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Predigt zum Sonntag Okuli 20. März 2022

Predigt über 1 Kön 19,1-13a

Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.
Amen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus
Es ist genug! Es reicht! Ich denke es jeden Tag.
Ich bete es jede Nacht.
Es ist genug. Genug an Krieg. Genug an Pandemie. Genug an Leid, an Überforderung und genug mit diesen ständig neuen Herausforderungen.
Ich sehe kein Land mehr.
Es ist genug.

Es ist genug … Diese drei Worte soll, so erzählt der heutige Predigttext aus dem Ersten Testament, einst Elia, der Prophet, gesagt haben.
Als erster Prophet, dessen Namen bekannt ist, tritt Elia auf und vertritt den Glauben an den einen Gott der Väter und Mütter. Der ist für Elia größer und mächtiger als Alles, und was sich ihm entgegenstellt, wird scheitern oder muss zum Scheitern verurteilt werden.
Elia ist ein mächtiger Streiter für den HERRN. Gerät in Konflikt mit den eigenen religiösen Vorschriften, v.a. aber mit den Gesetzen des Landes, mit der politischen Herrschaft.
Elia ist wortgewaltig und er wurde handgreiflich. Bis es zu der heute beschriebenen Gefühlslage und der Begegnung mit Gott kommt, liegt viel hinter Elia, viel liegt auch noch vor ihm.

Der biblische Text für diesen Sonntag aus dem 1. Buch der Könige erzählt von der Müdigkeit des Elia. Und er erzählt davon, wie Gott den Elia in seiner Müdigkeit berührt und ihm neue Perspektiven aufzeigt:
An dieser Stelle lese ich den Beginn des Textes:

191Ahab erzählte Isebel alles,was Elia getan hatte –auch dass Elia alle Propheten des Baal getötet hatte.2Daraufhin schickte Isebel einen Boten zu Eliaund drohte ihm:»Die Götter sollen mir antun, was immer sie wollen,wenn ich deinem Leben nicht ein Ende setze!Morgen um diese Zeit soll es dir ergehenwie den Propheten, die du getötet hast!«3Da geriet Elia in große Angst.Er sprang auf und lief um sein Leben.So kam er nach Beerscheba an die Grenze von Juda.Dort ließ er seinen Diener zurück.4Er selbst ging noch einen Tag lang weiter –tiefer in die Wüste hinein.Dann setzte er sich unter einen Ginsterstrauchund wünschte sich den Tod.»Es ist genug!«, sagte er.»Herr, nimm mir doch das Leben!Denn ich bin nicht besser als meine Vorfahren.«5Schließlich legte er sich hinund schlief unter dem Ginsterstrauch ein.

Ihr Lieben,
manches in dieser Geschichte, die so ganz unbekannt und unbeleuchtet unter uns nicht ist, höre und lese ich in diesen Tagen ganz anders als zuvor.

Elia – sein hebräischer Name ist wie ein Manifest oder Programm; übersetzt heißt er: Jahwe ist Gott. Elias Name ist das personifizierte erste heilige Gebot: Es soll keine anderen Götter geben neben Jahwe.
Elias Stimme ist nicht leise, er ist kein Mahner oder Hinweisgeber. Er ist ein Kämpfer, ein Streiter, mit Feuereifer im wahrsten Sinne des Wortes agiert er in einem großen Konflikt mit der politischen Führung, König Ahab und Königingemahlin Isebel.
Wie kommt es dazu? König Ahabs Politik ist umstritten. Vielleicht sogar deshalb, weil Ahab innerhalb seiner Führungsrolle eine Art Ausgleich suchte zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, der kanaanäischen Bevölkerung und den Angehörigen des Volkes Israel. Unter Ahabs Regierung waren neben den kultischen Stätten für den Gott Israels auch Heiligtümer für den Gott Baal erlaubt. Wahrscheinlich sympathisierte sogar die Königingemahlin Isebel mit den Baalspropheten, mochte deren Riten und gab dieser Religionspraxis persönlich den Vorzug.
Die Politik Ahabs war auf einen vorsichtigen Ausgleich von Interessen und Macht angelegt, offen für Kompromisse.
Elia, der Streiter für Gott, kannte aber keine Kompromisse.

