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epd Jens Schulze

Predigt zum letzten Sonntag nach Epiphanias 28.01.24: “Trotzalledem”

PREDIGT  zu 2. Korinther 4,6-10
Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. AMEN

Liebe Gemeinde ,

es ist Zeit, Licht ins Dunkel zu bringen.
Vielleicht kennen Sie diese Redewendung. Möglicherweise haben Sie diese schon mal in den Mund genommen. Sicher haben sie schon mal genauso gedacht.
Vielleicht auch am Donnerstag und Freitag, als die Mißbrauchsstudie der EKD veröffentlicht wurde und sich die derzeitige Ratsvorsitzende i.V. Bischöfin Fehrs öffentlich entschuldigt hat.

Bei dieser Studie handelt es sich um die Aufklärung darüber, dass auch in der Ev. Kirche, ihren Einrichtungen, Schulen und Werken an Schutzbefohlenen Mißbrauch ausgeübt wurde. Verletzungen an Körper und Seele, motiviert von sexuellen oder machtgesteuerten Phantasien, ein großes Unrecht. Die Studie basiert auf Teilauswertungen und Erfahrungswerten, die statistisch hochgerechnet wurden.

Das sage ich nicht, weil es die Sache weniger schlimm macht, im Gegenteil – bedauerlicherweise lässt sich offenbar nicht alles ans Licht bringen, was aufgeklärt werden muss. Da ist es  in kirchlichen Zusammenhängen nicht anders als in gesamtgesellschaftlichen.

Die Studie ist empörend, sie wird unserer Kirche nicht guttun, weil sie Licht ins Dunkel bringt, sondern sie wird die Zukunft unserer Kirche und Gemeinden weiter verdüstern, da sich erwartungsgemäß viele ihrer freiwilligen Mitglieder freiwillig und selbstgewählt verabschieden werden.

Das ist gutes Recht, demokratisches Prinzip und christliche Freiheit.

Und es wäre mir sogar auch recht, wenn ich davon ausgehen könnte, dass diejenigen, die jetzt gehen auch nur einmal zuvor darüber nachgedacht und dazu beigetragen hätten, dass Kirche nicht irgendein Gebilde, sondern Gemeinschaft gläubiger Menschen ist, deren Leben und Glauben auf Sünd- und Fehlerhaftigkeit und Vergebung und Versöhnung fußt. Und dass sie selbst Teil davon sind, mit all ihren Licht- und Schattenseiten.
Und wenn ich davon ausgehen könnte dass jetzt nur noch diejenigen bleiben, die bereit sind, in aller Leid- und Schulderfahrung ein „und dennoch“ oder „trotzalledem“ auszurufen und an einer Kirche der Zukunft bauen.

Paulus hat das versucht, vor langer langer Zeit und an fernem Ort. Irgendwo bei Ephesus in Kleinasien hatte man ihn verhaftet. Man hatte ihn vor Gericht gestellt. Man hatte ihn zum Tode verurteilt. Wie und warum er noch einmal mit dem Leben davonkam, berichtet er nicht. Aber man kann sich vielleicht vorstellen, dass dieses Erlebnis ihn an die Grenzen seiner Kraft gebracht hat.

Innerlich und äußerlich gerät bei Paulus so Einiges ins Wanken. So manches, was ihm zuvor sonnenklar war, er sich und seinen Missionsgemeinden vollmundig verkündete, ist der Düsternis anheimgefallen. In dieser Situation stellt Paulus Fragen, verständliche Fragen:

Wer bin ich eigentlich? Ich bin weder, was die Christen von mir denken noch was die Juden, die Griechen, die Öffentlichkeit oder die Verwaltungen von mir denken und was die über mich zusammengetragen haben. Was aber dann? Was werde ich sein, wenn ich nicht das tun oder sein kann, das ich sein will? Wie werde ich sein, wenn ich selbst an Verfehlungen und Krankheiten leide und zugrunde gehe?Was  ist, wenn ich verzweifle, man mir den Boden unter den Füßen entzieht, ich den Glauben verliere? Paulus sagt sein „Und dennoch“ und „Trotzalledem“ –

Hören wir uns mal an wie das klingt in seinen Worten aus dem 2. Korintherbrief Kapitel 4, 6-10.

 6Denn Gott, der da sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass die Erleuchtung entstünde zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.
Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, auf dass die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.
8Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht.
9
Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.
10Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, auf dass auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.

Paulus, liebe Gemeinde, kommt zu der Erkenntnis – ich bin eigentlich überhaupt nicht mehr ich. Ich lebe, ja. Aber nicht so wie ich können wollte / wollen würde.
Es gibt nur eines, was am Leben hält. Was in ihm lebt, ist Christus. Der Christus, der ihn damals bei Damaskus gerufen hat.
Der begleitet ihn. Der hat ein Bild von ihm. Sein Bild.

