Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. AMEN
Liebe Schwestern und Brüder in Christus,
als Pfarrer Herbert Wright sein Amt in Jonderton antrat, predigte er bei seinem ersten Gottesdienst in einer fast leeren Kirche. Am zweiten Sonntag war es genauso. Nun besuchte er junge Pfarrer seine Gemeindemitglieder, um die kalte Gleichgültigkeit zu überwinden, aber es erging ihm damit nicht gut. „Die Kirche ist tot!“, sagte man ihm, „tot ohne irgendwelche Hoffnung auf Widerbelebung!“
Die alte Erzählung, heute noch in manchen Schulbüchern für Religion abgedruckt, kam mir in der Vorbereitung des heutigen Gottesdienstes wieder in den Sinn.
Die kritische Haltung vieler Menschen unserer Gesellschaft gegenüber den christlichen Kirchen, die in der aktuellen Situation noch die Kirchentüren öffnet und Gottesdienste anbietet, hat mich in der letzten Woche sehr beschäftigt. Selbst interessierte und aktive Gemeindemitglieder haben mich daraufhin angesprochen mit Fragen wie: „Sollte die Kirche nicht auch ein Zeichen setzen und mit den Gottesdiensten aussetzen?“ Oder mit Bemerkungen wie: „Stoppt Gottesdienste – es ist doch auch sonst jedes Theater verboten!“
In Deutschland ist die Religionsfreiheit in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verankert. Durch die Religionsfreiheit geschützt sind insbe-sondere auch die Teilnahme und das Abhalten von Gottesdiensten und religiösen Feiern.
Während sich die Kirchen in der ersten Coronakrise vor ziemlich genau einem Jahr der Stillegung ihres Präsenzbetriebes beugten und sich im weiteren Verlauf an outdoor-Ersatzangeboten, Verteilaktionen und digitalen Formaten er-probte und sich ausgefeilte Hygienekonzepte zueigen machte, konnten die Gottesdienste wieder aufgenommen werden. Im Wesentlichen unbeachtet von der Gesellschaft, denn es stürmten keineswegs Massen zu den wieder offenen Kirchentüren hinein. Es blieb – oder wurde – ein kleines, hoffnungsvolles Völkchen der Kirchgänger. Demütig und vorsichtig, kei-neswegs leichtsinnig oder mit den Privilegien ihres Gottesdienstbesuchs prahlend. Aber an der Gemeinschaft der Gläu-bigen am Sonntagmorgen festhaltend. Wer aus guten Gründen fernbleibt, wird von Kirchenleitungen und Kirchgängern nicht verurteilt, sondern nach Kräften mit geistlichem Futter für die Seele versorgt.
Wie geht die Geschichte aus Jonderton weiter?
Nach dem zweiten trostlosen Sonntag erschien eine Todesan-zeige in der örtlichen Tageszeitung: „Mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns und mit der Zustimmung seiner Gemeinde meldet Herbert Wright, Pfarrer zu Jonderton, den Tod der Kirche „St. Francis“ zu Jonderton. Die Trauer – und Bedächtnisfeier findet am nächsten Sonntagmorgen um 11 Uhr statt. Die Bewohner Jondertons sind hiermit herzlich eingeladen, an diesem letzten Akt ihrer Dorfkirche teilzunehmen.“ Bereits um 10.30 Uhr war die bis dahin verachtete Kirche gedrängt voll mit Menschen. Vorne vor dem Altar ein schlichter Eichensarg auf einer Bahre, mit einem vergoldeten Kreuz. Um 11 Uhr bestieg Pfarrer Wright die Kanzel und begann zu sprechen.
Was er wohl gepredigt haben mag?
Ich lese den Predigttext für den heutigen Palmsonntag aus dem Hebräerbrief, die drei ersten Verse aus Kapitel 11 und 12.
1 Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. 2 In diesem Glauben haben die Alten Gottes Zeugnis empfangen. 3 Durch den Glauben erkennen wir, dass die Welt durch Gottes Wort geschaffen ist, dass alles, was man sieht, aus nichts ge-worden ist.
1 Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns umstrickt. Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, 2 und aufsehen zu Jesus, dem An-fänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. 3 Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.
Es ist ein Hoffnungstext am heutigen Palmsonntag des Jahres 2021, an dem wir unter den besonderen Voraussetzungen der dritten Pandemiekrise Gottesdienst feiern. Wir gedenken in der Lesung wieder dem Einzug Jesu in die Stadt Jerusalem, bei dem es die Leute nicht zuhause hält. Sie alle kommen und wollen ihn sehen, sind erleichtert und froh, ihn bei diesem Passahfest in der Stadt zu haben, erhoffen sich eine Verbesserung ihrer Lebensumstände.
Ich bin ziemlich sicher, heute hat für Sie, die Sie zum Gottesdienst gekommen sind, niemand Spalier gestanden, und es ist kein heroischer Jubel, in dem wir hier im Gottesdienst verfallen, sondern eine eher gedrückte, aber herzliche und hoffende Gespanntheit, mit der wir hier sind.
