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"Anbetung der Hirten" von Gerrtit van Honthorst Copyright wikimedia

Predigt Christmette 24.12.2023 – “Das Kind beim Namen nennen”

(Gehalten von Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel in der Versöhnungskirche in Köln-Rath-Heumar am 24.12.2023, 23 Uhr)

Gnade und Friede sei mit uns allen von Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Amen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

„Es wird Zeit, dass wir das Kind mal beim Namen nennen“ – wenn einer eine solche Aussage macht, dann erwarten wir, dass er für Aufklärung sorgen will, eine Wahrheit aussprechen will, die verschleiert scheint oder jedenfalls nicht jedem bewusst ist. Eine Wahrheit, die gemieden wird oder einfach nicht klar oder nicht mehr klar ist.

Und ich denke, so ist das auch mit Weihnachten. Was feiern wir zu Weihnachten? Da muss im wahrsten Sinne des Wortes mal das Kind beim Namen genannt werden.

Warum wünschen wir uns Frohe Weihnachten? Oder um es mit den Worten des Kabarettisten Hans-Dieter Hüsch zu sagen: „Warum machen wir das alles? Warum übt man vierhändig die alten Weihnachtslieder? Warum lässt man eine alte Puppe reparieren? Warum guckt man immer noch durch’s Schlüsselloch?“

Und ich ergänze: Warum üben unsere Jugendliche und Erwachsene 8 Wochen lang ein Stück mit 30 Kindern, um es hier zu Weihnachten aufzuführen? Warum investieren sie ihre Nerven und all die Zeit? Oder warum hängt die Interessengemeinschaft in Rath-Heumar jedes Jahr pünktlich zum 1. Advent immer wieder mühsam ihren Lichterschmuck in der Rösrather Straße auf? Warum kann man jedes Jahr Weihnachtsmannfiguren sehen, wie sie gerade in die Fenster oder Kamine von Häusern einsteigen? Und warum machen sich die Leute damit solche Mühe, die dort anzubringen und auch noch die Fenster alle so auszuschmücken? Und warum streiten wir uns jedes Jahr, wie der Weihnachtsbaum recht zu schmücken ist? Warum fahren wir jedes Jahr hunderte von Kilometern auf deutschen Autobahnen, um in diesen Tagen die Liebsten zu sehen? Warum verbringen Menschen hier in Köln den Heiligabend freiwillig mit Chorgesang im Ossendorfer Gefängnis? Warum fährt so ein Schlesiernachkomme und durchgeknallter Pfarrer wie ich jedes Jahr viele Kilometer ins Ruhrgebiet, um dort die berühmten schlesischen weißen Würstchen bei den letzten und besten noch existierenden schlesischen Metzgern zu kaufen und lädt dann die ganze Gemeinde Heilgabendmitternacht anschließend an den Gottesdienst zu ihrem Verzehr ins Pfarrhaus ein? Warum kriegen Männer immer noch Kravatten oder schicke Hemden von ihrer Liebsten zu Weihnachten geschenkt? Warum laufen sich die Eltern auf der Schildergasse die Hacken ab, bis sie endlich alle Geschenke für die Kinder zusammen haben? Und warum gibt es jedes Jahr auf’s neue Adventsbasare oder Weihnachtsmärkte, wo die Menschen, Dinge für einen guten Zweck verkaufen? Warum kommen hier jedes Jahr Heiligabend insgesamt um die 900 bis 1000 Menschen in unsere Gottesdienste, die man sonst das Jahr über nicht sieht? Warum kommen die gerade da? Warum ist das so? Warum machen wir das alles?

Die Antwort ist ganz einfach: aus Liebe! Weil es das Fest der Liebe ist. Hinter all dem steht die Liebe. Mag sein, dass das nicht immer allen so bewusst ist. Und doch ist das so. Hinter all dem steht die Liebe, um mal das Kind beim Namen zu nennen. Auch hinter manchen Streitereien zu Weihnachten steht die Liebe. Wir meinen es doch nur alle gut. Wir wollen es doch nur gut machen. Wir wollen es gut machen, weil wir unsere Liebe zeigen wollen. Wir wollen, dass da in uns etwas zum Zuge kommt, das manchmal zwar ein Schattendasein zu führen scheint, aber im Grunde doch immer da ist und das Entscheidende ist, was uns Menschen von Gott aus verbindet:  die Liebe.