Paulus nennt sein „Und dennoch“ oder „Trotzalledem“: Christus lebt in mir. Das ist der Sinn meines Lebens, dass Christus in mir Gestalt gewinnt.

6Denn Gott, der da sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben,

Paulus knüpft mit diesen Worten gleich an 3 Ereignisse an. Zum ersten an die Schöpfungserzählung, bei der Gott sprach “Es werde Licht“. Zum anderen an sein eigenes Bekehrungserlebnis, bei dem er erleuchtet wurde und vom Saulus zum Paulus, von Eifer erfüllt nicht mehr gegen Christen, sondern für Christus. Und zum dritten – an die Auferstehung Christi, den Moment an dem der Ostermorgen wieder hell wurde, nachdem sich zum Zeitpunkt der Kreuzigung der Himmel verdunkelt hatte.

Aus all diesen Ereignissen zieht er den Schluss – Gott hat in die Herzen der Menschen einen hellen Schein gegeben. Für uns ist es hell geworden, und kann immer wieder hell werden, weil wir dazu etwas geschenkt bekommen haben.

Was meint denn dann das weitere Wort? Dass sich der Schatz, das Geschenk in irdenen Gefäßen befindet?

Gottes Doxa, Gottes Lichtglanz, Ruhm und Herrlichkeit ist ein Schatz. Menschen aber sind nicht mehr als ein Gefäß aus Ton, zerbrechlich und vergänglich. Sie sind Produkte einer Töpferin, die sie heute so, morgen aber auch anders gestalten kann.

Weil es Gott gefallen hat, unzulängliche und gewöhnliche Menschen zu Gottes Boten zu formen, stammt der Erfolg nicht aus der besten Predigt, der professionellsten Gemeindeleitung, leitet sich nicht von den meisten Gottesdienstbesucher.innen,  ab und nicht von der besten Haushaltsbilanz.

Gott offenbart sich in der Schwäche eines Menschen, seinem Scheitern, seinem Kreuz. Deshalb kann sich auch in Paulus Misserfolg, in Versagen, Tränen und Verzweiflung Gottes Wirken in der Welt demonstrieren. Er hatte Kränkung erfahren und persönliche Verletzung – denn in seiner alten Gemeinde in Korinth waren und professionelle Missionar.innen erschienen, die ihm rückwirkend inhaltliche und praktische Fehler anlasteten. Sie haben ihn entlarvt, und er hatte dem wenig entgegenzusetzen.

In den nächsten Versen fügt Paulus hinzu: „Alle Zeit tragen wir das Sterben Jesu am Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.“ (2 Kor 4,10). Und wenig später wird er Christus selbst zitieren: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2 Kor 12,9). Im Antlitz Jesu Christi leuchtet Gottes Solidarität mit dem Schwachen, dem Geringen.

Weil Gott aus der Dunkelheit Licht aufscheinen lässt, ist für Paulus das NichtLeuchtende in dieser Welt Gottes Widerschein. Genau hierin liegt Gottes weltverändernde Kraft

 So weit Paulus.

Was aber, liebe Gemeinde im hier und jetzt, heißt das jetzt für uns und andere Gemeinden im 21. Jahrhundert? Vielleicht helfen uns die vier Festlegungen des Apostels und seine Behauptungen dazu.

Die Erste ist: Von allen Seiten dringen Schwierigkeiten auf uns ein. Wir machen es sogar uns selbst und anderen schwer. Hilft uns da der Schatz in irdenen Gefäßen?

Die Gemeinden, die Kirche heute bietet ein sehr unterschiedliches Bild. Sie strecken sich nach innen, auf der Suche nach der sog. „Kerngemeinde“ genauso wie nach außen, um Geltung und Bedeutung für die Gesellschaft.

Braucht es zum Gottesdienstfeiern die Begegnung mit anderen Christen? Oder auch mit Nichtchristen? Braucht es nicht das Kirchencafé, um sich nach dem Gottesdienst noch auszutauschen? Braucht es hochtheologische oder realitätsbezogene Verkündigung oder beides, ist das überhaupt in einem Gottesdienst möglich oder brauchen wir mehr Formen und andere Räume?

Das sind nur Einzelbeispiele – ich sehe großes Bemühen, Mut und Fantasie.

Und auch in den Schwierigkeiten der Coronazeit, wir haben versucht, die Frohe Botschaft lebendig zu halten und das Licht aus den Finsternissen hervorleuchten zu lassen. Und es hat doch einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben. Das haben wir doch gesehen, gespürt, erlebt in dieser nicht einfachen Zeit. Und wir erleben es immer wieder.

