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Überflutetes Wohnzimmer (Fotomontage) - copyright: Pixabay

Predigt am Pfingstmontag, 6. Juni 2022

(gehalten von Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel in der Versöhnungskirche in Köln-Rath-Heumar)

Gnade und Friede sei mit uns allen von Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Amen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

„Halt doch endlich deinen Babbel!“ sagen wir oder zumindest Hessen oder Pfälzer, wenn sie jemanden auffordern wollen, er möge doch aufhören zu reden, er möge doch seinen Mund – seinen Babel – halten. Genauer gesagt, heißt es mehr als das – babbeln heißt nämlich nicht einfach nur reden, sondern eigentlich dummes, wirres, unverständiges Zeug reden. Derjenige soll also aufhören, Unsinn zu reden. Auch die ersten Sprachversuche eines Babys werden als Babbeln bezeichnet. Ob sich das Wort Baby selbst sogar auch daher leitet, weil es für das Baby kennzeichnend ist, dass es nur babbeln kann und nicht reden, konnte ich nicht herausfinden.

Was ich aber in Erfahrung bringen konnte und die Wenigsten unter Euch wissen werden, ist, dass sich Babbel und Babbeln von der Geschichte herleitet, die wir eben in der Lesung gehört haben und eine der für den heutigen Pfingstmontag vorgesehenen Predigttexte darstellt – die Geschichte vom Turmbau zu Babel. Wir könnten auch sagen vom Turmbau zu Babbel. Denn laut einem Lexikon der deutschen Sprache aus dem 17. Jahrhundert leitet sich das babbeln von dieser Geschichte her, die ja mit einer Sprachverwirrung endet und bedeutet „konfus oder unverständig reden“.

Seit dem Turmbau von Babel babbelt nach biblischer Überlieferung die ganze Welt. Es handelt sich also um eine sogenannte ätiologische Geschichte. Was heißt das? Eine ätiologische Geschichte ist eine Geschichte, die von einem Ort, einem Gegenstand oder Zustand aus der Gegenwart ausgeht und erklären will, wie es dazu kam. Besonders Kinderfragen kommen dem nahe: Warum ist der Mond rund z. B.? Oder wo kommen diese oder jene Steine her? Im Fall der Geschichte vom Turmbau zu Babel war das ätiologische Motiv die Frage nach der Vielfalt der Sprachen. Wie kommt es, dass die Menschen so viele unterschiedliche Sprachen sprechen. Das war von je her eine Frage, die die Menschen beschäftigt hat. Freilich geht es dem Erzähler der Geschichte vom Turmbau zu Babel aber um mehr als nur um die Frage: wo kommt es her, dass es so viele unterschiedliche Sprachen gibt? Oder: „Wo kommen diese oder jene Steine oder Türme her, die man damals da gerade vor Augen hatte?“

Hier geht es doch wesentlich auch um das Verhältnis zwischen den Menschen und Gott.

Interessant ist, dass es in der Umwelt Israels, nämlich genau in dem Gebiet, wo diese Geschichte spielt, in Babel also, wo das Volk Israel in sehr viel späterer Zeit auch in Gefangenschaft lebte, durchaus auch schon eine Geschichte von der Sprachenverwirrung gab. Die kam aber durch die Rivalität zweier verschiedener Götter zustande. Diese stritten sich und das endete im Chaos. Unsere Geschichte scheint sich bewusst davon abzuheben. Sie hat eine ganz andere Färbung. Ihre Färbung ist eher die Rivalität zwischen den Menschen und Gott, jedenfalls ihre Verhältnisbestimmung und was am Ende daraus entsteht, ist nicht wirklich Chaos, sondern Begrenzung.

Aber gehen wir dem nun etwas mehr nach. Wenn man wirklich genau an den Versen der Geschichte entlang geht, fäll eins auf: Der Turmbau zu Babel wurde und wird uns Christen immer als Sinnbild der menschlichen Sünde schlechthin dargestellt. Der Mensch wollte wie Gott sein und deshalb habe Gott ihn bestraft. Kein Zweifel, dass der Mensch hier in seine Schranken gewiesen wird. Aber von Strafe ist hier an keiner Stelle im Text der Geschichte die Rede, auch nicht von Zorn Gottes. All das ist der Erfinderreichtum und das Fantasieprodukt derer, die diese Geschichte im Laufe vieler Jahrhunderte weiter erzählten oder in Kinderbibeln vermittelt haben oder wo auch immer.

