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Predigt am 8. Mai 2022 – Sonntag Jubilate

Predigt zu: Genesis 1, 1-4 , 26-28, 29-31, gehalten von Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel in der Versöhnungskirche in Köln-Rath-Heumar und der Auferstehungskirche in Ostheim

Der Friede und die Gnade Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

Am Anfang war niemand dabei. Wovon rede ich? Natürlich von der Schöpfung. 🙂 Wie alles geworden ist und welche Rolle dabei Gott spielt, kann überhaupt niemand wissen, weil es den Menschen zu Beginn noch nicht gab.

Damit ist auch klar, dass sich die beiden biblischen Schöpfungserzählungen, die zu Beginn der Bibel stehen, nicht als Tatsachenberichte verstehen – können sie auch gar nicht, denn sie erzählen ganz unterschiedliche, zum Teil sich widersprechende Dinge von der Schöpfung durch Gott, was Reihenfolge oder bestimmte Fakten betrifft. Trotzdem haben die biblischen Überlieferer beide Erzählungen an den Beginn der Bibel gestellt. Beide verstehen sich nicht als Augenzeugenberichte, sondern wollen auf je ihre Weise von Gott erzählen und Glauben, Vertrauen auf ihn wecken. Es sind Mythen, nicht mehr und nicht weniger, die tiefe Wahrheiten in sich tragen. Sie stammen nicht aus der Feder Gottes, sondern aus der des Menschen.

Vielleicht sollten die Bibelfundamentalisten der USA, die es  geschafft haben, dass in einigen wenigen Staaten der USA nicht etwa die Evolutionstheorie im Biologieunterricht gelehrt wird, sondern die biblische Darstellung der Schöpfung Grundlage sein soll, mal ihre Bibel besser lesen. Dann wüssten sie, dass es da zwei Geschichten gibt und nicht eine und dass man sie allein deshalb schon nicht als historische Tatsachenberichte verstehen kann.

Gegen Dummheit ist bekanntlich kein Kraut gewachsen. In der einen der beiden Geschichten wird z. B. erzählt, dass die Tiere als Nahrung lediglich das Kraut haben. Würden wir das als Tatsachenbericht verstehen, müssten wir konsequent sagen, dass das vom Geschichtenschreiber gelogen ist, denn nicht alle Tiere sind bekanntlich Vegetarier. Das scheint aber die amerikanischen christlichen Bibelfundamentalisten nicht zu interessieren. Die ignorieren das genauso wie sie bei ihren Forderungen der Wiedereinführung der Todesstrafe ja auch eins der zehn Gebote ignorieren, das sagt: „Du sollst nicht töten“. Auf der anderen Seite üben sie aber selbst sogar Gewalt aus, wenn sie die Reifen von Ärzten zerstechen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und denen sie vorwerfen, genau gegen dieses Gebot “Du sollst nicht töten” verstoßen zu haben. Ihr Auslegungsverständnis der Bibel scheint doch sehr beliebig und in Wirklichkeit alles andere als bibeltreu zu sein.

Aber zurück zu den Schöpfungserzählungen. Beides sind, wie gesagt, keine Tatsachenberichte. Aber deshalb sind sie nicht weniger bedeutungsvoll. Es sind nicht mehr und nicht weniger als Glaubenszeugnisse.

Dem möchte ich nun etwas nachgehen, indem ich etwas an den Textauszügen, die für den heutigen Predigtsonntag vorgesehen sind, entlang gehe. Sie betreffen alle, die erste Schöpfungserzählung. Sie steht in der Bibel ganz zu Anfang, ist aber die jüngere der beiden Erzählungen. Wie dem auch sei. Wie wird hier Schöpfung verstanden und was sagt uns das über Gott und auch zum heutigen Umgang mit der Welt und den Problemen des Klimawandels und so weiter?

Ich lese zunächst die Verse 1 bis 4:

 Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war.