Warum machen wir das alles? Aus Liebe. Und genau darin sind wir mit Gott verbunden.

Im Johannesevangelium Kap. 3, Vers 16 heißt es: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“. Da hat das Fest der Liebe seinen Ursprung. Das feiern wir zu Weihnachten, dass uns Gottes Liebe ganz nah gekommen ist.

Wir haben keinen Gott, der sich raushält, sondern der sich hingibt, der sich aufreibt und abmüht an all den Widrigkeiten und Herausforderungen dieses Lebens, wie wir das auch tun, jedenfalls die Menschen guten Willens.

„So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“.

Und hier sind nun einige Übersetzungshilfen notwendig, damit wir diesen Satz recht verstehen. „So sehr hat Gott die Welt geliebt“ – hier geht es nicht um irgendeine anonyme Materie – nicht um irgendeine Weltkugel, sondern um die Hingabe zu den Lebewesen dieser Welt. In diesen Tagen und Wochen erlebe ich gerade auf’s Neue in den Häusern und Wohnungen unserer Gemeinde, was Hingabe ist. So sehr hat eine Frau ihren Mann geliebt, dass sie bis jetzt mit ihm alles seiner schweren Krankheit ertragen hat – die Arztgänge, sein Schreien. Nachts alle Stunde aufstehen, die Gänge zur Toilette, Anziehen, Waschen – sie hat all das aus Liebe getan. Sie ist nicht die einzige, die das getan hat oder tut. Manch einer kennt das aus eigenem Erleben. So sehr hat sie geliebt. So sehr hat sie sich hingegeben.

So sehr hat Gott die Welt geliebt – ganz ähnlich wie diese Frau. So sehr liebt diese Frau ihren Mann – ganz ähnlich wie Gott.

„So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab.“ Hinter allem, hinter all unserem Mühen zu Weihnachten und hinter all unseren immer wiederkehrenden Riten steht diese Liebe Gottes.

Aber was hat es mit diesem „Eingeborenen“ auf sich? Sicherlich ist hier nicht der kölsche Ureinwohner an sich gemeint. Aber auch nicht der Düsseldorfer, auch nicht der aus Papua-Neuguinea. Eigentlich überhaupt kein irdischer Ureinwohner. Natürlich war Jesus ganz Mensch wie Du und ich und er war auch Angehöriger des jüdischen Volkes. Aber die Bezeichnung „eingeboren“ ist eine etwas unglückliche Übersetzung von Martin Luther. Im Griechischen steht da: „monogenetos hyios“. Das würde man noch am ehesten übersetzen mit „sein Sohn von einzigartiger Herkunft“ oder aber: „sein einzigartiger Sohn“. Damit wird also die Einzigartigkeit dieses Vater-Sohn-Verhältnisses umschrieben. Aber das ist keinesfalls eine biologische Aussage. Im selben Johannesevangelium werden wir nämlich alle als Kinder Gottes bezeichnet. Also Du und ich. Und ich wüsste nicht, dass mir meine Mutter mal erzählt hätte, dass sie früher irgendwann einmal ein Tächtel-Mächtel mit dem lieben Gott bzw. Heiligen Geist gehabt hätte.

Wenn mit Blick auf Jesus die Rede vom eingeborenen, vom einzigartigen Sohn Gottes ist, dann könnte man am ehesten noch sagen, dass Jesus gewissermaßen ein Ureinwohner  des Himmels war, nicht im biologischen Sinn, sondern im geistlichen Sinn. Wir alle haben als Kinder Gottes den Funken der Liebe Gottes in uns, aber Jesus stand in einer ganz besonderen, eben einzigartigen engen Verbindung zu Gott. Es geht um diese einzigartige geistliche Verbindung. Und doch ist diese geistliche Verbindung zwischen Jesus und Gott kein Selbstzweck.

Und hier komme ich nochmal auf das „Warum“ zurück, das sich mit Weihnachten verbindet: Vater, Sohn und Heiliger Geist kreisen nicht fröhlich um sich selbst herum, sondern wirken in unserer Welt, damit alle, die an diesen Christus glauben, also ihm vertrauen, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“.

