zu glauben. Religiöse Unterweisung wird vorwiegend in den Kindergärten, Schulen und im Konfirmandenunterricht geleistet. Man hat etwas dorthin delegiert, was eigentlich auch in die Familien gehört. Spätestens, wenn Kinder Ostern mit Weihnachten verwechseln oder meinen Kirchenglocken läuten, um die Menschen aus dem Schlaf zu wecken, weiß man, dass man in einer entchristlichten Welt lebt und die Überlieferung in den Familien nicht mehr oder kaum noch stattfindet.

Wir müssen unbedingt mehr darüber nachdenken, wie wir als Kirche Familien heute dabei stärken können, mehr über die Fragen nach Gott und die Fragen des Glaubens miteinander im Gespräch zu kommen.

„Wenn dein Sohn dich morgen fragt“ – im 5. Buch Mose ist man das Gespräch zwischen Erwachsenen und Kindern über Gott und den Glauben noch gewohnt. Mindestens einmal im Jahr soll ein Kind seinen Vater am Abend vor dem Passafest fragen. Und der Vater erinnert an Gottes Gebote und erzählt die Geschichten davon, wie Menschen ihren Glauben erlebt und gelebt haben. Das soll einfach nicht vergessen werden. Dabei müssen wir Familien stärken. Und vielleicht helfen dabei auch Gesprächsabende für junge Eltern in unserer Gemeinde, die erst vor wenigen Jahren ihre Kinder haben taufen lassen. Da könnte man nicht nur Fragen klären, sondern auch Hilfsmittel an die Hand geben. Ich glaube, wir müssen so etwas in unserer Gemeinde dringend etablieren, wenn wir Familien auf ihrem Weg des Glaubens helfen und stärken wollen. Denn manche fühlen sich nicht gut vorbereitet für ein Gespräch über den Glauben. Sie befürchten, nicht die richtige Antwort parat zu haben. Ein offenes Ohr für die Fragen der Kinder und Jugendlichen ist aber schon ein guter Anfang. Und dann können Erwachsene und sie sich auch gemeinsam auf die Suche machen und entdecken, was Glaube und Bekenntnis dazu heute bedeutet.

Vom eigenen Glauben zu erzählen und an ihn zu erinnern ist gut und wichtig. Kinder und Jugendliche können so entdecken, dass es eine gute Basis für ihr eigenes Leben sein kann.

Glaubensvermittlung und Überlieferung vollzieht sich aber eben auch in der Kirche. Ja, es ist sogar der eigentlich Sinn und Zweck von Kirche, gerade die Weitergabe an die nächsten Generationen. Und da haben wir gerade auch in der Kirche eine große Baustelle.

Ja, ich und viele andere meinen, dass unsere Kirche sich da heute noch mal ganz neu aufstellen muss, gerade weil sie sich da schon lange und zunehmend auf Abwegen befindet.

Sie dient anderen Göttern. Sie sieht alles nur noch in verengter betriebswirtschaftlicher Perspektive und opfert den Göttern Mammon und Bürokratie das Leben der Gemeinschaft der Gläubigen. Oder um es auf den Punkt zu bringen: Der Kirche fehlt der Glaube und die Kraft der prophetischen Vision.

Wenn zunehmend überall Jugendleiterstellen und dergleichen gestrichen werden, Ehrenamtliche alle Arbeit tun sollen, die Umlagen und der Verwaltungsaufwand sich aber auf fast das Doppelte erhöhen, fragt sich, ob wir uns da eigentlich noch irgendwo auf biblischen Pfaden bewegen und im Einklang mit Sinn und Zweck unserer Kirche leben, die die Überlieferung an die Kinder und Jugendlichen leisten soll.

