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Predigt am 6.08.2023 – ein hörendes Herz

(Gehalten von Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel in der Versöhnungskirche in Köln-Rath-Heumar)

Die Gnade und der Friede Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

der für den heutigen Sonntag in der Bibel vorgesehene Predigttext kann uns Einiges lehren, Und so ist das ja im besten Fall mit Bibeltexten. Sie bringen uns neue Impulse für unser Leben, auch wenn Sie, wie in diesem Fall, fast 3000 Jahre alt sein mögen.

Im ersten Buch Könige, Kap. 3, Verse 5-15 finden wir eine Passage, die von dem noch jung und unerfahrenen König Salomo erzählt. Der, dem besonders viel Weisheit nachgesagt wurde. Er ist ein Sohn des berühmten Königs David und wurde als sein Nachfolger zum König geweiht.

Mit Königtum usw. haben wir heute ja zum Glück nichts mehr zu tun, auch wenn sich manche sich mehr mit dem Leben der britischen Königsfamilie zu beschäftigen scheinen als mit ihrem eigenen. So hat man ja zuweilen den Eindruck. Aber wie dem auch sei. Im Predigttext hören wir von einer Begegnung Gottes mit Salomo im Traum. Da heißt es:

„In Gibeon erschien der HERR dem Salomo nachts im Traum, und Gott sprach zu ihm: Erbitte, was ich dir geben soll. Da sagte Salomo: Du hast deinem Diener David, meinem Vater, große Barmherzigkeit erwiesen, denn dir zugewandt in Treue und Gerechtigkeit und mit aufrichtigem Herzen hat er vor dir gelebt, und du hast ihm diese große Barmherzigkeit bewahrt und ihm einen Sohn gegeben, der auf seinem Thron sitzt, wie es am heutigen Tag der Fall ist. Und nun, HERR, mein Gott, hast du deinen Diener an Stelle Davids, meines Vaters, zum König gemacht, ich aber bin noch jung und weiß weder aus noch ein. Und dein Diener steht mitten in deinem Volk, das du erwählt hast – einem großen Volk, das man wegen seiner Menge nicht zählen und nicht schätzen kann.

Verleih daher deinem Diener ein hörendes Herz, damit er dein Volk mit Gerechtigkeit regieren mag und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht! Wer könnte sonst dieses mächtige Volk regieren? Das gefiel dem Herrn, dass Salomo darum bat.

Und Gott sprach zu ihm: Weil du darum bittest und bittest weder um langes Leben noch um Reichtum noch um den Tod deiner Feinde, sondern um Verstand, auf das Recht zu hören, werde ich deine Bitte erfüllen. Siehe, ich gebe dir ein so weises und verständiges Herz, so dass keiner wie du vor dir gewesen ist und keiner wie du nach dir auftreten wird. Und ich gebe dir auch, was du nicht erbeten hast: Sowohl Reichtum als auch Ehre, sodass zu deinen Lebzeiten keiner unter den Königen dir gleicht. Und wenn du auf meinen Wegen gehst und meine Satzungen und meine Gebote hältst, wie David, dein Vater, es getan hat, werde ich dir ein langes Leben geben.

Und Salomo erwachte, und sieh, es war ein Traum gewesen. Und er kam nach Jerusalem und trat vor die Bundeslade des Herrn, und er brachte dort Brandopfer dar und opferte Heilsopfer und gab ein Gastmahl für alle seine Diener.“ Amen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus. „Es war ja alles nur ein Traum“ könnten wir sagen und worin unterscheidet sich wohl Salomos Traum von dem übriger größenwahnsinniger Könige und anderer Machtgestalten, die sich in ihren Träumen einbilden, sie seien zu etwas ganz Besonderem berufen oder seien etwas ganz Besonderes.

Nun, der Unterschied ist vor allem die Art und Weise, wie dieser Traum angelegt ist. Er beginnt ja nicht einfach mit einem Auftrag Gottes an Salomo oder einer Art Ermächtigungsgesetz, wie es Diktatoren früher oder heutiger Zeiten so gerne herbeisehnen oder auch herbeiführen. Sondern der Traum beginnt mit der Einladung Gottes an Salomo, ihn um etwas zu bitten. Der Traum ist also zunächst einmal Einladung ins Gebet. Im Gebet werden wir alle zu Bittenden. Im Gebet werden wir alle demütig. Wir werden uns bewusst, wie groß Gott ist und wie klein wir sind und wie sehr wir sein Gegenüber, seine Solidarität, seine Hilfe, seine Orientierung brauchen. Wir nehmen wahr, dass wir gerade nicht die Größten sind, sondern kleine hilfsbedürftige Menschenwesen, weil wir in diesem Leben permanent an unsere eigenen Grenzen stoßen. Und in einer solchen demütigen Haltung reagiert Salomo dann auch auf Gottes Angebot, auf Gottes Anrede und nicht etwa als größenwahnsinniger, selbstherrlicher und machtbesessener König oder nach seiner Karriere schielender Politiker. Er spürt vielmehr die Last seiner Verantwortung und seine eigene Hilfsbedürftigkeit, ja sogar ein Stück Ohnmacht vor diesem Hintergrund. Das benennt Salomo in diesem Traum ja dann ganz deutlich: „Nun, HERR, mein Gott, hast du deinen Diener an Stelle Davids, meines Vaters, zum König gemacht, ich aber bin noch jung und weiß weder aus noch ein. Und dein Diener steht mitten in deinem Volk, das du erwählt hast – einem großen Volk, das man wegen seiner Menge nicht zählen und nicht schätzen kann.“ Deutlich spürbar in diesen Zeilen die Last der Verantwortung und die Angst, dem nicht gerecht werden zu können.