Ich habe anfangs gesagt, dass ich diese bekannte Geschichte in diesen Zeiten neu lese bzw. höre.
Bisher war für mich immer klar, wer in dieser religiösen und politischen Gemengelage der Böse und wer der Gute ist. Heute denke ich: ist nicht Elia auch fanatisch und unbeugsam? Alles andere als ein Vorbild im Glauben?
Vor meinen inneren Augen tauchte sogar das Gesicht des – zugegeben – mutigen und wortgewaltigen Wolodomir Szelensky auf, ist er auch ein Elia?
Ich weiß, ich habe viel zu geringes Wissen über die Geschichte Russlands und der Ukraine und von militärischer Taktik habe ich schon gar keine Ahnung.
Ich habe in meinem Leben aber schon erlebt, dass Konflikte zwischen Politikerinnen, Politikern, Expertinnen und Experten nicht in solcher Schärfe verlaufen wie zwischen Ahab/Isebel und Elia. Das, was da auf dem Karmel passiert ist, war eine Eskalation.
Elia ist nun dem Tod preisgegeben, quasi vogelfrei. Meine Gedanken gehen kurz zu Martin Luther, über den man auch zeitweise die Reichsacht verhängt hatte.
Was tut Elia in dieser Situation? Er flieht. Er fürchtet um sein Leben heißt es, er fürchtet nicht um einen Machtverlust seines Gottes.
Elia flieht, ungefähr 200 Kilometer muss das sein in den Süden des Landes nach Beersheba.
Doch die quirlige Stadt scheint ihm kein geeigneter Ort zu sein. Elia geht weiter in die Wüste, ganz allein, müde vom Kampf, müde davon, wie diese Welt ist, müde vor Enttäuschung und Angst. „Es ist genug.“ Mit diesen Worten lässt er sich unter einen Ginsterstrauch sinken. Elia bittet Gott um Erlösung, um seinen Tod.

Elia gibt auf, er gibt sich auf. Er hat es nicht geschafft. Sein Kopf ist leer, sein Herz ist schwer.

Wenn ich die Bilder des Krieges sehe, wie Menschen da ausharren und hoffen und organisieren, denke ich immer – woher nehmen sie nur ihre Kraft? Säße ich nicht längst irgendwo verzweifelt in einer Ecke oder unter einem Busch? Würde ich mich nicht helfenden Händen hergeben, oder auch einer Staatsmacht oder den Besatzern?
Aber ich sehe ja andererseits auch die Generalmobilmachung der Zivilisten, von jedem und jeder in der Bevölkerung, die zu einer Waffe greifen wollen und auch eine bekommen, um sich und das Land zu verteidigen. Ist das eine wirkliche Alternative? „Du sollst nicht töten“ außer einer will dich töten?

Elia, der Prophet, er hatte doch mächtige Waffen. Seine mächtigste Waffe ist das Wort, das Wort in dem er mit Hilfe Gottes sogar den Tod von Menschen herbeiführte. Auch das denke ich übrigens in diesen Zeiten nochmal ganz anders.
Aber Elia scheint jetzt entmachtet. Er hat abgerüstet oder wurde von Gott abgerüstet. Er gibt sich offensichtlich einer höheren Macht hin. Oder gibt Elia auf?
„Es ist genug“.

Die Worte markieren eine Wende. Sie verlangten, ausgesprochen zu werden.
Vielleicht ist es manchmal nötig, sie auszusprechen. Innezuhalten, sich zurückzuziehen.
Das Leben, die Anforderungen an uns und unsere eigenen Anforderungen, sie zehren uns aus.
So vieles kann Menschen müde und mutlos werden lassen.
Müde werde ich, wenn ich sehe, was auf dieser Welt geschieht. Müde werde ich angesichts dessen, was ich in der Zeitung lese, in den Nachrichten höre oder im Fernsehen sehe. Es ist genug des Leidens, der Gewalt, der Ungerechtigkeit in dieser Welt. Es reicht, dass Menschen unter unwürdigen, gesundheitsgefährdenden, lebensbedrohlichen Bedingungen arbeiten und leben.
Müde werde ich auch, wenn ich sehe, wie manche Menschen, auch junge Menschen, Jugendliche, immer noch so ganz für sich leben, egoistisch denken, hamstern, nicht teilen, wenn es an Respekt mangelt. Müde werde ich, wenn sich nichts bewegt.
Und manchmal muss es raus.