Glaubensweitergabe vollzieht sich nicht durch noch so perfektionierte Verwaltungsämter oder aufgeblähte Administrationen, sondern im echten Leben, in der konkreten Kinder- und Jugendarbeit, z. B. auf einer Kinder- oder Jugendfreizeit oder am Rande einer Konfirmandenfreizeit. Da kommt man ins Gespräch miteinander. Da stellen Kinder und Jugendliche ihre Fragen: „Herr Wenzel, warum sind Sie eigentlich Pfarrer geworden?“ „Wie passt das zusammen – das Leid in der Welt und der liebe Gott?“ „Wie habe ich mir das mit der Auferstehung vorzustellen? Ist Jesus etwa ein Zombie?“ „Warum ist das für mein Leben wichtig, was da damals mit dem Volk Israel in Ägypten passiert ist? Was habe ich damit zu tun?“ und sie vertrauen sich an: „Meine Oma hat Demenz“ und erzählen davon oder davon, dass kürzlich jemand aus ihrem Umfeld oder der engeren Familie gestorben ist. Sie erleben im Antworten und im Gespräch, dass sie auch damit im Glauben getragen sind.

Genauso wie unsere Kinder in unserer KITA von diesem guten Gott hören, von dem sie sonst nie etwas hören würden. Von diesem Gott, der dafür sorgt, dass Blinde sehen, Lahme gehen, Einsame und Ausgestoßene  wieder Gemeinschaft erleben, Taube hören und Armen die frohe Botschaft verkündet wird. Die Kindertagestätte wäre schon vor einigen Jahren geschlossen worden, wenn wir auf die anderen Götter gehört und nur ihnen gedient hätten. Wir haben die KITA aber letzten Endes erhalten. Und das ist der Überlieferung und der Kraft dieses Glaubens, dieses Vertrauens auf den Gott der Freiheit und der Mitmenschlichkeit zu verdanken.

Leider verstärken die vielen Kirchenaustritte noch dieses Problem. Eigentlich müsste man in der Tat einer solchen Kirche, die auf die falschen Pferde setzt oder die falschen Götter anbetet und nicht mehr ihrem Auftrag gerecht werden will, den Rücken kehren. Aber indem wir es tun, machen wir es alles nur noch schlimmer.

Darum appelliere ich heute an Euch alle und an all Eure Freunde und Bekannten. Bleibt in der Kirche oder tretet wieder in sie ein, kritisiert die sich selbst versklavenden Götzendiener und stärkt denen den Rücken, die wissen wofür die Kirche da ist und wofür nicht und die sich dafür einsetzen, dass sie menschennah bleibt und eine Kirche ist, die Kindern und Jugendlichen Hoffnung und Zukunft vermittelt und damit letztlich uns allen.

 

Und ich habe noch ein weiteres Anliegen. In genau zwei Wochen am Sonntag, den 27. Juni wollen wir nicht nur einen Familiengottesdienst miteinander feiern, sondern anschließend auch ein spontanes, kleines bescheidenes zweistündiges Sommerfest , also bis etwa 14 Uhr. Es soll vor allem Spielangebote für Kinder geben, etwas zum Essen vom Grill und Salate und zu Trinken und etwas Musik. Wie gesagt in sehr bescheidenem Rahmen und gemäß Coronaschutzmaßnahmen. Aber wir wollen damit einen Akzent setzen für unsere Kinder und auch einen Akzent gegen die Corona-Dauer-Depression. Ich brauche Menschen, die da noch mithelfen, sei es, dass sie selbst bei den Spielaktivitäten mitmachen können, sei es, dass Musikalisches anbieten, sei es dass sie bei der Essens- und Getränkeausgabe oder beim Aufräumen mitmachen können. Mich bitte gerne einfach nach dem Gottesdienst ansprechen! Wer da nicht mithelfen kann oder möchte, ist natürlich trotzdem herzlich willkommen. Das Wichtigste ist dass wir zusammen kommen mit allen Generationen unserer Gemeinde, ins Gespräch kommen und uns freuen am Gott der Freiheit, des Lebens und der Mitmenschlichkeit. Amen

EG 669, 1-5: „Herr, gib mir Mut zum Brückenbauen“