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Foto: Lotz (c)gemeindebrief.de

Predigt zum Weltgebetstag von Ulrike Plath

Liebe Weltgebetstagsgemeinde,

es wäre so schön gewesen.
Wir hätten so einen schönen Weltgebetstags-Gottesdienst feiern können mit einem befreienden Hoffnungsthema, das gut zu gelockerten Pandemiebedingungen, leichten Omikronverläufen und Frühlingssonne gepasst hätte.
Von drei Frauen, die Dank Gott Hilfe, Kraft und Hoffnung fanden. Für die Gottes Zukunftsplan zu einer Wendung zum Guten wurde.
Aber: die Welt hat sich weiter gedreht.
Und ich stolperte plötzlich über das Lied „Du hast einen Plan für mich“. Wie sollen wir so ein frohes hoffnungsvolles Lied singen in dieser Woche? Lesen Sie mal im Strophentext mit:
Heimatlos, umher-irren ohne Ziel und Plan, und Fragen nach dem Wohin, das hört sich so konkret nach dem an, was gerade die Flüchtlinge aus der Ukraine durchmachen, und dies vor allem Frauen und Kinder. Und in Strophe 2: „ Göttliche Weisheit führt mich aus dem Alltagsgrau, durch blühende Weiten kann ich freudig weiterziehen“.
Können wir das angesichts des Leides, von dem wir jetzt seit einer Woche sehen und hören, überhaupt in den Mund nehmen singen?

Wie geht es Ihnen mit den Berichten aus der Ukraine, von den Flüchtenden aber auch von den Kämpfen? Kennen Sie ähnliches aus eigener Erfahrung oder aus Erzählungen in der Familie oder im Bekanntenkreis?

Mir geht vieles durch den Kopf. Ich bin erschüttert und kann nicht fassen, was da passiert.
Aber: ich erkenne auch, dass der Bibeltext für den heutigen Weltgebetstag genau der richtige Text für diese Zeit ist. Es ist eine wirklich großartige Bibelstelle.
Denn der Text handelt von Menschen in Not, die in die Fremde ziehen müssen. Von Menschen aus Jerusalem, die vor ca. 2600 Jahren in ein anderes Land verbannt wurden.
Ja, die Situation ist nicht vergleichbar. In Todesangst flüchten oder verschleppt werden, das ist etwas anderes.

Aber Jeremia schrieb in Gottes Auftrag an Menschen, die sicher ähnlich Schreckliches erlebt hatten, wie die Ukrainische Bevölkerung.
Als Jeremia Prophet wurde, waren Krieg und Unterdrückung seit Generationen an der Tagesordnung. Das Königreich Juda wurde von den Babyloniern kontrolliert. Verschiedene Könige versuchten, Freiheit zu erkämpfen. Aber drei Mal führten die Besatzer Teile der Bevölkerung ins Exil weg, meist waren das die Köpfe des Landes, die Adeligen, die Regierenden, die Priestereliten, also die wichtigsten Berater und Beschützer der Einwohner. jeweils zwischen 800 und mehreren Tausend Menschen. So wollte man das Volk von Juda schwächen.

Schließlich wurde Jerusalem 1,5 Jahre lang belagert, Hunger und
Verzweiflung waren groß. Von Kannibalismus und anderen Gräueltaten wird berichtet.
Die Stadt wurde erobert, zerstört und niedergebrannt, viele Menschen starben im Kampf, oder wurden einfach von den Siegern hingerichtet, um weiteren Widerstand zu brechen.
Auch der prächtige, heilige Tempel wurde zerstört, die Ritualgegenstände geraubt, selbst die großen Bronzesäulen am Eingang als Kriegsbeute weggebracht. Für alle Gläubigen war dies der heilige Wohnort Gottes gewesen, dessen Gegenwart im Tempel die Kraftquelle für das Leben bildete.
Bis heute wird am Fasten- und Trauertag Tischa Be´av in jüdischen Gemeinden weltweit an die Tempelzerstörung erinnert. So entsetzlich war dieser Verlust.