Wir hören überhaupt nicht von irgendeiner emotionalen Reaktion Gottes. Wenn überhaupt nur von einer Angst oder besser Befürchtung und das ist auch nur indirekt beschrieben, nämlich wo Gott sagt: „dies ist erst der Anfang ihres Tuns. Hinfort wird ihnen nichts mehr unmöglich sein, was sie sich zu tun vornehmen.“

Das ist also gemäß dieser Geschichte für Gott das eigentliche Motiv, einzuschreiten. Er hat die Befürchtung, dass die Menschen im Blick auf ihr künftiges Tun so grenzenlos werden, dass sie nur noch sich selbst sehen, aber er selbst für sie keine Bedeutung mehr hat, ja dass sie aus der Geschöpflichkeit Gottes, aus dem Verhältnis mit Gott herausfallen könnten, ihn aus dem Blick verlieren könnten, ja, gar den Respekt verlieren könnten und schließlich jegliche Hemmungen und Grenzen ablegen würden, die sie am Ende in den Größenwahn treiben würden bis hin dazu, dass sie sich selbst zu Göttern über andere Menschen erheben würden.

Wer den Respekt vor Gott verliert, macht sich bald selbst zum Gott und Herr über Leben und Tod, vor allem der Anderen. Das haben wir vor allem in der jüngsten Vergangenheit in der Nazizeit mit der Euthanasie und dem Völkermord so erlebt. Heute kommt der grenzenlose Größenwahn der Menschen teils in ganz anderen Gewändern daher, wie etwa in dem der Genmanipulation oder in dem Glauben, das Leben der Menschen rein vom medizinisch Machbaren her gesehen, ewig lang verlängern zu können und dass das nur gut sei.

 

Wir merken langsam, dass diese uralte Geschichte, die von ihrer Entstehungszeit her gesehen etwa 2600 Jahre alt ist, doch recht aktuelle Bezüge hat.

Dass die Menschen da in Babel  eine große Stadt und einen großen Turm bauen, hält Gott nicht für Sünde und wird weder von ihm bestraft, noch kritisiert noch werden Stadt und Turm zerstört. Das ist nicht Thema der Geschichte vom Turmbau zu Babel. Es geht überhaupt gar nicht um Sünde und Strafe, sondern um die Frage, wie weit darf die Autonomie, die Selbstbestimmtheit des Menschen gehen? Was ist ihre Grenze? Und Gott setzt in dieser Geschichte den Menschen eine Grenze. Sie kämen nämlich mit der Schrankenlosigkeit gar nicht zurecht. Das ist der Kern der Geschichte.

Gottes Einschreiten richtet sich also eher gegen ein in der Zukunft zu erwartendes Tun der Menschen als gegen das Werk, bei dem die Menschen jetzt gerade sind.

In dieser Perspektive erscheint Gott wie jemand, der die Risiken des menschlichen Handelns und ihre Auswirkungen auf die Zukunft sehr viel besser ein- und abschätzen kann als diese selbst. Trotz Risikoanalyse der Menschen, die einen Unfall von Atomkraftwerken mehr oder minder für ausgeschlossen oder höchst unwahrscheinlich hielt, hat es Tschernobyl und hat es Fokushima gegeben. Die Folgewirkungen des menschlichen Handelns, ja sein begrenzter Horizont, der die Folgewirkungen nicht ausreichend abschätzt und berücksichtig zeigt sich heute aber ja auch überdeutlich bei ganz anderen Themen, wie eben z. B. bei der drohenden Klimakatastrophe. Das unbedachte und hemmungslose grenzenlose rein profitorientierte wirtschaftliche Tun und Treiben des Menschen hat zum Treibhauseffekt geführt. Und nur massive Maßnahmen können heute noch die drohende Katastrophe oder weitere Katastrophen abwenden, denn wir erleben ja schon längst die ersten Folgewirkungen als Katastrophen – nämlich Überschwemmungen und Dürren mit dramatischen Auswirkungen für die Menschen. Und dann der Ukrainekrieg. Unsere Reaktionen auf diesen schrecklichen Angriffskrieg müssen sehr bedacht sein, wenn wir darum bemüht sein wollen, die Risiken einer unkontrollierten Ausweitung dieses Krieges zu verhindern. Und da lauern im Augenblick große Gefahren.

