PREDIGT über Jesaja 42, 1-4,5.6
Liebe Gemeinde,
Es ist die Zeit des großen Lichts. So klein es auf die Welt kommt im Stall von Bethlehem, so hell erstrahlt es schon nach kurzer Zeit, wenn man den Wegen des Kirchenjahres folgt. Kaum haben die Weisen den Stall verlassen, sind die Eltern schon mit dem Kind geflohen, ist die Kleinkinderzeit passé, ist Jesus herangewachsen und als Wanderprediger unterwegs. Er erhält nun den Geist Gottes und damit verbunden ein Kleid aus Worten – Worte eines liebenden himmlischen Vaters, der seinen Sohn annimmt.
„Siehe, dies ist“ So stark und direkt spricht es schon im Prophetenbuch des Jesaja, wenngleich wir heute wissen, dass in diesem Teil des Prophetenbuches nicht mehr der Prophet spricht, sondern Worte eines unbekannten Propheten festgehalten werden.
Dieser wirkte in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts vor Christi Geburt, einer Zeit, in der die traumatischste Erfahrung des Volkes Israel vor dem Holocaust liegt: die Verschleppung der sog. Oberschicht nach Babylon. Gegen Ende dieser Zeit – was man natürlich damals noch nicht wusste – hat dieser Prophet nun die großartige Aufgabe, seinem Volk die Heimkehr aus dem Exil und eine neue Zukunft in der Heimat anzukündigen.
Er tut dies mit einer Offenbarung über einen sogenannten „Gottesknecht“.
Siehe, das ist mein Knecht – ich halte ihn – und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen. Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen. Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus. Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte; und die Inseln warten auf seine Weisung.
So spricht Gott, der Herr: Ich, der HERR, habe dich gerufen in Gerechtigkeit und halte dich bei der Hand und behüte dich und mache dich zum Bund für das Volk, zum Licht der Heiden, dass du die Augen der Blinden öffnen sollst und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen und, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker.
Der Predigttext für den heutigen Sonntag ist das erste dieser Gottesknechtslieder im Jesajabuch: Der „Knecht JHWHs“ und sein Auftrag werden eingeführt. Dieser Knecht steht Gott nahe und wird von ihm in die Welt gesandt, um Gottes Recht zu vervollständigen und erhält somit Anteil am Heilshandeln des Schöpfers in der Geschichte.
Schon von den Anfängen des Christentums an ist deshalb der Knecht auch auf Jesus hin gedeutet worden. Wir wissen alle: Die Kirche hat diese Gottesknechtslieder sehr schnell mit dem Wirken und dem Ergehen des Jesus von Nazareth in Verbindung gebracht. Dennoch ist es geboten, ihn zugleich als spätes Stück israelitischer Prophetie zu Wort kommen zu lassen, auch wenn man ihn im Licht der Offenbarung sehen kann, welche mit Jesus Christus in die Welt gekommen ist.
Das Jesajabuch spricht von einem Hoffnungsträger ganz anderer Art. An sieben Beispielen wird aufgelistet, was dieser Hoffnungsträger nicht kann.
Er kann nicht schreien und rufen, seine Stimme wird man nicht hören, das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, den glimmenden Docht nicht auslöschen, wird selbst nicht verlöschen wird nicht zerbrechen. er nicht kann. Und nur in einem Fall wird eine positive Fähigkeit dagegengesetzt.
Damit liegt dieser Gottesknecht ganz gewiss nicht im Trend. Er gewinnt seine Bedeutung gerade dadurch, dass er ganz anders ist als die anderen. Seine Stärke liegt gerade in dem, was er nicht tut. In dem, worauf er verzichtet.
Der Gottesknecht geht leise und ruhig vor: Er tobt und schreit nicht; er sucht nicht sein Recht ohne Rücksicht auf Verluste durchzubringen, er trampelt nicht über andere hinweg. Damit steht er im Gegensatz zu den Vertretern der babylonischen Herrschaft, ist also ganz anders als das, was die Israeliten in ihrer damaligen Situation erleben.
Er gewinnt dadurch an Bedeutung, dass er defensiv ist, geradezu besonnen, dass er aushalten kann. Was wiederum der Lebenswirklichkeit der Exilierten entspricht, man könnte also sagen, dass sich die von Jesaja angesprochenen auch im Knecht der HERRN wiederfinden.
Der Prophet, der sich Jesaja nennt, schildert die prophetische Vorstellung eines Boten, der durch sein Wirken gleichsam Gottes Botschaft von Frieden und Heil, Wiederherstellung der Berufung und Verheißung, verkörpert und mündet in eine Verheißung, die sanft und kraftvoll zugleich wirklich wird.