Die Gefangenen vor 2600 Jahren mussten sich auf den langen Weg ins Babylonische Kernland, den heutigen Iran, machen. Das sind heute mit dem Auto auf guten Straßen ca. 1100km. Selbst wenn sie
20 km am Tag zu Fuß schafften, vielleicht ohne Transportmittel, mit den Ältesten und den Jüngsten, brauchten die Judäischen Familien ungefähr 2 Monate. Oder länger. Voller Strapazen. Sicherlich auch voller Hunger und Tod.
Und wahrscheinlich in Angst um die Zukunft.
Vor Zwangsarbeit, Misshandlung, Armut, Diskriminierung? Niemals eine Rückkehr in die Heimat ? Wie sollte man die Angst aushalten? Woher noch die Kraft für Hoffnung nehmen? Und dazu kam die Sorge um die Zurückgebliebenen zuhause.
Aber in diese Ungewissheit hinein erhielten die Menschen in Babylon eine Botschaft Gottes aus der Heimat, die Trost und Hoffnung sein sollte.
„Baut Häuser und wohnt darin! Pflanzt Gärten und verzehrt ihren Ertrag“.
Aber Moment mal, das ist doch erstmal seltsam. Da steht kein mitfühlendes „ich trauere mit euch um die Zurückgelassenen und Verstorbenen, ich verstehe euer Heimweh, eure Not, eure Angst. Ich bin euer Trost und eure Stärke.“
Das könnte man doch erwarten. Steht hier aber nicht geschrieben.
Das hört sich doch an wie eine Werbeanzeige für einen Baumarkt oder das Gartencenter.
Aber es geht ja noch weiter:
6Heiratet und bekommt Söhne und Töchter. Verheiratet eure Söhne und Töchter, so dass auch sie Söhne und Töchter bekommen. … 7Seid um das Wohl der Stadt, in die ich euch verbannt habe, besorgt. Betet um ihretwillen zu Gott, denn in ihrem Wohl liegt auch euer Wohl.

In der englischen Standard-Bibel, der King James Bible, heißt es sogar noch deutlicher: „denn in dem Frieden dieser Stadt werdet auch ihr Frieden haben.

OK, das „Baut Häuser“ kann man noch nachvollziehen, ein Dach überm Kopf bekommen nach Monate langem Marsch, nachts unter freiem Himmel oder allenfalls in Zelten… das ist irgendwie logisch. Aber dann „Pflanzt Gärten an“ ?

Ich bin ein Gartenmensch, bei mir vibrieren jetzt im Frühling die Fingerspitzen, die sich aufs erste Unkraut stürzen wollen.
Ich finde, dass Gott da unheimlich geschickt durch den Propheten mit den Verschleppten spricht.
Er spricht zu Menschen, die sich wahrscheinlich in einer inneren Schockstarre befanden, hilflos, ohnmächtig in einer unbekannten Welt. Und daher enthält Jeremias Brief klare Sätze, die sagen: hier gehts lang, so machen wir das. Klare Anweisungen für einfache Aufgaben, die die Menschen kannten: Bauen, säen, ernten, essen, heiraten, Kinder zeugen, und beten. Heute würden wir das als Aktionsplan für erfolgreiche Integration bezeichnen, in dem Menschen in Not Kontrolle über einen kleinen Teil ihres Lebens übernehmen können.

Aber so ein Garten bietet mehr als nur reines Überleben durch Nahrungsmittel:
Er ist Heiltherapie für Körper, Geist und Seele.
Von Gott, der selbst der große Gärtner ist und Bescheid weiß.

Zum einen wird natürlich der ganze Körper beansprucht, die Muskeln und Sehnen aktiviert, der Kreislauf angeregt, der Stoffwechsel in Gang gebracht. Vielleicht schauten die Exilanten in den Himmel nach dem Wetter und dem Sonnenstand. So etwas richtet rein körperlich auf.