Und es gibt noch eine andere Seite, eine nicht weniger schmerzhafte. Elia spricht es aus: „Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter.“ Gemeint ist: Meine Mütter und Väter, die Generationen vor mir.
Was für ein niederschmetternder Gedanke. Ich wollte es doch besser machen. Und was ist von diesem Vorhaben geblieben? Wo sind meine Ideale, meine Wünsche, meine Hoffnungen geblieben? Was habe ich erreicht, oder besser: Was habe ich alles nicht erreicht?
Wie oft habe ich in diesen Tagen schon gedacht: Das wollte ich nicht, ich wollte nicht, dass meine Kinder und Enkel in einer solchen Welt aufwachsen müssen, ich hätte es doch besser machen müssen und können. Wir alle können es doch besser.

Doch mit Elia erkenne ich verzweifelt: „Ich bin nicht besser als meine Väter und Mütter.“
Ich mache es nicht besser, im Gegenteil, manches ist schlimmer und ich trage daran meinen Teil der Verantwortung. Mit Paulus könnte ich sagen (Römer 7,19): „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“

Beides, die Angst vor dem, was droht und die Einsicht in das eigene Unvermögen, kann müde machen.
So sinkt Elia unter das Gebüsch und möchte dort liegen bleiben. Elia, der Perfektionist in Glaubensfragen, sagt von sich: Ich bin nicht besser als meine Väter. Der Weg, den ich bisher mit kompromissloser Härte gegangen bin, hat mich in die Wüste, also wie in eine Sackgasse geführt. Elia braucht eine neue Perspektive.

Ich lese den Predigttext weiter:
Plötzlich berührte ihn ein Engelund forderte ihn auf: »Steh auf und iss!«6Als Elia um sich blickte,fand er etwas neben seinem Kopf:frisches Fladenbrot und einen Krug mit Wasser.Er aß und trank, dann legte er sich wieder schlafen.7Doch der Engel des Herrn erschien ein zweites Mal.Wieder berührte er ihn und sprach: »Steh auf und iss!Denn du hast einen weiten Weg vor dir!«

Im Augenblick großer Müdigkeit, so erzählt die Geschichte, ist da ein Engel. Er berührt Elia, „rührte ihn an“, wie es heißt. Und spricht: „Steh auf!“ Elia kann sich nicht selbst aus dieser Müdigkeit befreien. Er braucht, es braucht diese Berührung von jemand anderem. Es braucht ein aufbauendes Wort.

Das haben wir alle schon mal erlebt. Aber – die Kontaktaufnahme, die erste Berührung, sie reicht nicht. Die Kraft, der Mut, die Hoffnung, der Kampfgeist – sie kommen bei Elia nicht zurück.
Es braucht Zeit, solche Welt- und Lebensmüdigkeit hinter sich zu lassen.
Und der Engel des HERRN kam zum zweiten Mal wieder. Immerhin, Elia gelang es dann im zweiten Anlauf, wieder auf die Beine zu kommen und sich weiter auf den Weg zu machen. Doch damit hat er noch keine neue Perspektive gewonnen. Er hat nur die Kraft, sich auf den Weg zu machen. Oder wie der Engel sagt: „Du hast einen weiten Weg vor dir.“

