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Predigt über Matthäus 28,16-20 – den Taufbefehl – zum 6. Sonntag nach Trinitatis

„Die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten.
Und Jesus trat herzu, redete mit ihnen und sprach: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.
Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“

Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. AMEN
Liebe Gemeinde,
Heute ist „Matthäi am Letzten“ – so nennt Martin Luther die Schlussszene im Matthäusevangelium. Manchen mag dies wie eine Drohung, eine Vorsorge klingen, dass etwas Großes eintritt. Bei Luther hatte die Redewendung keinen bedrohlichen Klang, eher sachlich floss sie aus der Feder des großen Reformators. Es sind wir, die bei „Matthäi am letzten“ anders reagieren, etwas erwarten. Dass endlich etwas geschieht, sich etwas ändert. Eine Grenze überschritten wird. Dass Menschen etwas bewusst wird. Manche sagen, die Coronakrise habe dieses bewirkt, aber wenn ich jetzt sehe, wie wir Menschen auf die möglichen Lockerungen reagieren, weckt das in mir zarte Zweifel. Viele fallen zurück in ihre ganz „normalen“ Verhaltensweisen.
Manches aber ist noch deutlich anders. Auch in der Kirche. Noch keine großen Tauffeiern, nächste Woche die ersten größeren Trauungen seit Langem.
Der Predigttext führt uns ans Ende des ersten Evangeliums. Jesus kehrt zurück und richtet Worte an seine Jünger. Nichts Bedrohliches und Beunruhigendes schwingt mit, keine Strafpredigt, keine Ankündigung des Jüngsten Gerichts. Wir hören ein Schlusswort. Letzte Sätze haben es in sich – im Roman, im Film, im Leben eines Menschen, auch im Evangelium. Die „letzten Worte Jesu am Kreuz“ wurden von vielen Komponisten vertont.
Wie sieht das Ende bei Matthäus aus?
Es endet, wie es begonnen hat: Mit der Gewissheit, dass Jesus lebt. Er erscheint seinen Jüngern. Er wendet sich ihnen wieder zu. Er lässt sie nicht allein, sondern spricht sie an. Es sind Worte, die überhaupt nicht nach Abschied, Mahnung oder Bilanz klingen. Matthäus findet kein trauriges Ende, das uns mutlos und tatenlos als Hinterbliebene im Trauerfall Jesus von Nazareth zurücklässt. Dem Evangelisten gelingt das Kunststück eines Abschlusses, der uns zugleich nach vorne blicken lässt – als würden wir die Aussicht von einem hohen Berg genießen. Es ist nicht der Augenblick kurz vor Jesu Verschwinden oder das Ende seines Wirkens, sondern das Gegenteil. Er bleibt. Und sein Wirken geht erst richtig los. Jesus weckt die Vorfreude auf das, was kommen mag und wie er fortan mit seiner ihm nachfolgenden Gemeinschaft umgeht.
Die Jünger in der Geschichte, der Evangelist, und auch wir werden zur Fortsetzungsgeschichte. Jesus geht nicht weg, sondern er kommt zum Vorschein: Er bestimmt den Ort seines In-Erscheinung-Tretens und kommt aus der Verborgenheit zu den Seinen, die von seiner Anwesenheit überrascht werden.
Jesus zeigt: Er ist von sich aus da und muss nicht angerufen und dazu gebeten werden. Jesus zeigt sich den Seinen. Zu dieser Zeit eine unvollständige, lädierte Truppe. Aus den Zwölf ist ein Elferrat geworden.