Jede Gärtnerin, jeder Gärtner erlebt außerdem selbst das Wunder des Lebens, beim Säen, wässern und schützten, bis etwas wie aus dem Nichts zu wachsen, zu blühen beginnt. Ganz das Gegenteil zu der Dunkelheit im Innern.
Alle Gartenverrückten der Welt werden bestätigen, dass man dabei aufblüht. Dass es gut tut, in der Erde zu wühlen, Wetter und Wind auf der Haut zu spüren, Natur zu riechen. Dass man “ geerdet wird“. Und beim Nachdenken und Planen über das „Wie mach ich das jetzt richtig?„ , oder durch die Konzentration auf das Graben und Gießen kann man für eine Weile die Last der Welt vergessen. Dann hat eine erschöpfte Seele auch mal Pause.
Dann kann man verarbeiten, was einen bedrückt. Und ganz einfache Hoffnungen können wachsen, auf den nächsten Regen, eine prachtvolle Blüte, oder besonders leckere Tomaten,
oder auch die Hoffnung, dass man Sinnvolles erreichen kann, auch in einer fremden Situation.

Hoffnung, die sich ausweiten kann, aus der schließlich Zuversicht für eine Zukunft werden kann.
Denn mit jedem Samenkorn schaffen wir Zukunft. Ob im Beet oder im Topf auf dem Balkon oder Fensterbrett: jedes Mal, wenn wir dieses Samenkorn begießen, müssen wir hoffen und vertrauen, dass da eine Zukunft kommt.
Vielleicht erinnert Sie das an diesen Spruch von Martin Luther:
Auch wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen.
Oder an ein chinesisches Sprichwort, das vielleicht so alt ist wie unsere Bibelgeschichte: Das Leben beginnt an dem Tag, an dem du einen Garten anlegst.

Aber ich lese diese Bibelverse auch so: Jeremias Brief erinnerte die Heimatlosen an ihre kulturelle und spirituelle Herkunft, daran wer sie sind, egal wo sie jetzt lebten, und was sie verloren hatten.
Dieses „Pflanzt Gärten an“ erinnerte sie eigene Geschichte, dass sie an die Anfänge der Menschheit in einem wunderbaren Garten glauben, in dem Frieden herrschte und Gott den Menschen nahe war. Auch daran, dass dies ein Gott ist, der die ersten Menschen, Adam und Eva, zwar hinaus in die Welt schickte außerhalb dieses Paradieses, der ihnen dazu aber eigenhändig schützende Mäntel herstellte und anzog. Und der ihnen sagte, wie sie sich von da an ernähren konnten: von den Früchten, die sie auf den Feldern anbauen, wie jetzt in den Gärten, die sie anlegen sollten. Ein Gott, der für sie sorgt, was auch immer sie tun, was auch immer geschieht. Der da ist, so wie sie ihn jeweils brauchen.

Und endlich steht im Brief auch, dass Gott doch weiß um die Ungewissheit und die Trauer und die Angst. Denn weiter heißt es:
Wenn für Babel 70 Jahre vorbei sind, … werde ich, euer Gott, an euch die Zusage meines Wohlwollens erfüllen … ich will euch Zukunft und Hoffnung geben. ….Ich werde euer Schicksal zum Guten wenden … Ich bringe euch an den Ort zurück, von dem ich euch in die Verbannung weggeführt habe.

Eine klare, hilfreiche, hoffnungsvolle Auskunft über die Zukunft: Rückkehr wird möglich sein, Alles wird gut werden, Frieden wird sein.
Aber wir hören auch: Das alles wird lange dauern. Sicher zwei bis drei Generationen, die Ältesten werden das alles nicht mehr erleben. Und trotzdem wird ihnen gesagt: Seid um das Wohl dieser Stadt besorgt. Suchet der Stadt Bestes. Seid Teil dieses Zukunftsplans Hoffnung, für die, die nach euch kommen. Und füllt eure Zeit mit Gutem und Sinnvollem für die Gegenwart. Baut mit am Frieden, dann habt ihr auch Frieden.