Der Weg von vermeintlicher Größe zum Größenwahn ist mitunter ein kurzer. Das führt uns das bekannte Gedicht „Der Zauberlehrling“ von Johann Wolfgang von Goethe ja deutlich vor Augen. Der Zauberlehrling glaubt, seinem Meister, also dem Zauberer etwas abgeschaut zu haben. Kaum ist der Zauberer aus dem Haus, traut sich der junge Mann zu, es genauso gut zu können wie der Meister und versucht sich selbst in der Zauberei. Er verwandelt mittels Zauberspruch einen Besen in einen Knecht, der für ihn das Wasser schleppen muss. Anfänglich ist der Zauberlehrling stolz auf sein Können, doch bald merkt er, wie er der Situation nicht mehr gewachsen ist. Einmal in Gang gesetzt, verselbständigt sich alles mehr und mehr und verwandelt sich in ein einziges Chaos. Ungewollt setzt er durch sein unbedachtes Tun , das glaubte, alles im Griff zu haben, damit das ganze Haus unter Wasser. Das Vorhaben misslingt also gewaltig und der Hilferuf des Lehrlings an den zurückkehrenden Meister gipfelt in den viel zitierten Worten: „Herr die Not ist groß! Die Geister, die ich rief, werd‘ ich nun nicht mehr los.” Werden wir die Un-Geister, die wir riefen nun noch los? Auch uns dürfte da nur noch der Meister selbst helfen können, um das mal im Bilde zu bleiben, sein Geist, um die Ungeister loszuwerden – Gottes Geist, von dem wir ja zu Pfingsten hören und reden – Gottes Geistgegenwart in dieser Welt. Die Welt ist ja noch nicht verloren und bleibt weiter nur sich selbst überlassen. Der Meister hat das Haus ja nicht für immer verlassen. Er kehrt zurück zum Zauberlehrling. Ganz ähnlich wie bei den Jüngern, die auch nicht von Christus auf Dauer verlassen blieben. Der Heilige Geist wendet sich ihnen tröstend, orientierend und ermutigend zu Pfingsten zu.

Aber bleiben wir zunächst noch bei der Geschichte vom Turmbau zu Babel, bei der Selbstüberschätzung der Menschen dort und ihrem Größenwahn. Man könnte auch sagen: Es ist mit Gott und den Menschen ein wenig wie im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Die Eltern können manche Risiken besser einschätzen als ihre Kinder und wollen natürlich gern versuchen, sie vor Schaden zu bewahren.

Dennoch erwartet Gott keinen kindlichen Gehorsam und keinen Kinderglauben. Er will schon, dass wir selbständig handeln, aber auch, dass wir unsere Begrenztheit und unsere Endlichkeit als Teil unserer menschlichen Existenz begreifen, sie sehen, ernst nehmen und annehmen. Kurz und bündig, dass wir unsere Geschöpflichkeit nicht aufgeben oder verlieren. Was bedeutet das? Und was bedeutet das auf unser Leben heute bezogen?

Geschöpflichkeit bedeutet aus meiner Sicht: jedes Geschöpf ist gekennzeichnet durch Begrenztheit und Sterblichkeit, durch Einmaligkeit und eine Würde, die es durch Gott selbst hat und dadurch, dass Gott ihm ein Gegenüber bleibt. Wir haben eben gemerkt, wie nahe uns das Thema des Turmbaus von Babel heute ist. Claus Westermann, ein herausragender Theologe des Alten Testaments deutet die Geschichte sehr richtig, wenn er sagt: „Da aber die Menschheit ihre Existenz nur in ihrer Geschöpflichkeit hat, ist ihr Bestand durch die drohende Autonomie gefährdet.“ Westermann sagt das auf diese Geschichte selbst bezogen. Aber es ist zugleich unser Thema heute. Der Bestand der Menschheit ist durch die „drohende Autonomie“ des Menschen gefährdet. Wir haben die Geschichte von Babel wieder eingeholt oder sind jedenfalls mitten drin in ihrem Spannungsfeld. Können wir die Geister, die wir riefen noch beherrschen? Die Klimaveränderungen machen uns große Sorge. Der Bestand der Menschheit, wenn nicht gar der ganzen Schöpfung ist heute in der Tat gefährdeter denn je. Und die Lösungen werden keine einfachen sein. Auf dem Kirchentag in Dresden, den ich einmal erlebte, wurde die Frage diskutiert, inwieweit der Mensch, wo das Klima durch ihn nun schon einmal so aus dem Gleichgewicht geraten ist, nicht noch aktiver eingreifen müsse durch sogenanntes Geo-engenierung – dahinter verbirgt sich die Klimagestaltung durch bewusste Schwefel-Dosierungen, die mit Hilfe von Raketen in die Hemisphäre abgegeben werden. Aber welche Risiken würde das dann wiederum mit sich bringen? Wo sind die Grenzen des Fortschritts? Immer wieder bewegt uns diese Frage auch in der Medizin, im Blick auf die vorgeburtliche Diagnostik, der künstlichen Befruchtung, der Forschung an Embryonen usw. so wie der technisch möglichen Verlängerung von Leben, die zugleich aber auch Leid verlängert. Wo sind die Grenzen des Fortschritts und wo wird die Geschöpflichkeit des Menschen geachtet? Das heißt, seine Würde, seine Begrenztheit, die kennzeichnend für sein Leben ist und letztlich in seinem Gegenüber begründet liegt, das er in Gott hat. Wo sind die Grenzen des Fortschritts oder überhaupt des menschlichen Tuns? Denn all das gilt natürlich nicht nur für die Wissenschaft. Eins ist klar. Es muss Grenzen geben und sie müssen miteinander im ethischen Konsens festgelegt werden, wenn wir verantwortlich mit der Welt und ihren Geschöpfen umgehen wollen.