Gehen wir einen Schritt weiter –

Die zweite Festlegung des Apostels geht damit einher, dass es Grenzen im Leben gibt. Auch Grenzen der christlichen Gemeinde, auch ganz persönliche Grenzen. Wir wissen manchmal nicht mehr weiter. Wir haben Angst. Wir sind erschüttert. Über unser Tun und Nichttun in Sachen Klima.

Freilich: Diese Aufgabe ist kein Alleinstellungsmerkmal für die Organisation Kirche. Viele Christinnen und Christen tun das ja außerhalb des Rahmens der Institution Kirche. Sie tun das, weil sie Jesus nachfolgen, der sie in der Bergpredigt ermuntert hat, die Vögel unter dem Himmel und die Lilien und das Gras auf dem Feld anzusehen.

Wir sehen die Probleme und spüren unser Nichtwissen.

Die Nachrichten des Nicht-mehr-weiter-Wissens springen einem ins Auge. Sie lassen auch Christenmenschen nicht kalt. Und sie dürfen auch gerade Christenmenschen nicht kalt lassen. Plötzliche Todesfälle, eine unheilbare Krankheit, Verlust von Arbeit, Schwierigkeiten bei der Erziehung, uamehr – es braucht Mitgefühl, Beistand, gemeinsam aushalten, gemeinsam Schritte gehen. Es braucht uns Christinnen und Christen – die Besuchen, die Auffangen, die Stärken.

Wir werden gebraucht als Boten der Hoffnung. Wir werden gebraucht als Menschen, die deutlich machen: Du musst nicht verzweifeln an deinen Zweifeln. Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Klar, das ist je nach Befindlichkeit ein schwacher Trost. Aber es erinnert uns an Jesus, dem auch bange war, der auch nicht mehr weiterwusste. Und der in seiner Verzweiflung betete: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ So hat er am Kreuz gerufen in der dunkelsten Stunde seines Lebens. Manchmal sind wir mit den Kreuzen unseres Lebens neben ihm auf Golgatha. Und dürfen dann doch spüren: Er, Jesus, hilft uns heraus aus unserer Verzweiflung.

Paulus macht uns dabei klar –  Christsein ist kein Sonntagsspaziergang bei schönem Wetter. Christ.innen erlebten in der Geschichte Verfolgung, Häme, Verlust von Identität und Bedeutung. Christliche Kirche und organisationen müssen Stellung beziehen, wenn die Gesellschaft Wege einschlägt, die wir als Christ.innen nicht mitgehen dürfen, wie z.B. jede Form von Rechtsextremismus. Und wir merken – nicht nur früher, sondern auch heute ist es oft schwer, sich zum christlichen Glauben zu bekennen. Das Tröstliche, auf das Paulus hinweist, ist:

Du bist nicht verlassen. Du bist nicht allein. Du hast Menschen an deiner Seite: die Ehepartnerin oder den Ehepartner, Freunde, die Pfarrerin, die christliche Gemeinde. Sie wissen es doch und können es mühelos fortsetzen. Die Hauptsache in aller Verzweiflung ist freilich dies: Wir können uns an Jesus wenden, der uns eingeladen hat (Matthäus 11,28): „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“

Das letzte was Paulus wichtig ist, führt uns an die Grenze oder an den Tiefpunkt.:  Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.

Unterdrückt kann man auch mit „zu Boden geworfen“ übersetzen. Wir sind zu Boden Geworfene – und reihen uns damit in die lange Reihe der zu Boden geworfenen ein, die sich schon in den biblischen Geschichten finden lassen. Auch Paulus selbst.
Wir sterben oder sind dem Sterben nahe. Und das haben wir möglicherweise selbst verschuldet, so könnte man jedenfalls die Mißbrauchsstudie auslegen.
Und wir wissen zugleich – manchmal muss etwas zuerst sterben, damit wieder etwas wachsen und etwas auferstehen kann.

„Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten“ hat Gott am Anfang der Zeiten verheißen. In Jesus von Nazareth ist Licht in die Welt gekommen. Im Angesicht Jesu Christi können wir unser Leben danach ausrichten und darauf vertrauen, dass wir in allen Bedrängnissen des Lebens – den großen und den kleinen – nicht allein sind. Gott wischt die Bedrängnisse nicht einfach weg. Aber er gibt uns eine Hilfe an die Hand. Oder besser noch: ins Herz; Jesus, das Licht der Welt.

Ihm zeigen wir unser Antlitz und vor ihm müssen wir uns einst offenbaren – um darauf zu hoffen, dass wir eine zukunft haben, die wir mit aller zur Verfügung stehender Dummheit, Überheblichkeit, Ignoranz, Schuld und Unverantwortlichkeit nicht verdüstern können, weil er sein Licht für uns und in uns am Leuchten hält.

Darum möchte ich es heute auch sagen – das „Und dennoch“ oder „Trotzalledem“.

AMEN
Und der Friede Gottes, der größer ist als alles, was wir denken und begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. AMEN