Der Gottesknecht ist das Licht der Heiden und der Helfer der Armen; er wird das Zerbrechende heilen und das Wohlgefallen Gottes sein. Mehr Schönes kann man kaum sagen über den, der die Welt zusammenhält durch seine Worte über Gott.
Vergessen wir nicht: Die Israeliten und Israelitinnen sind verzweifelt. Auch wenn sie zu der Zeit des Prophetenwortes schon in zweiter Generation in Babylon leben und sich gewiss schon arrangiert haben, fühlen sie sich noch immer am Rand der babylonischen Gesellschaft. Das wollen sie nicht mehr hinnehmen. Wenn sie schon nicht in ihr Land zurückkönnen, dann wollen sie wenigstens in Babylon dazugehören. Keine Fremden mehr sein. Dafür sind einige sogar bereit, ihre eigenen – religiösen – Traditionen hinter sich zu lassen.
Davor warnt der Prophet: „Wer mit den Babyloniern gemeinsame Sache macht, kehrt Gott den Rücken zu! Und wenn ihr Gott den Rücken zukehrt, dann ist das euer Untergang! Gott will euch retten! Er will, dass es euch gut geht: euch und der ganzen Welt!“
Gott will retten – uns und die ganze Welt … Manchmal ist das schwer zu glauben. Schauen wir in die Kriegs- und Krisengebiete dieser Welt. Hören wir zu, was Menschen erlebt haben, die bei uns Schutz suchen. Sehen wir die Narben an, die sie am Körper und auf der Seele tragen.
Sehen wir uns um – wer von uns will in diesen Zeiten nicht, dass von irgendwoher Rettung kommt? Dass wir unser Leben nicht so eingeengt und bedroht empfinden.
Und auch bei uns fühlen sich Menschen gefangen. Sie kommen nicht los von dem, was sie erlebt haben. Sie können sich nicht befreien von ihren Verletzungen und Benachteiligungen.
Sie sind herausgerutscht aus Gemeinschaft und Gesellschaft. Auch Stille und Einsamkeit können wie ein Gefängnis sein.
„Gott führt euch aus euren Gefängnissen heraus“, sagt der Prophet. „Er befreit euch von allem, was euch niedergeschlagen macht. Vielleicht braucht ihr noch ein bisschen Geduld – aber die gute Zeit hat schon angefangen: Gefangene werden befreit und Verletzte geheilt; Unterdrückte werden aufgerichtet und Benachteiligte bekommen eine neue Chance.“
Diese Zusage wird für uns bis heute geradezu zur Überlebensgarantie. Unsere Welt ist voll von geknickten Menschen, Jesaja setzt dem entgegen: „.Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“
Dieser Vers ist wohl der bekannteste aus unserem Predigttext. Er erinnert an die gute Schöpfung Gottes, dass sie immer noch Zukunft hat und nicht der Vernichtung preisgegeben wird. Nicht durch Programme und Reformen wird dies erreicht. Und nicht durch veränderte Strukturen. Sondern durch einen Menschen. Den Knecht Gottes. Durch den, an dem Gott Wohlgefallen hat. Durch den, auf den Gott seinen Geist gelegt hat.
Gott wirkt in dieser Welt durch Menschen. Auch durch uns. Das ist das eigentliche Wunder. Und er wirkt auch nicht nur an einem Kreis auserwählter Heiliger. Nein, das Wirken des Gottesknechtes gilt auch den Heiden. Heiden sind aus damaliger Sicht diejenigen, die den Glauben an den Gott Israels nicht teilen.
Gottes Barmherzigkeit und Frieden kann selbst die erfüllen, die von diesem Gott bisher noch gar nichts gehört haben. Das ist eine beinahe unerhörte Aussage für die Israeliten der damaligen Zeit.
Das gelingt durch Recht und Weisung, das meint Worte, die zum Leben verhelfen, die einen Freiraum schenken, innerhalb dessen wir unser Leben nach Gottes Willen ausrichten und gestalten können. Das Zeugnis des Gottesknechtes ist Hilfe zum Leben.
Im Prophetenbuch erfahren wir von diesem namenlosen Gottesknecht – er wird zum Modell und Vorbild, als Licht der Heiden und der Helfer der Armen; er wird das Zerbrechende heilen und das Wohlgefallen Gottes sein. Ich finde, schöner kann man das kaum in Worte fassen.
Wir Christinnen und Christen glauben, dass es einen gibt, der wie wir über diese Erde wandelte. Der genau dies getan hat. Der die Müden aufgerichtet und den gebeutelten Seelen neuen Lebensmut zugesprochen hat.