Elia muss tiefer und tiefer in die Wüste hinein, um dorthin zu gelangen, wo ihm Gott begegnen wird, zum Berg Horeb. Vierzig Tage und Nächte wird seine Reise dauern. Dies ist die biblische Zahl, die auch in den vierzig Tagen der Passionszeit wiederkehrt.
Ich lese weiter den Bibeltext:
8Da stand Elia auf, aß und trank und ging los.Durch das Essen war er wieder zu Kräften gekommen.40 Tage und 40 Nächte war er unterwegs,bis er den Horeb, den Berg Gottes, erreichte.9Dort ging er in eine Höhle, um darin zu übernachten.Doch da kam das Wort des Herrn zu ihm:»Was tust du hier, Elia?«10Elia antwortete:»Bis zum Äußersten bin ich für dich gegangen.Alles habe ich für dich getan,für den Herrn, den Gott Zebaot!Denn die Israeliten haben deinen Bund verlassen.Sie haben deine Altäre niedergerissenund deine Propheten mit dem Schwert getötet.Ich allein bin übrig geblieben.Doch jetzt wollen sie auch mich umbringen!«11Da sprach Gott zu ihm: »Komm heraus!Stell dich auf den Berg vor den Herrn!«
Und wirklich, der Herr ging vorüber:Zuerst kam ein gewaltiger Sturm,der Berge sprengte und Felsen zerbrach.Der zog vor dem Herrn her,aber der Herr war nicht im Sturm.Nach dem Sturm kam ein Erdbeben.Aber der Herr war nicht im Erdbeben.12Nach dem Erdbeben kam ein Feuer.Aber der Herr war nicht im Feuer.Nach dem Feuer kam ein sanftes, feines Flüstern.13Als Elia das hörte,bedeckte er das Gesicht mit seinem Mantel. Dann trat er aus der Höhle herausund stellte sich an ihren Eingang.

Elias Kampf auf dem Karmel war ein Schaukampf, eine Machtdemonstration. Sie führte kurzzeitig zur Klärung der Machtverhältnisse, zur Lösung einer großen Herausforderung. Aber: Sie führte nicht zum Erfolg, sondern in die Depression.

Dieser Kampf des Elia war ein Kampf mit dem Bild eines Gottes, der auf Effekte und Demonstrationen seiner Macht setzt. Der sich durchsetzen, sich behaupten will.
Dieser Kampf änderte äußerlich etwas, innerlich aber nicht.
Denn: Erst ein Engel rührt Elia an. Und er spricht zu ihm, stärkt ihn und lässt ihn auch auf dem Weg des Glaubens und auf dem Weg der Gottsuche weitergehen.

Für Elia ist es dann noch ein weiter Weg, bis er das Neue erkennen kann, bis er eine neue Perspektive gewinnt. Wie radikal anders diese Perspektive ist, erzählt das Ende der Geschichte. Gott begegnet Elia schließlich in einem stillen, sanften Sausen, wie Luther es übersetzt. Hier muss Elia genau hinsehen, aber vor allem genau hinhören, um Gott wahrnehmen zu können. Das stille, sanfte Sausen ist ein Gegenbild zu der kompromisslosen Härte, mit der Elia bis dahin für Gott gekämpft hat.

Gott will nicht überwältigen, er will überzeugen. Gott will berühren mit einem stillen, sanften Sausen, einem Hauch; mit seinem Wort.
So, wie es später ins Leben der Menschheit ruft mit Jesus von Nazareth. Der hat auch mal gezankt und gerungen und gekämpft, geschimpft, gepoltert, Tische umgestoßen, hat es laut versucht und mit aller Härte.
Sichtbar geworden ist die Berührung Gottes an ihm letztlich in seiner Geduld, seinem unbeugsamen Friedenswillen, der selbst seinen Jünger das Schwert aus der Hand legen lässt, als er im Garten Gethsemane abgeführt wird.
In ihm, in Christus wird jenes sanfte, stille Sausen, jener Lebenshauch der Liebe erfahrbar, wenn er spricht (Matth 11,28-30): „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“

Dieser Hauch hat Elia berührt. Von diesem Hauch will ich mich berühren, will ich mich aufrichten und ermutigen lassen auf dem manchmal langen Weg.

Der Glaube an Gott, der alles vermag, sogar über Leben und Tod zu entscheiden, ist alles, was Elia bleibt.
Seinen inneren und äußeren Kampf, den legt er ab. Erst dann ist er dafür sensibel genug, sich von Gott berühren zu lassen.
Es ist genug. Vielleicht müssen Sie, muss ich, das auch mal sagen.
AMEN
Und der Friede Gottes, der größer ist als all unser Denken und begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn. AMEN