Weder macht Jesus sein eigenes Auftreten zu etwas Außergewöhnlichem, noch müssen die Jünger ihm Außergewöhnliches beweisen. Jesus begegnet den Seinen, die ihn zwar sehen, aber trotzdem zweifeln. Wie gut zu wissen – Zweifeln ist möglich!
Wichtig ist das, was er spricht: Am Ende verspricht Jesus allen Ernstes, er werde nicht in den Himmel auffahren, sondern „in die Kirche einfahren“ – also in diesen müden Haufen von elf mehr oder weniger zwiespältigen Jüngern, die er auf einen namenlosen, ortlosen Berg in Galiläa bestellt hat.
Und oben, auf der Höhe, bekommen die Jünger zu hören, dass sich Jesus nicht in einen Himmel entfernt und abgesetzt hat, nein, dass er der Kommende, der Entgegenkommende ist und seiner Kirche immer vorausgeht.
Wir kennen die Vorliebe Jesu für Berge. Wenn es ernst und wichtig wird, sind es Gipfelereignisse. Wo dies hier geschieht, bleibt offen – offen wie der Schluss des Matthäusevangeliums, dieser Blick ins Weite.
Gute Regisseure beherrschen die Kunst, Aufmerksamkeit zu wecken, damit am Schluss die Spannung erhalten bleibt, bei spannenden Spielfilmen oder auch Endlosserien. Die Filmemacher nennen das „Cliffhanger“. Man bricht erst einmal ab, wenn es am schönsten oder dramatischsten wird und die Zuschauer süchtig fragen: Wie geht’s weiter? Denn am nächsten Tag sollen sie ja wieder einschalten und dran bleiben an der Telenovela, bei den Serien und Staffeln. Uns packt die Neugier, wie’s wohl weitergeht.
Bei Matthäus ist das Ende offen. Er kennt eigentlich keine Himmelfahrt Jesu, eher das Gegenteil. Jesus taucht auf, lässt sich sehen, wird zum ‚Herabkömmling‘. Jesus ist keiner, der zu guter Letzt Vorwürfe macht; er hat keine Zeit zu Predigten über Glaubenszweifel und Anfechtung; er übergeht die Skepsis der Seinen. Woran zweifeln sie eigentlich? An ihren eigenen Möglichkeiten?
Er kennt ihn, diesen Selbstzweifel, der bis heute an mir und an der Kirche nagt. Er verteilt Aufträge, gibt große Versprechungen und schickt die Elf auf Weltreise. Er erzählt ihnen, wenn es zu „Matthäi am Letzten“ kommt, nichts von Weltuntergang, Apokalypse und Jüngstem Gericht. Er öffnet den Elf am Ende einen Welt-Raum und bereitet sie auf seine neuen Umgangsformen mit ihnen vor.
Die ganze Welt, alle zu Jüngern wandeln …? „Das ist ein zu weites Feld“, so der Schlusssatz in Fontanes Roman „Effi Briest“. Ist diese Aussendung, um alle Völker durch Taufe und Lehre zu Jesu Jüngern zu machen, auch „ein zu weites Feld“? Ist diese übermenschliche Aufgabe überhaupt leistbar und wünschenswert? Haben die Elf in diesem Moment überhaupt verstanden, was Er ihnen zumutet und zutraut?
Die Kirchengeschichte – und ihre, eure und meine persönliche Biografie – ist die Fortsetzungsgeschichte dieses offenen Endes. „Christus als Gemeinde weiter existierend“, so lautet die berühmte Auslegung Dietrich Bonhoeffers dazu. Aber geht der Auferstandene Christus eigentlich auf uns ein? Fragt er nach dem, was uns bewegt? Was uns hoffen oder zweifeln lässt? Nein, er fragt nicht. Er unterscheidet auch nicht in mehr oder weniger Getreue.
Die nachösterliche Gemeinde darf sich von Ihm angesprochen und ermutigt fühlen. Er teilt seine Macht an alle, gibt uns, sogar mir Anteil an seinen göttlichen Möglichkeiten. Wir werden ermächtigt und beauftragt: „Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.“

In der Kirchenordnung heißt es zur Taufe:
Die Taufe ist die festliche Aufnahme eines Menschen in die christliche Gemeinde. Im Taufgottesdienst gießt dabei die Pfarrerin oder der Pfarrer einige Tropfen Wasser über den Kopf des Täuflings. Das Ritual geht zurück auf die Taufe Jesu durch Johannes den Täufer, die in der Bibel geschildert wird. Die Taufe ist ein Sakrament, das alle Christen miteinander verbindet. Sie ist im Leben eines Menschen einmalig und unwiderruflich.