Und tatsächlich wurde es durchaus gut. Mit ihrem Wissen, ihren Erfahrungen und Talenten durften die Menschen aus Juda zum Wohl Babylons beitragen und ein relativ selbstbestimmtes und gutes Leben führen. Sie integrierten sich so gut, dass schließlich nicht alle Familien nach Jerusalem zurückkehrten.

Und die Bibelforscher unserer Zeit sind sich einig, dass unter anderem diese Exilanten viele der mündlichen Überlieferungen und einzelne schriftliche religiöse Texte zusammensammelten, über diese Gottheit, die die Menschen liebt, und für immer Bund und Treue hält und das Werk ihrer Hände niemals aufgibt.
Die Judäer in Babylon hinterließen uns damit das Fundament für unser Altes Testament. Die Geschichte von den Erfahrungen, die Menschen mit Gott gemacht haben, vom ihrem Vertrauen in den Gott, der durch Jeremia einen Brief in die Not schickte.

Darauf baut Vieles auf, an das wir heute als Christinnen und Christen glauben.
Das ist die Grundlage, auf der Jesus von Nazareth seine Jünger und Jüngerinnen lehrte, der ja auch ein jüdischer Schriftgelehrter, ein Rabbi, war. Der auch uns immer wieder durch die Zeiten hindurch erklärt, was dieser gütige und treue Gott mit uns vorhat, von uns will.

Die drei Frauen aus Großbritannien, Natalie, Emily und Lina, haben das auch gehört.
Als die eigenen Lebenspläne sich zunächst in Hilflosigkeit, Armut, Ausgrenzung und Angst verwandelten, konnten sie daraus Kraft schöpfen und Zuversicht für eine Zukunft entwickeln.

Jeremias Brief richtet sich auch an uns heute, ein Hoffnungsplan Gottes, der schon vor 2600 Jahren aufgeschrieben und noch früher begonnen wurde. Ein Aufruf, aufzustehen und aktiv daran mit zu arbeiten. Mit den Kräften und Fähigkeiten, die jede von uns hat, so gut es eben geht.
Und wenn wir im Vaterunser beten „dein Reich komme, Gott, auch hier auf Erden“, dann wissen wir eigentlich, was wir selbst für Gottes Zukunftsplan tun können: Gott ehren, sich kümmern, um die, die Hilfe brauchen, gute Nachbarinnen sein, andere Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit respektieren, die Erde bewahren, das Leben behüten, für Frieden eintreten,
denn das Wohl der Welt ist auch unser eigenes Wohl.

Ich persönlich finde dabei überaus tröstlich, dass ich nicht alles vollenden muss. Ich kann anstoßen, mitmachen und weitergeben, damit sich die Welt zum Guten hin wendet. Auch wenn ich die Erfüllung dieser Sehnsucht nicht mehr miterlebe. Vielleicht erst die Frauen und Männer, die nach mir hier leben wollen. Aber meine Hoffnung darauf kann ich als Kraftquelle nutzen.

Vielleicht kann man das Lied auf Seite 16 doch singen, als ein Hoffnungslied.
Als ein Lied für die, die Friedensgebete abhalten, die Kirchen (auch unsere!) zum stillen Gebet offenhalten, die Aktionen starten, bei denen Sie für Fremde und Freunde in der Ukraine sammeln oder sich schon überlegen, wie Menschen wohl geholfen werden kann, wenn Sie hier bei uns eintreffen.
Vielleicht ist es das – nicht den Mut und die Hoffnung darauf verlieren, dass die Vision von blühenden friedlichen Weiten und der Freiheit aller Menschen eines Tages wahr wird.

Vertrauen wir darauf, dass am Ende aller Hoffnung
Gottes Wille geschehe und uns Menschen Frieden erwartet,
im Himmel und auch auf Erden.
Amen.