Der Evangelist Matthäus setzt schon in seinem Bericht von der Taufe, den wir als Lesungstext gehört haben, Jesus mit diesem geheimnisvollen Gottesknecht in Beziehung. Wie auf den Gottesknecht, so legt Gott seinen Geist auf ihn. Wie am Gottesknecht, so hat er an ihm Gefallen. Und wie der Gottesknecht gilt ihm der Auftrag, dem Recht Gottes zum Durchbruch zu verhelfen. Matthäus zitiert sogar Worte aus Jesaja 42. Und er will sagen, was Jesus selber sagt, als er in Kapernaum zum ersten Mal predigt: „Heute ist dieses Wort erfüllt vor euren Augen!“
Wie auf keinen anderen trifft die Beschreibung des Gottesknechtes auf Jesus zu. In ihm ist Gott in einer Weise gegenwärtig, dass wir ihn als Gottes Sohn bekennen. In ihm hat die Erfahrung der Bewahrung des schon geknickten Rohres und des Neuaufflammens des fast verloschenen Feuers Hand und Fuß bekommen. An seinem Leben und Sterben wird offenbar, in welcher Weise dieser Jesus mit seinem Gott eins ist. In der Nachfolge dieses Jesus aus Nazareth hat eine weltweite Bewegung des Gottesglaubens begonnen. Bis an die Grenzen der Erde und unter die fernen Inseln findet die Botschaft Verbreitung, dass „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“
Deshalb sind wir heute noch an einem Sonntag in der Epiphaniaszeit im Licht der Weihnachtszeit, wir schauen nochmal auf die Krippe, auf den Menschen Jesus Christus, der da auf die Welt gekommen ist, der in der Taufe als Gottes Sohn beleuchtet wird und in der Tradition des Gottesknechtes in seiner Zeit über unsere Welt wanderte.
Wir brauchen noch das Licht, auch wenn schon manche Weihnachtsdekoration abgehängt ist und manche Lichterkette nicht mehr angemacht wird.
Wir brauchen das Licht in den Betrübnissen unserer Zeit. „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“ Das Wort möchte ich hören und weitersagen, und allen Mut machen, sich nicht der Vereinzelung hinzugeben oder das Leben nach dem Fernsehprogramm zu gestalten.
„Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“ Es ist, liebe Gemeinde, zugegeben mein Lieblingsvers. Und ich verbinde ihn gerne mit einer Geschichte, mit der ich die Predigt auch schließen möchte.
Geschichte von den 7 Stäben
Ein Vater hatte sieben Söhne, die immer öfter miteinander uneins waren. Immer wenn sie nicht miteinander arbeiten, nachdenken, zusammenleben konnten, betrübte das den Vater. Er bemerkte, wie böse Menschen schon daran dachten, sich diese Uneinigkeit und Vereinzelung zunutze zu machen und die Söhne nach dem Tod des Vaters um ihr Erbteil zu bringen.
Da ließ der Vater eines Tages alle sieben Söhne zusammenkommen, legte ihnen sieben Stäbe vor, die fest zusammengebunden waren, und sagte: „Demjenigen von euch, der dieses Bündel Stäbe entzweibricht, zahle ich hundert Taler.“
Einer nach dem anderen strengte alle seine Kräfte an und jeder meinte nach langem, vergeblichem Bemühen: „Es ist gar nicht möglich!“
„Und doch“, sagte der Vater, „ist nichts leichter.“ Er löste das Bündel auf und zerbrach einen Stab nach dem anderen mit geringer Mühe. „Ei“, riefen die Söhne, „so ist es freilich leicht, so könnte es ein kleiner Junge.“
Der Vater aber sprach: „Wie es mit diesen Stäben ist, so ist es mit euch, meine Söhne. Solange ihr fest zusammenhaltet, werdet ihr bestehen, und niemand wird euch überwältigen können. Wenn ihr aber auseinandergeht, jeder für sich bleibt, ihr nicht versucht, gemeinsame Ziele und Wege zu finden, dann geht es euch wie den Stäben, die hier zerbrochen auf dem Boden herumliegen.“
„Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“
Der prophetische Blick in das Exil will den Menschen Hoffnung machen, dass sie trotz allem, was sie erlebt haben, wieder zurück zu Tradition und Heimat finden, wenn sie sich diese im Herzen, im Denken und im Glauben auch bewahren.
Und auch ich möchte nicht am Ende einer Pandemie, wie lange sie auch noch andauert, lauter einzelne Stäbe einsammeln.
Sondern würde mich freuen, wenn wir es schaffen, noch sieben oder mehr Stäbe zusammen zu binden, und einander die Stabilität geben, die wir für unser Leben brauchen.
AMEN