Da tut es doch gut, wenn der Predigttext beginnt, vom Glauben zu reden und von einer Wolke von Zeugen, die uns umhüllt. In der Sprache des Hebräerbriefes sind mit Zeugen gottesfürchtige Menschen gemeint, die uns in der Geschichte vorangehen. An anderer Stelle im Hebräerbrief werden die auch aufgezählt, Angefangen von Abel, Noah, Abraham und Sarah, Isaak und Jakob, Joseph, Mose, Rahab, Richter, die Könige und so fort.
Wir könnten diese Geschichte der Gläubigen fortschreiben und sie nennen, die Menschen, die uns in unserem Glauben und Hoffen vorangegangen sind und uns prägten. Sei es Vater und Mutter, die Großeltern, eine Lehrerin, ein Prediger, eine gute Kollegin oder der beste Freund.
Und wir, wir dürfen uns einreihen in die Schar der Gläubigen, neutestamentlich gesprochen in die Gemeinschaft der Heili-gen. Was uns verbindet und trägt ist dies:
Es ist der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.
So wunderbar das Gefühl sein mag, zu einer großen Gemein-schaft zu gehören, auch wenn ich diese nicht sehe und nicht pflege – wir dürfen uns nicht täuschen lassen. Die genannten Väter und Mütter im Glauben waren Menschen wie Du und ich, mit Fehlern, Schwächen, schlechten Eigenschaften, zwei-felnd und in die Irre laufend. Wie war es z.B. bei Jakob – nicht nur der Gründer des Volkes Israel war er, sondern auch ein Verbrecher, der den Vater getäuscht und den Bruder betrogen hat. Selbst Mose hat nicht nur Menschen aus der Knechtschaft befreit, sondern auch mal Gewalt gegen einen ägyptischen Aufseher angewendet. Und erst König David, zwar mutig und gerecht, aber auch ein Ehebrecher und Mörder.
In der Gemeinschaft der Gläubigen zu sein, ist gut, aber es hebt uns nicht heraus. Wir wissen uns darin eingebettet, eben weil auch wir selbst heute und hier Menschen mit nur allen erdenklichen Fehlern sind, voller Ungerechtigkeit und Zweifel, vielleicht auch Wut, Hass und Neid.
Was uns verbindet, und warum wir einander ansehen und wahrnehmen wollen ist der Glaube.
Woran lohnte es sich denn überhaupt heute noch zu Glauben?
Meine Tochter, gerade 20 geworden, erzählte mir gestern bei einem Spaziergang, sie blicke bei den Coronabestimmungen jetzt auch nicht mehr durch was man darf und was nicht und wie sie sich nun ab Montag zu verhalten habe. Sie mache in ihrer vernünftigen Art erst einmal alles so wie bisher und im Blick auf ihr Studium warte sie ab, wie es sich weiter gestalte.
Den Politikern und ihren Aussagen, Einschätzungen und Entscheidungen zu vertrauen lohne sich wohl nicht, es bleibe auf die medizinische Weiterentwicklung zu warten und die solidarische Gemeinschaft nicht aus den Augen zu verlieren.
Unser Predigttext lädt ein, zu glauben. Es ist der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.
Gar nicht so einfach in dieser Zeit, an der so mancher und manche – selbst unter uns – an seiner oder einer anderen Kirche zweifelt. Ist Gott wirklich noch da, selbst in diesen wirren Zeiten? Worauf dürfen wir vertrauen?
Ich kehre noch einmal zurück in die Dorfkirche St. Francis in Jonderton. Pfarrer Wright hält denen, die zur Beerdigung ihrer eigenen Kirche gekommen sind, die folgende Trauerrede:
„Liebe Gemeinde, Sie haben mir klargemacht, dass Sie ernstlich davon überzeugt sind, unsere Kirche sei tot. Sie haben auch keinerlei Hoffnung auf Widerbelebung; ich möchte nun diese Ihre Meinung auf die letzte Probe stellen. Bitte gehen Sie alle einer nach dem anderen an diesem Sarg vorüber und sehen Sie sich den Toten an, dann verlassen Sie bitte die Kirche durch das Ostportal. Danach werde ich die Trauerfeier alleine beschließen.
Sollten aber einige unter Ihnen ihre Ansicht revidieren, und wären auch noch so wenige unter Ihnen der Meinung, eine Wiederbelebung der Kirche sei vielleicht doch noch möglich, bitte ich diese, durch das Nordportal wieder hereinzukommen. Anstatt eines Trauergottesdienstes würde ich dann einen Dankgottesdienst halten dürfen.“
Ohne weitere Worte trat der Pfarrer an den Sarg und öffnete ihn mit ehrfurchtsvollen Gebärden. Und aus der Menge der Gottesdienstbesucherinnen und –besucher erhob sich einer nach der anderen, um am Sarg vorbei zu gehen und danach die Kirche zu verlassen. So mancher machte sich dabei Gedan-ken: Was würde ich eigentlich in diesem Sarg sehen? Wie sieht sie aus, die Kirche, woraus besteht sie? Würde man darin ein Bild des gekreuzigten Christus sehen – aber auf dessen Tod und Auferstehung war die Kirche doch gegründet! Und nicht zuletzt – lebt die Kirche denn überhaupt, und wodurch bleibt sie lebendig und wodurch wird sie sterben oder gestorben sein?