Im Verständnis der meisten Gläubigen war Gott selbst der Anfang von allem, von Anfang an da und vor ihm war Nichts. Gott hätte quasi nach diesem Verständnis alles Leben aus dem Nichts geschaffen. So hat man auch meist die eben verlesenen ersten Verse gedeutet. Wenn man aber genauer hinschaut, sagen sie etwas Anderes. In dieser Schöpfungserzählung wird nicht erzählt, dass am Anfang Nichts war. Das Wort „Nichts“ kommt überhaupt gar nicht vor. Wir hören als Erstes den Satz: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Das ist eine Art Überschrift für das, was danach folgt, was danach kommt. Dieser Satz wird also danach erst entfaltet. Und darauf bezogen ist der direkt folgende zweite Satz höchst bedeutsam! Er beschreibt den eigentlichen Urzustand, also den Zustand, bevor Gott der Erzählung nach mit seinem Schöpfungshandeln einsetzt:

„Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe.“ Viele haben diesen Satz schon einmal gehört, aber die Wenigsten dürften die Bedeutung dieser Aussage verstanden haben.

Was viele vielleicht auch kennen, ist das Wort „Tohuwabohu“ – ein aus dem Jiddischen stammendes Wort, also der Alltagssprache der Juden. Bei uns im Ruhrgebiet, wo ich herstamme, ist das Wort sehr geläufig und hat durch die Juden Eingang in die deutsche Sprache erhalten. „Tohuwabohu“ bedeutet „durcheinander“ „Chaos“ und es ist genau das Wort, das hier im hebräischen Text in der Bibel steht.

Man müsste also übersetzen: „Und die Erde war durcheinander, ein Chaos und Finsternis lag auf der Tiefe“. Dunkelheit und keine Ordnung – so wird also der Urzustand beschrieben. Was folgt daraus? Gottes Schöpfungsakt ist nach dem Verständnis des Erzählers also kein Schaffen der Welt und des uns vertrauten Lebens aus dem Nichts heraus, sondern Gottes Schöpfungsakt ist ein Verwandlungs- und Ordnungsakt. Es wandelt das Chaos. Es schafft Ordnung. Es schafft die Bedingungen, die Leben ermöglichen. Das ist ein riesiger Unterschied. Vor allem, wenn wir uns fragen, wie kommt das Böse oder das Lebenswidrige in die Welt? Wie kommt Leid in die Welt, insbesondere das, das durch Naturkatastrophen ausgelöst wird und nicht unbedingt durch die Menschen selbst.

Diese Schöpfungserzählung wagt den Gedanken, dass das Chaos schon immer da war und damit eben auch das Leid, dass aber Gott derjenige ist, der lebensschaffend und lebensbewahrend handelt. Nach diesem Verständnis war das Chaos schon vor Gott da. Würden wir uns vorstellen, dass Gottes Schöpfungshandeln darin besteht, dass er alles, was existiert, aus dem Nichts geschaffen habe, wie es ja die meisten sagen und denken, weil sie es so irgendwo gehört und gelernt haben, hätte Gott nach dieser Logik auch das Leid und das Böse geschaffen. Das passt aber schwerlich mit dem Gott der Liebe zusammen. Das kann man nicht zusammenkriegen, einen Gott der Liebe und einen Gott, der Naturkatastrophen, das Böse und Leid geschaffen und damit ja auch gewollt habe. Es ist ein Widerspruch, den man nur so auflösen kann, dass Gott entweder kein liebender Gott ist oder aber die Welt nicht geschaffen hat oder aber anders geschaffen hat, als wir es uns immer gemeinhin vorstellen.

Eben da bietet uns die Botschaft der ersten Schöpfungserzählung einen anderen Verstehenszugang: Gott hat aus dem Chaos geschaffen. Und das dürfen wir auch nicht als einen einmaligen abgeschlossenen Akt verstehen, sondern müssen es sehen als fortdauernden Prozess, wie er so auch in einem der Psalmen beschrieben ist. Da heißt es in Psalm 104 in der Gegenwartsform und nicht etwa in der Vergangenheitsform formuliert: „Du lässt Wasser quellen in den Tälern, dass sie zwischen den Bergen dahinfließen, dass alle Tiere des Feldes trinken und die Wildesel ihren Durst löschen. Du lässt Gras wachsen für das Vieh und Saat zum Nutzen des Menschen, so dass du Brot aus der Erde hervorbringst und dass der Wein erfreue des Menschen Herz.“

Der Schöpfungsakt Gottes besteht also darin, dass er Ordnung schafft und alles Existierende aufeinander so abstimmt, dass es allen beteiligten Lebewesen Leben erst ermöglicht.