Es könnte ja nun der Eindruck erweckt werden, Jesu spreche die Worte zu seinen Jüngern und zu denen, die sich zum Taufen berufen lassen, Pfarrerinnen und Pastoren, Prädikanten und Diakone.
Aber: Wenn ein ungetaufter Mensch in eine lebensbedrohliche Situation gerät, kann auf seinen Wunsch bzw. bei Kindern auf Wunsch der Eltern unverzüglich eine Taufe stattfinden. Ist es nicht mehr möglich, eine Pfarrerin oder einen Pfarrer zu rufen, kann jeder Christ eine solche Nottaufe vollziehen. So gilt das auch bei uns, was man im Gesangbuch unter 839 nachzulesen ist.

Der Auftrag zum Taufen ist mehr als die Aufforderung zum sakramentalen Akt, sondern viel umfassender. Wir sollen zu einem Leben mit Jesus einladen und die geistliche Gemeinschaft in der Welt vorleben.
Wie wichtig das ist, haben wir in der letzten Woche erlebt. Eine Woche Ferien ohne Koffer mit über 20 Pänz aus Ostheim, Neubrück und Rath-Heumar. Jeden Tag von 9.30 Uhr bis 17 Uhr. Einige Geschwisterkinder waren dabei, wenige kannten sich. Sonst ganz unterschiedlich auch im Alter zwischen 7 und 13. In einer für die meisten von ihnen unbekannten Weise gab es jeden Tag ein Bildungs- und Ausflugsangebot, es wurde gemeinsam gebastelt und gebaut, gegessen und gespielt. Der Abschied sah so aus: Völlig zufriedene Kinder die sich schon für nächstes Jahr angemeldet haben, einige wollen eine Teamerausbildung machen, andere fragen nach regelmäßigem Gruppenangebot, ob wir mal gemeinsam wegfahren können oder in der Gemeinde übernachten……
Und es braucht unbedingt Menschen, die das mitmachen, haupt- neben und ehrenamtlich, die dem Auftrag, den wir bekommen haben, überhaupt Raum geben!!!!
Es ist großartig, wenn auch die Ehrenamtlichen erleben, wie wichtig, erfüllend ihr Einsatz ist und wie das Vorleben einer Gemeinschaft, in der sich die unterschiedlichen akzeptieren und ein einem Geist leben, sich lohnt!
(Sehr dankbar sind wir über das ehrenamtliche Engagement z.B. bei Bauen, v.a. aber auch im Presbyterium!)
In unserem Tun, auch in einem Gottesdienst, werden wir in das offene Ende, in den neuen Anfang Jesu in der Welt hineingezogen. Wie gegenwärtig ist der Auferstandene noch in seiner Kirche, die als sturmumtostes Boot kleingläubiger Besatzungsmitglieder angesehen wird? Die Gemeinde, die sich fragt, ob sie noch ‚systemrelevant‘ ist und die sich damals wie heute fragt: Was kann ich leisten? Wo bist du, Gott? Welche Möglichkeiten haben wir in den großen Krisen dieser Tage und was bleibt von uns – danach?
Mehr denn je brauchten wir das Hervortreten Jesu, sein „Machtwort“, den Glauben an die Verheißung, die er zu guter Letzt gibt: Ich verschwinde nicht, ich bin gar nicht weggegangen. Ihr werdet mit mir nie fertig, bringt mich nie hinter euch. Ihr könnt mich nicht abschütteln und euch als meine Ersatzleute betrachten. Mein Werk auf Erden ist eben noch nicht vollbracht, ich bleibe in eurer Mitte, verleihe euch Vollmacht.
Das ist das Ungeheuerliche, was Jesus zu guter Letzt verspricht: Reale Präsenz – bis zu der Welt Ende – als Reisegepäck für unseren Weg mit dem Evangelium. In seiner Kirche übernimmt er das Regiment. Er hat das Sagen auch nach seinem Weggang zum Vater. Hören wir das Sendungswort Jesu heraus: Auf, ihr Müden, ihr Jünger! Ich habe euch belebt und erfrischt mit Taufwasser, das nie trocknet. Ihr seid zukunftsfähig – durch mich! Startet durch, mit langem Atem – mit mir; glaubt’s doch: Ich, euer Christus, bin live und hautnah dabei! Und seit der Taufe bin ich euer „mitgehender Anfang“ (O. H. Pesch).

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.