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Foto vom Radiergummi Gott liebt mich mit meinen Fehlern, copyright Dr. Gerhard Wenzel

Predigt vom 14.03.2021 (Sonntag Lätare)

(von Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel)

Die Gnade und der Friede Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus, ich habe hier etwas in der Hand, das könnt Ihr von weitem kaum erkennen. Ein Radiergummi. Solch einen Radiergummi (siehe Bild oben) habe ich mal Kindern zu ihrer Einschulung geschenkt.

Der Radiergummi ist in Regenbogenfarben gehalten, also in den Farben des Bundeszeichens Gottes mit den Menschen. Ihr erinnert Euch sicher alle an die Geschichte Noah, wo Gott mit Noah und seinen Nachkommen einen Bund schließt und er zum Zeichen dafür auf den Regenbogen verweist.

Das Wichtigste ist aber die Botschaft, die auf dem Radiergummi zu lesen ist. Da ist noch ein Herz abgebildet zu sehen und dann steht da geschrieben: „Gott liebt mich mit meinen Fehlern“. Einen Radiergummi benutzt man ja bekanntlich, um Fehler auszuradieren.

Schade ist natürlich, dass auch Radiergummis sich irgendwann abnutzen. Ich bin aber sicher, dass der Radiergummi die Grundschulzeit über durchhält. Aber vor allem das, was drauf steht hat Bestand – Gottes Zusage und meine Gewissheit, dass er mich mit all meinen Fehlern, mit all meinen Schwächen liebt, mich damit annimmt und auch so Manches verzeiht.

Wie gern hätte ich in meiner Kindheit so einen Radiergummi gehabt, der mir sagt, dass Gott im Gegensatz zu meinem eigenen Vater gnädig ist und dass Gott es besser zeigen kann, dass er mich liebt als mein eigener Vater, der immer hart mit sich selbst und anderen war und für den jedes Versagen ein Zeichen von Schwäche war und mehr nicht, eben gerade auch die Fehler in einer Deutscharbeit oder in einem Mathetest. Da gab es erst mal schlechte Laune, Schimpfen, Runtermachen und Liebesentzug.

Wie wohltuend zu hören, ja, zu wissen: Gott ist ganz anders.

Es gibt solche Momente, da erleben wir, wie da unser Versagen oder unsere Schwäche offen zu Tage tritt und wie wir uns damit dann Gott nur ganz hingeben können und anvertrauen können. Da gibt es nichts zu beschönigen oder wie auch immer, sondern nur zu spüren. Jetzt brauche ich ein gnädiges Wort, Verständnis, Verzeihung, Zuspruch.

Und das sind Momente, wo wir ganz klein fühlen und erschrecken über uns selbst oder enttäuscht sind über uns selbst, wütend auf uns selbst sind und sich das dann manchmal in Tränen ausdrückt. Jeder kennt diese besonderen Momente, hat schon mal so etwas erlebt, wenn er ehrlich ist.

Wie gut tut dann irgendwann ein Blick auf solch ein Radiergummi. Aber man braucht es noch nicht einmal – es steht ja alles so im Raum, spürbar, erfahrbar – mein offensichtliches Fehlhandeln und dass ich mich damit, spätestens wenn irgendwann Mutter und Vater gestorben sind, nur bei Gott fallen lassen kann, bei wem sonst?

Petrus hat einen solchen Moment des Weinens über sich selbst erlebt. Davon erzählt der für den heutigen Sonntag vorgesehene Predigttext. Er ist zu finden im Lukasevangelium, Kap. 22, Verse 54 -62. Er erzählt davon, was sich nach Jesu Verhaftung ereignet hat. Kurz bevor Jesus mit seinen besonders vertrauten Jüngern Jakobus, Johannes und Petrus in den Garten Gethsemane gegangen war, wo sie ihn festgenommen hatten, hatte Petrus bei Tisch noch vollmündig bekannt: „Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen.“ Darauf sprach Jesus zu ihm: „Petrus, ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst.“

Unmittelbar nach der erfolgten Festnahme Jesu im Garten Gethsemane, heißt es nun:

„Sie ergriffen Jesus und führten ihn ab und brachten ihn in das Haus des Hohenpriesters. Petrus aber folgte von ferne. Da zündeten sie ein Feuer an mitten im Hof und setzten sich zusammen; und Petrus setzte sich mitten unter sie. Da sah ihn eine Magd im Licht sitzen und sah ihn genau an und sprach: Dieser war auch mit ihm dabei. Er aber leugnete und sprach: „Frau, ich kenne ihn nicht.“ Und nach einer kleinen Weile sah ihn ein anderer und sprach: Du bist auch einer von denen. Petrus aber sprach: „Mensch, ich bin’s nicht.“ Und nach einer Weile, etwa nach einer Stunde, bekräftigte es ein anderer und sprach: „Wahrhaftig, dieser war auch mit ihm zusammen; denn er ist auch ein Galiläer.“ Petrus aber sprach: „Mensch, ich weiß nicht, was du da  redest.“ Und alsbald, während er noch sprach, krähte der Hahn. Und der Herr wandte sich zu Petrus und sah ihn Petrus an. Und Petrus gedachte an des Herrn Wort, wie er zu ihm gesagt hatte: „Ehe heute der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich. Amen

„Und Petrus weinte bitterlich“ ist die Zeile, liebe Schwestern und Brüder in Christus, die mich am meisten in diesem Text, in dieser Geschichte, berührt. Da steht nicht nur einfach „Und Petrus weinte“, nein „Und Petrus weinte bitterlich“.

Wenn es nach der Lehre der Katholischen Kirche geht, weint der Papst, der ja als der von ihr reklamierte Petrusnachfolger gilt, praktisch nie, denn der ist ja unfehlbar. Das erst 1870 festgelegte, sogenannte Unfehlbarkeitsdogma, das dem Papst zukommt, besagt, dass er als unfehlbar gilt, wo er als „Lehrer aller Christen“ eine Glaubens- oder Sittenfrage als endgültig entschieden (ex cathedra) verkündet.

Dieses Bild der Unfehlbarkeit, auch wenn diese sich nicht auf alle Lebensbereiche des Papstes bezieht, sondern nur auf den der Lehre zu Glaubens- und Sittenfragen, steht im krassen Widerspruch zum biblischen Petrus. Ja, es ist unmöglich und gleicht einer Ohrfeige für Christus, dass eine solche, wenn auch nur partiell gedachte, „Unfehlbarkeit“ für den Petrusnachfolger beansprucht wird.

Diese Vergöttlichungen von Amtsinhabern sind zugleich das größte Hindernis in der Ökumene. Die Differenzen liegen nach wie vor im Amtsverständnis der Kirchen begründet. Als Amtsinhaber sind wir keine Halbgötter. Längst ist auch der Widerspruch zwischen diesem Amtsträgeranspruch und der Wirklichkeit offenbar geworden. Ich möchte mal Herrn Woelki oder andere kirchliche Autoritäten, die Missbrauch verharmlosen oder Missbrauchende decken, so bitterlich weinen sehen wie Petrus damals, als der über sein eigenes Versagen erschrocken war.

Diesem nicht heiligen, sondern scheinheiligen Amtsverständnis haben wir es zu verdanken, dass Christen nicht nur reihenweise aus der Katholischen Kirche austreten, sondern verrückter Weise auch aus der Evangelischen, weil sie da gar nicht unterscheiden.

Ein Hohn, denn gerade, dass wir alle gleichermaßen Sünder sind und alle gleichermaßen der Gnade bedürfen, war die große Entdeckung Martin Luthers, die sich auch auf die Gestaltung unserer Kirche konsequent ausgewirkt hat.