In dieser Logik wäre Gott nicht der Urheber oder Dulder von Leid und Bösem, sondern einer, der in stetigem Kampf mit dem Chaos ist und es bändigen will. Und nur das kann sich auch mit der Vorstellung eines liebenden Gottes decken. Oder sollen die Menschen, die z. B. einen Mitmenschen durch Corona verloren haben, glauben, dass Gott ihr Leid verursacht hat, indem er mit der Schöpfung auch das Böse geschaffen habe? So etwas wäre Zynismus und es ist Zeit, dass solches Reden und Deuten von Gottes Schöpfung, der alles aus dem Nichts geschaffen habe, sich endlich von der Bibel selbst her korrigieren lässt und die Konsequenzen für unsere Glaubensaussagen daraus zieht. Ich persönlich kann jedenfalls der Glaubensaussage, ja dem Glaubensbekenntnis dieser Art, wie wir sie in der ersten Schöpfungserzählung vorfinden, mehr und Tröstlicheres abgewinnen als dem Verständnis eines allmächtigen Gottes, der angeblich aus dem Nichts heraus alles geschaffen habe, wie es so in offiziellen Kirchenlehren zu finden ist.

Gott schafft in der Vorstellung der ersten Schöpfungserzählung und nach Psalm 104 also ein System, das ganz aufeinander bezogen ist und er bringt Licht ins Dunkel – im wahrsten Sinne des Wortes. Und wir alle wissen, dass das durchaus der naturwissenschaftlichen Erkenntnis entspricht, dass erst Licht Leben schafft.

Und dann kommen wir – der Mensch. Aber auch wir Menschen sind nur Teil eines aufeinander abgestimmten Systems nach der Vorstellung dieser Schöpfungserzählung. Da heißt es:

„Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht.“

Die Herrschaft des Menschen über die Tiere wird zugelassen, ja sogar angeordnet. Aber sie ist nicht gleichzusetzen mit Ausbeutung und der Schaffung von Legebatterien. Das Herrschen über die Tiere dient demselben Zweck wie der Schöpfungsprozess von Gott selbst. Sie sollen in Zaum gehalten werden. Die Chaosmächte sollen nicht Oberhand gewinnen. Diese Zeilen muss man vor allem vor dem Hintergrund verstehen, dass die Menschen biblischer Zeiten durchaus immer wieder von wilden Tieren bedroht waren, sei es sie selbst oder ihre Schafe und Viehherden. Das Beherrschen der Tiere war also elementar zum Überleben.

Wo stehen wir da heute? Heute scheint uns dieses Herrschen zu entgleiten. Wenn überhaupt, verstehen wir es völlig verkehrt. Wir züchten Lachse durch Genmanipulation und andere Tiere, um deren Wachstum zu beschleunigen mit unumkehrbaren Folgen für das ganze Ökosystem. Wir ruinieren diesen Planeten und seine Lebensbedingungen. Wir machen das Gegenteil von dem, wozu wir als Partner Gottes beauftragt wurden. Er hat uns nach der Aussage dieser Schöpfungserzählung nämlich zu so etwas wie seinen Partner dazu bestimmt, das System, das so gut aufeinander abgestimmt ist, fortzuführen und Chaos zu bändigen. Stattdessen bauen wir das System ab und führen Chaos herbei. Insekten, die die Orientierung verlieren, Bienen, die massenweise sterben. Kohlendioxid, das nicht mehr in den Massen von den Pflanzen verarbeitet werden kann und sich darum so in der Atmosphäre konzentriert, dass es zu dem bekannten Treibhauseffekt kommt und wir im April und Mai schon Temperaturen und Trockenheiten erleben wie sonst nur im Sommer. Das Eis schmilzt und sorgt für Überschwemmungen usw. usw.