Die Geschichte von Gottes Eingreifen beim Turmbau zu Babel macht für mich zwei Dinge deutlich, die ich auf uns bezogen gerne festhalten würde.

Das erste ist: Sie stellt die Frage nach der Grenze der menschlichen Autonomie. Innerhalb dieses Rahmens spielt sich die menschliche Freiheit ab, die uns von Gott geschenkt ist und zugleich durch ihn selbst begrenzt ist. Die Grenze des menschlichen Tuns und Forschens wird deshalb aber nicht einfach von der Kirche bestimmt. Das wäre fatal. Die Beispiele, wie die Kirche in der Geschichte mit Kopernikus und Galiläo Galilei umgegangen ist, müssen uns da eine Warnung und Abschreckung sein. Wissenschaftler und Menschen in Verantwortung brauchen keine Klerikalität und auch keine rein moralischen Appelle oder Gesinnungsabfragen, sondern Seelsorge von Gott selbst. Das ist der Punkt. Sie brauchen Gott. Sie brauchen Gott als Gegenüber, als Gesprächspartner und als Begrenzer und Mahner, aber auch als Helfer zum Leben. Und sie brauchen Menschen, die ihnen das nahebringen, sei es in Gesprächskreisen, in gemeinsamen Ausschüssen oder in ihren Gemeinden, dort, wo sie leben oder wo auch immer.

Das zweite ist: Diese Geschichte vom Turmbau zu Babel sollte uns skeptisch machen gegenüber sämtlichen Einheitsbestrebungen und Vereinheitlichungen. Sie sind oft nur Zeichen von neuen Bemächtigungen, auch auf der Ebene der Sprache. Die Dominanz des Englischen in unseren Sprachen ist da ein Beispiel für. Ein anderes Beispiel: In der UDSSR war den Rußlanddeutschen verboten, deutsch zu sprechen. Am Ende ist dieses riesige System der Vereinheitlichung zusammengebrochen ähnlich wie andere Einheits-Staaten, die sich in Kriegen oder auf andere Weise zerstückelt haben. Und die Folgen davon, wie dann wieder umgekehrt die Sehnsucht nach den vergangenen alten Großmachtstagen die Menschenherzen regiert und Menschenschicksale bestimmt, erleben wir ja mit dem Ukraine-Krieg heute ganz besonders deutlich.

Der Weg zurück nach Babel, wo alle vielleicht irgendwann in grauer Vorzeit nur eine einzige Sprache gesprochen hätten, ist also überhaupt gar nicht erstrebenswert. Der Weg von Pfingsten vielleicht eher. Da wird die Verschiedenheit der Sprachen und Dialekte geachtet und beibehalten, und die Jünger sprechen in den jeweils anderen Sprachen – Verständigung bei aller Verschiedenheit, Einheit in Vielfalt – darauf läuft Pfingsten hinaus. Und das sehe ich auf ganz positive weis ein Europa am Werk. Mit einer Konfirmandengruppe wurden wir sowohl vor wenigen Jahren im europäischen Parlament in Straßburg als auch jetzt im letzten Herbst in Brüssel Zeuge davon, wie dort in 27 Sprachen gleichzeitig simultan in den Sprecherkabinen übersetzt wird, damit jeder versteht und jeder verstanden wird. Das ist Pfingsten, wie die Jünger es taten: gegenseitiges Hören und Verstehen und Sprechen in der Sprache des jeweiligen Gegenübers. Das ist der Beitrag zum Frieden im Kleinen wie im Großen – Verständigung suchen. Der Heilige Geist möge uns und unseren Politikern und Politikerinnen dazu verhelfen, das mehr zu beherzigen und uns davor bewahren, unsere Möglichkeiten als Zauberlehrlinge in dieser Welt zu überschätzen. Amen