Die Geschichte von der Verleugnung des Petrus ist eine Geschichte, die allerdings nicht nur dem Papst, den Kardinälen und Bischöfen den Heiligenschein abspricht, sondern auch uns, die wir hier sitzen oder stehen, denn dieser heilige Schein, der da bei Petrus völlig zerbröselt, tut das nicht nur bei seiner erzählten Verleugnung, sondern auch bei anderen Gelegenheiten und in allem sind wir als Nachfolgende angesprochen. Das ist immer so, wenn in der Bibel von Jesu Jüngern und deren reden und Verhalten erzählt wird. Dann sind im Grunde wir im Blick, wir alle sind gemeint, also mehr oder minder direkt angesprochen. Denn die Evangelien wurden für die nachfolgenden Gemeinden geschrieben  und haben sich nicht als Zeitungsberichte für alle Welt verstanden. Die Worte, die dem Petrus gesagt sind, als Jesus zuvor im Garten gebetet hatte, sind also uns gesagt und für uns wie ein Spiegel hingehalten: „Simon, schläfst du? Vermochtest Du nicht eine Stunde zu wachen?“ Sie gelten nicht nur jedem von uns individuell als Frage, sondern auch der Gesamtheit der Nachfolgenden, also der Kirche. Sie sind Mahnung zur Wachsamkeit und Nüchternheit. Sie rufen uns aus dem Kirchenschlaf, wo wir unserer Aufgabe gegenüber den Menschen nicht genügend gerecht werden, die die frohe Botschaft und unsere Solidarität brauchen und glauben, dass das alles von selbst passiert, während wir uns hauptsächlich mit zweitrangigen betriebswirtschaftlichen Fragen, also mit uns selbst, beschäftigen.

Sie rufen uns auch zur Wachsamkeit und Nüchternheit, wo wir uns in Zeiten wie Corona als Kirche zu sehr emotionalisieren und instrumentalisieren lassen wie andere auch und zu sehr zurückhalten, statt kritisch und wachsam zu bleiben und zu sagen, wie und warum wir als Kirche die Wache halten müssen und auch im real sich vollziehenden gemeinschaftlichen Leben gebraucht werden. In Corona-Zeiten muss man als Kirche jedenfalls mehr sagen als nur „Rücksichtnahme, Abstand halten und Amen“ und jedem Wissenschaftler oder Politiker nachplappern, weil die gerade mehr Halbgottstatus haben als all die Geistlichen, wo der Halbgottstatus zerbröckelt ist.

Auch die anderen Geschichten von Petrus und all den anderen Jüngern, wie sie in ihrer ganzen Menschlichkeit mit Gelingen und Versagen in den biblischen Geschichten begegnen, wollen uns direkt ansprechen, uns ins Herz treffen – ja, und wollen uns durchaus hier und da erschüttern und zum Weinen bringen. Zu erinnern ist etwa auch an die erzählte bildhafte Geschichte, wo Petrus Jesus auf dem Wasser entgegen geht, aber als er seiner Angst folgt, droht im Wasser zu versinken und Jesus nach seinem Vertrauen fragt. Da heißt es: „Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! 31 Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“.

Auch und gerade diese Frage nach dem Vertrauen gilt uns, nicht irgendeiner Petrusfigur aus alten Zeiten. Und wir brauchen auch gar nicht wie oft im Umgang mit diesen biblischen Geschichten von Petrus oder anderen Jüngern geschehen, mit dem Zeigefinger auf sie zu zeigen, um geschickt von uns selbst abzulenken. Bekanntlich zeigt derjenige, der mit dem Zeigefinger auf jemanden zeigt, mit drei Fingern auf sich selbst zurück.

„Auf wen oder was vertraust Du?“ fragt einen jeden von uns diese Geschichte. Und unsere Kirche muss sich dieselbe Frage gefallen lassen: „Worauf setzt Du dein Vertrauen? Einfach nur auf Einschaltquoten wie beim Fernsehen oder auf Verkaufszahlen wie bei der Zeitung? Oder auf den Gott Mammon, der unsere Kirche in die Knie zwingen will? Oder auf die Angst, welche sich auch immer gerade anbietet, um in der Bedeutungslosigkeit zu versinken? Schiel nicht umher wie Petrus und lass deinen Blick nicht von der Angst bannen, wie Petrus, der zunächst mutig zu Christus aufgebrochen, liebe Kirche. Bleib auf deinem Weg zu Christus, ja, und geh sogar mit Petrus nicht nur übers Wasser, sondern auch bis in die Vorhöfe der Gewalt und des Grauens. Folge dem Christus. Er ist dort. Scheue den Blick nicht davor, stelle dich auf die Seite der Leidenden und Entrechteten und wo es Dir nicht gelingt, schaue ehrlich in den Spiegel und fang an, zu weinen. Es wird Dir helfen, Wege zu den Menschen zu finden und Gnad e und Solidarität bei Gott zu finden und dich mit Gott auszusöhnen.