Dabei war der Auftrag ganz klar gemäß dieser Schöpfungserzählung, das System im Blick zu behalten und den Lebensschaffungsprozess Gottes mit in Gang zu halten – als Partner der Schöpfung – genau das bedeutet nämlich die Rede vom Bild Gottes:

„Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“

Und es geht noch weiter: Nach der Vorstellung dieser biblischen Erzählung waren Menschen und Tiere in Gottes Schöpfungshandeln zumindest ursprünglich als Vegetarier gedacht. Es heißt dort:

„Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise. Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben. Und es geschah so.“

Wenn man diese Zeilen liest oder hört, muss man sich doch fragen: Was soll dieser Hinweis auf die vegetarische Nahrung von Mensch und Tier, wenn auch der Mensch, der diese Geschichte damals erzählt oder niedergeschrieben hatte, sehr wohl wusste, dass sowohl der Mensch als auch der Löwe durchaus gerne mal ein Lamm verspeisen?

Der Schreiber verbindet damit die Vorstellung von Frieden. Frieden der Schöpfung – ein aufeinander abgestimmtes Miteinander-Leben der Geschöpfe statt eines mit Blutvergießen verbundenem Gegeneinander. Es ist also eher eine Art prophetische Orientierung und Rückbesinnung als ein tatsächliches Wissen darum, dass der Mensch oder alle Tiere mal Vegetarier gewesen wären. Die Zeilen sind Ausdruck der Sehnsucht nach Frieden der Schöpfung und Geschöpfe.

Was bedeutet diese Erinnerung oder Rückbesinnung für unsere Gegenwart und Zukunft heute? „Herr Wenzel, sollen wir jetzt etwa alle Vegetarier werden?“ werden jetzt manche fragen. Ich kann Euch das nicht eindeutig beantworten. Sicher gibt es viele Möglichkeiten im Frieden mit der Schöpfung zu leben und die weitere Zerstörung der Schöpfung zu verhindern, aber die Zeilen aus dieser ungefähr 2500 Jahre alten Geschichte haben ohne Zweifel eine besondere Aktualität. Es ist erwiesen, dass der gestiegene Fleischkonsum in der Welt ein ganz entscheidender Faktor im Blick auf Klimawandel und die Fragen von Nachhaltigkeit ist. Einmal, weil die Wälder für die Weiden gerodet wurden und werden. Dann weil die Massentierhaltung, vor allem die großen Rinderherden, durch Methan und Kohlendioxidausstoß ein ebenso großer Gefährdungsfaktor wie die Industrie- und Autoabgase geworden sind. Des Weiteren, weil an sie in Massen Soja und anderes Korn verfüttert wird, mit dem man stattdessen hungernde Menschen ernähren könnte. Allein das Korn und Soja würde sogar ausreichen, um alle Menschen auf dieser Erde zu ernähren. Und schließlich ist noch zu erwähnen, dass der Wasserverbrauch und die Energiekosten für die Tiere und ihren Transport rund um die Welt immens groß ist und durch nichts gerechtfertigt ist, wo Menschen heute gleichzeitig an Wasserarmut leiden und sie für sich und eine nachhaltige Feldwirtschaft das Wasser dringend bräuchten.

Bevor wir also über Vegetarier schmunzeln oder verächtlich lachen, sollte uns vor diesem ernsten Hintergrund und der Tatsache, dass der biblische Test seine durchaus berechtigte prophetische Dimension hat, weil er auch in unsere Zeit hineinspricht, das Lachen eher im Halse stecken bleiben. Jeder ist von dieser ersten Schöpfungserzählung her vielmehr gefragt: Was ist dein Beitrag zum Überleben der Schöpfung und zur Mitarbeit und Weiterarbeit an Gottes Schöpfung? Amen