Nicht alle Könige leben also im Goldenen Käfig wie manche Zugehörige der Königshäuser gerade heute mehr als in früheren Jahrhunderten. Und dass man im Königspalast oder im Kanzleramt den Regierungsgeschäften nachgeht, heißt nicht, dass man automatisch von der Welt abgeschottet ist und Realitätsverlust haben muss. Bei Salomo scheint es jedenfalls nicht so gewesen zu sein. Er fühlt sich der Aufgabe nicht ganz gewachsen – zu jung und unerfahren. Da wünschte ich mir bei Manchen der aktuell Regierenden in Deutschland diese Demut Salomos. Das wäre schon mal eine gute Grundhaltung, selbst wo sie mit Gebet nichts anfangen können.

Gebet – Beten ist die Einübung in diese Grundhaltung, wie ich es schon sagte. Bevor im Gebet oder durch das Gebet die Probleme kleiner und die Hoffnungen größer werden, muss ich erst einmal selbst klein werden. Noch einmal dieser Satz: Bevor im Gebet oder durch das Gebet meine Probleme kleiner und meine Hoffnungen größer werden, muss ich erst einmal selbst klein werden.

Und so äußert Salomo schließlich seine Bitte, die ganz ungewöhnlicher Art ist.

Er weiß gerade nicht die richtigen Rezepturen und was politisch richtig ist und einfach nur mit aller Gewalt durchgesetzt werden müsste in seinem Land. Ihm geht es nicht um die religiöse Legitimation, um das Absegnen Gottes dessen, was er ohnehin schon meint zu wissen und tun zu wollen und sei es der Gebrauch oder die Sendung von Waffen. Ihm geht es vielmehr um ein weises verständiges Herz. Exakter gesagt: um ein „hörendes Herz“, denn so heißt es wortwörtlich in seinem Gebet im Traum: „Verleih daher deinem Diener ein hörendes Herz, damit er dein Volk mit Gerechtigkeit regieren mag und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht!“ Salomo ist also alles andere als ein selbst verliebter Monarch oder aber ein Autokrat oder aber ein von der Realität abgehobener Demokrat. All das ist er nicht und will er auch nicht sein.

Seine größte Bitte an Gott ist, ein hörendes Herz haben zu wollen, damit er der Aufgabe und Verantwortung seiner mächtigen Position gerecht werden kann, seiner Berufung gerecht werden kann, einfach die Dinge gut und verantwortlich tun kann, wo er steht. Diese Bitte Salomos hat mich sehr berührt: ich möchte eine hörendes Herz haben. Diese Bitte, dieser sehnliche Wunsch allein bringt strahlt so viel Wärme aus, dass mir selbst warm ums Herz wurde als ich das las.

Und vielleicht ist das im Augenblick auch eines der größten Probleme in der deutschen Politik, wenn ich richtig wahrnehme und beobachte. Dass Menschen sich nicht wahrgenommen und nicht genügend gehört fühlen. Und das wird zunehmend zur Gefahr für unsere Demokratien, wenn Probleme nicht gelöst werden und Menschen sich nicht wahrgenommen und gehört fühlen und sie Politik als kalt, gnadenlos und lebensfern erleben.

„Ein hörendes Herz“ brauchen wir überall, wo wir uns als Menschen begegnen und gemeinsam voran kommen wollen. In der Politik und der Gesellschaft so wie auch in der Kirche und der Gemeinde, in der Partnerschaft und der Familie.

Hören und Wahrnehmen wo mein Gegenüber steht und wo ich stehe. Es ist die Basis, das Elementare für jedes Miteinander. Und nur mit diesem gegenseitigen Hören und Wahrnehmen kann man miteinander Schritt halten, auch was die Reise in eine nachhaltige Zukunft betrifft. Ein gutes Klima wird es sowohl im konkreten wie im übertragenen Sinn nur dort geben können, wo man hörend und respektvoll miteinander umgeht statt sich gegenseitig in irgendwelche Schubladen zu stecken und Plakate zu verteilen.

Hören ist die Basis nicht nur für das menschliche Zusammenleben und das Verhältnis der Menschen zueinander, sondern gerade auch für das Verhältnis der Menschen gegenüber Gott.