Und schließlich nicht zu vergessen die Versagensgeschichte von Petrus bei der Verhaftung. Dem Johannesevangelium nach zieht Petrus das Schwert und schlug einem der Häscher, die bewaffnet gekommen waren, das Ohr ab, obwohl das nicht im Sinne Jesu war und Jesus muss ihn maßregeln: „Steck dein Schwert zurück! Denn wer das Schwert zieht, wird durch das Schwert umkommen!“ „Das ist nicht unser Weg“, sagt Jesus uns allen damit ins Herz.

Auch das ein „Versagen“, was nicht der böse Petrus da zeigt – um den geht s in der Geschichte nicht wirklich, sondern um die Angesprochenen, sowohl damals als auch heute – unser Versagen wird hier aufgezeigt. Wie oft haben nicht gerade die Kirchen und Religionen Konflikte und Kriege angeheizt und den Griff zur Waffe gerechtfertigt, wo es durchaus noch andere Wege gab.

Glauben wir nicht, wir seien fern von alledem, was uns über Petrus, Jakobus, Johannes und Judas oder wie auch immer erzählt wird. Wir sind mitten drin in diesen Geschichten. Es ist unsere Geschichte und es ist auch unsere große Angst, die uns den Herrn verleugnen lässt, wegschauen oder weglaufen lässt. Es gibt kein Rezept dagegen. Es gibt nur Ermutigung durch unsern Herrn Jesus Christus selbst, dessen Geist und Wort wir folgen können und es Gnade und Vergebung bei Gott, die wir immer wieder brauchen, wie sie auf diesem Radiergummi zugesagt ist.

Und da komme ich nun am Schluss noch mal auf den Hahn zu sprechen, der ja in der Geschichte eine große Rolle spielt. Die Frage ist ja, wie kommt der Hahn auf den Kirchturm? Was soll der da oben? Der Hahn findet sich auch schon auf Sarkophagen der Verstorbenen der ersten Jahrhunderte nach Christus als Symbol. Man kann sagen, er gilt als Symbol eigener Reue und Umkehr des Menschen und als Erinnerung, wie wertvoll Gottes Gnade ist. Entsprechend heißt es in einem bekannten Hymnus des heiligen Ambrosius, der im Jahr 397 gestorben war: „Der Fels der Kirche, Petrus, weint, bereut die Schuld beim Hahnenschrei. So stehet rasch vom Schlafe auf: Der Hahn weckt jeden, der noch träumt. Der Hahn bedrängt, die säumig sind, der Hahn klagt die Verleugner an“. Klare orientierende Botschaft, die sich mit dem Hahn verbindet und die ihn auf die Kirchtürme gebracht hat, in unseren Regionen und in Süddeutschland eigentlich nur auf die katholischen Kirchtürme. In Norddeutschland ist es aber eher umgekehrt. Mir sagt das allerdings: Hier gibt es keinen Unterschied in der Ökumene, keinen Unterschied zwischen evangelisch und katholisch in unserer aller Fehlbarkeit. Vor dem Hahn sind wir alle gleich. Und er ist, da er sehr verbreitet ist auf den katholischen Kirchtürmen, doch auch in der katholischen Kirche ein gutes Korrektiv gegenüber Allmachts- und Unfehlbarkeitswahn. Zum Glück ist es kein „halver Haan“. Ein Käsebrötchen auf dem Kirchturm könnte uns freilich nicht zur Erkenntnis von Fehlbarkeit und Gnade und entsprechender Demut hin orientieren. Es muss schon ein richtiger, ganzer ausgewachsener Hahn sein. Und da bin ich jetzt doch neidisch auf die katholischen Kirchtürme in unseren Regionen. Amen

Überleitung zu Lied der Sänger: „Also (so sehr) hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“