Zögernd näherten sich die Menschen dem offenen Sarg und blickten scheu hinein, nicht wenige von ihnen hielten danach die Hände vor ihr Gesicht. Als alle die Kirche verlassen hatten, hielt auch Pfarrer Wright einen Moment am Sarg inne, bis er ihn schloss und sich dann zum Kirchenraum umwandte……
Was hatten er und alle Menschen gesehen? Nicht die ganze Kirche kalt und leblos im Sarg liegen, sondern nur eines ihrer toten Glieder – jeder sah sich selbst, in einem Spiegel. Einem Spiegel, in dem sich neben dem eigenen Gesicht das Kreuz Christi spiegelte.
Es mag den Anschein haben, Gott hat uns in unserem Leben, dem vielen Nichtwissen und Nichtkönnen, und dem untrüglichen Gefühl, ich hätte einen Anspruch darauf, dass es immer so weitergeht wie bisher und dass ich ein Anrecht auf meine persönliche Selbstbestimmung und Freiheit habe, total alleine gelassen.
Unser Predigttext sagt uns: Wenn wir nicht weiter wissen, dürfen wir aufschauen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens. Statt einer unfehlbaren Natur hat uns Gott seinen Sohn gesandt, dass er unsere zweite Natur werde. Dass er einer ist sei und werde, der ertragen kann, was wir nicht mehr tragen können und wollen. Der da ist, wenn wir schon aufge-geben haben. Die Politik, die Wissenschaft, die Partnerschaft oder Familie, den Beruf, die Zukunftsvorstellung, die Gemeinschaft, unsere Gemeinde und die Kirche und uns selbst.
Und Jesus musste zuerst einmal zu seinem eigenen Begräbnis gehen. Darum kam er nicht herum.
Wie ging es eigentlich in Jonderton weiter?
Als sich Pfarrer Wright in den leeren Kirchraum umwandte, da hörte er ein Knarren und Quietschen und das lange nicht gebrauchte Nordportal drehte sich in seinen verrosteten Angeln, und herein trat eine kaum zu zählende Schar…….
Wirklich erstaunlich, dass die Menschen wieder zusammenkamen. Sie hatten verstanden: Sie alle, wir sind die Kirche.
Wir sind ekklesia (von ex kaleo), die Herausgerufenen, wir sind die Gemeinschaft der Herausgerufenen, der Unangepassten, manchmal Unbequemen, die nach Frieden suchen, auf Gnade und Barmherzigkeit vertrauen.
Wir sind die Gemeinschaft derer, die herausgerufen sind, mit Gott den Weg durchs Leben zu gehen. Hinein ins Wagnis, aber auch ins Vertrauen.
Dazu, so sagt der Hebräerbrief:
Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, 2 und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glau-bens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz er-duldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. 3 Gedenkt an den, der so viel Wi-derspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.
Das tut gut, zu hören. Für die Gläubigen damals, für die Gläubigen in Jonderton, die den Schritt in die Kirche wieder wagten.
Das tut auch uns gut. Uns, die wir uns heute hier versammeln, ob es anderen passt, oder nicht.
Wir sind auch eine Gemeinde der Herausgerufenen. Es ist vielleicht bequem, sich gerade jetzt von der Kirche fernzuhalten. Bequem, in die Stimmen einzustimmen, die gestern noch das Schließen der Kirchentüren verurteilten und die große Stille der Kirche, und die jetzt dafür sind, der Kirche ihre Lebensform Gottesdienst zu nehmen.
Wer sich im Fernbleiben bewahren will, der wird sich verlieren. Es geht darum, sich einzubringen,
sich mitzuteilen, sich zu engagieren.
Es geht darum, Sich auch dem Mühsamen zu stellen,
es zu durchdringen mit Hoffnung und Kraft,
gemeinsam, miteinander, Frauen und Männer auf dem Weg.
Mit dem Wissen und den Erfahrungen einer Wolke von Zeugen im Gepäck, mit dem Hoffnungszeichen des Kreuzes Jesu Christi vor Augen.
Und dabei Gott vertrauen, dass er unsere Bemühungen segnet,
unsere Beschlüsse in Gelingen verwandelt, unsere Gedanken und Worte zu Taten werden lässt.
Es ist gut, dass Sie alle da sind.
Gut, dass es damals zur Zeit des Hebräerbriefs, in der Geschichte der Gemeinde von Jonderton und auch heute hier bei uns noch Menschen gibt, die sich von Gott herausrufen lassen, damit im Namen Gottes Not gewendet wird, Menschen gestärkt werden und so Leben ermöglicht wird.
Amen
Und der Friede Gottes, der größer ist als alles, was wir denken und begreifen, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus unserem Herrn. AMEN