Salomos Gebets­schule beginnt nicht damit, dass der König zu Gott redet, sondern damit, dass er darauf achtet, wie Gott zu ihm redet. Im Gebet, im Kontakt mit Gott bin ich zuallererst Hörender und gerade nicht Sprechender oder Plappernder. Ich versuche also in allem, egal wo es ist, in der Musik, in der Stille, Im Anvertrauen mit meinen Sorgen im Gebet gegenüber Gott und auch gemeinsam hier in unserem Gottesdienst, die Stimme Gottes zu hören. Hören, was unseren Seelen eher schadet, als dass es hilft und wo ich mich vielleicht verrannt oder verlaufen oder gar verloren habe. Und hören, was gut für mich ist oder mir gut tun könnte.

Wir leben aber in einer Zeit, wo kaum noch jemand zuhören will oder kann. Radiobeiträge, wenn es sie außer Musikbeschallung überhaupt noch gibt, sind heute kaum noch 2 Minuten lang, es sei denn man hört ganz spezielle Nischenradiosender. Zu Beginn meines Studiums. Das war 1981 hieß es noch: „Du darfst über alles predigen, nur nicht über eine halbe Stunde“. Dann während meiner Vikariatszeit nach meinem Studium bzw. in den Neunziger Jahren hieß es: „Du darfst über alles predigen, nur nicht über 20 Minuten.“ Als ich nach meinem Sonderdienst mich damals 2002 auf die frei gewordene Pfarrstelle hier in Rath-Heumar beworben hatte, hieß es: „Du darfst über alles predigen, nur nicht über 15 Minuten.“ Heute heißt es: „Du darfst über alles predigen, nur nicht über 10 Minuten.“ Ich frage mich freilich, wann es heißen wird: „Du darfst über alles predigen, nur nicht über 1 Sekunde.“

Hat jemand mal auf die Uhr geschaut? Richtig, es wird langsam Zeit, die Predigt zu beenden. Ich bin schon über der 10-Minuten-Vorgabe. Aber bleiben wir dann noch Hörende, wenn wir einander so wenig Zeit schenken? Und vielleicht hängt das ja auch eng zusammen. Wir haben füreinander heute so wenig Gehör, weil wir heute so wenig Zeit haben. Und warum haben wir heute so wenig Zeit?

Weil wir uns selbst an ökonomisch bedingte Zeitvorgaben versklaven. Ist das menschengerecht? Ist das überhaupt gerecht? Ich komme damit zum letzten Punkt meiner Predigt. Salomo bittet Gott nicht nur um ein hörendes Herz, sondern ihm ist es auch ein Anliegen, dass er dadurch dann mit Gerechtigkeit oder gerecht regieren kann, dass also Gerechtigkeit in seinem Land und zwischen den Menschen vorhanden oder aber hergestellt werden soll: „Verleih daher deinem Diener ein hörendes Herz, damit er dein Volk mit Gerechtigkeit regieren mag und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht.“

Wir müssen zuallererst die Gerechtigkeit unter den Menschen herstellen – innerhalb der Völker und zwischen den Völkern. Erst dann haben wir auch Frieden innerhalb und außerhalb der Völker. Das scheint mir heute durch vorgeblich andere wichtig oder wichtigere Dinge zunehmend aus dem Blick zu geraten. Es gibt keine Klimagerechtigkeit ohne soziale Gerechtigkeit und es gibt auch keinen Frieden zwischen den Völkern, wo Länder nach wie vor ausgebeutet werden und wir die Preise bestimmen und sei es zum Preis, dass zunehmend Wirtschaftsflüchtlinge ihre Länder verlassen.

Nun kommt schlussendlich die Reaktion Gottes auf das Gebet von Salomo; „Das gefiel dem Herrn, dass Salomo darum bat. Und Gott sprach zu ihm: „Weil du darum bittest und bittest weder um langes Leben noch um Reichtum noch um den Tod deiner Feinde, sondern um Verstand, auf das Recht zu hören, werde ich deine Bitte erfüllen. Siehe, ich gebe dir ein so weises und verständiges Herz, so dass keiner wie du vor dir gewesen ist und keiner wie du nach dir auftreten wird.“ Auch hier in der Antwort Gottes wird noch mal deutlich, wie das Hören auf das Recht, das Achten und Umsetzen von Gerechtigkeit letztlich zum Frieden beiträgt. Statt das Ende des Feindes zu wünschen, wie es im Augenblick die westlichen Staaten im Blick auf den Ukrainekrieg immer wieder zu propagieren scheinen, sollten sie sich vielleicht eher darauf konzentrieren, Recht und Gerechtigkeit in der so sehr von ihnen beschworenen freien Welt umzusetzen.

Dann heißt es aus dem Munde Gottes zu Salomo noch: „Und ich gebe dir auch, was du nicht erbeten hast: Sowohl Reichtum als auch Ehre, sodass zu deinen Lebzeiten keiner unter den Königen dir gleicht. Und wenn du auf meinen Wegen gehst und meine Satzungen und meine Gebote hältst, wie David, dein Vater, es getan hat, werde ich dir ein langes Leben geben.“ Damit ist die Erfahrung angesprochen, dass ein hörendes Herz und Gerechtigkeit alles Übrige nach sich ziehen. Sie bringen, wo sie regieren, Segen – Reichtum und ein langes, gesundes Leben. Amen

Lied 677  (1-4) „Die Erde ist des Herrn“