Das Ziel von alledem, das Ziel von Weihnachten ist, dass wir, sofern wir Gott und Christus vertrauen, das ewige Leben haben.

Das ewige Leben meint in der Bibel aber zuallererst nicht irgendein Leben nach dem Tod, sondern ein „erfülltes“ Leben, also ein von Gott erfülltes und sinnerfülltes Leben schon hier und jetzt. Und das meint doch wohl zuallererst ein von Liebe gefülltes Leben. Liebe, die über das eigene Selbst hinausschaut, das heute so vergöttert wird. Liebe, die sich im Gespräch von Angesicht zu Angesicht vollzieht und nicht hinter Bildschirmen. Liebe, die sich hinzugeben und zu verlieren weiß und nicht etwa das gesellschaftliche Lebensmotto „Geiz ist geil“ verinnerlicht hat. Liebe, die mich trägt, weil ich auch andere trage und ertrage.

All die Zeichen, die wir zu Weihnachten setzen, all die Riten, all die gefahrenen Kilometer, all die investierte Mühe, all das liebevoll bereitete Essen, sind nichts als Zeichen der Liebe. Alles ist vom tieferen Grund der Liebe getragen. Und das größte Zeichen dieser Liebe Gottes war Christus. Warum? Weil es aus Liebe geschah!

Wir fragen so oft, warum geschieht dieses oder jenes? Warum lässt Gott das zu? Wir fragen oft nach seiner Verantwortung, wo es um Leid oder Tod und Katastrophen in unserer Welt geht. Und doch bekommen wir nicht unbedingt eine Antwort auf diese Frage. Wir bleiben da oft ratlos und hilflos zurück und merken erst recht spät, dass diese Frage an Gott gerichtet bei ihm nicht unbedingt ankommt, denn sie rechnet ja insgeheim damit, dass es einen Grund geben könnte, weshalb uns von Gott aus übel geschehen könnte.

Die Frage nach dem Warum des Übels geht deshalb gewissermaßen an Gott vorbei. Nicht weil es ihm egal wäre, sondern im Gegenteil: weil er, wie immer wir uns ihn auch vorstellen mögen, ob personenhaft oder als eien Art Energie, sich selbst abmüht mit dem Übel, wie ein jeder liebender Mensch sich damit abmüht, im Alltag und in der Dunkelheit ein Licht zu entzünden und die Flamme der Liebe aufrecht zu halten.

Ja, zu Weihnachten erleben wir die Diskrepanz zwischen dem, wie es in der Welt zugeht und dem, was die Botschaft von Weihnachten ist, ganz besonders stark. Aber anstatt zu fragen: „Warum lässt Gott das zu?“ sollte ich vielleicht viel eher fragen: „Warum gibt es dennoch so etwas wie Weihnachten? Warum hat sich Gott das einfallen lassen? Warum gibt es trotzdem Hoffnung? Warum hat der Friede eine Chance? Warum haben die von Anderen verachteten oder an den Rand gedrängten Hirten damals als Erste die frohe Botschaft der Engel gehört und das Licht Gottes, das Jesuskind gesehen? Warum haben sich selbst Weise oder Könige tatsächlich vor diesem Kind im Stalle verneigt? Wie konnte das passieren, dass Mächtige und Einflussreiche in die Knie vor Jesus gingen und sie seine Menschlichkeit angerührt hat? Warum lässt Gott so etwas geschehen? Wie konnte das auch passieren, dass ein reicher Zöllner auf einmal sein Hab und Gut verkauft und den Ausgebeuteten ihren Anteil zurückgab, den er ihnen schuldete? Warum sind 5000 Menschen bei Jesus von wenig Brot und Fischen satt geworden? Warum wurden Blinde sehend, Lahme gehend und Kranke gesund? Warum trat und tritt Gott für all das ein? Warum? Aus Liebe!

Die Antwort auf diese Warum-Frage trägt uns sehr viel mehr und weiter als die unbeantwortbare Frage nach dem Warum des Leids.

Die stille Freude, die wir zu Weihnachten empfinden, liegt in dieser Liebe Gottes begründet, der an uns festhält in Liebe und uns nicht loslässt und uns nicht uns selbst überlässt. Denn er will, dass wir ein erfülltes Leben haben.

„So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“. Das Kind ist beim Namen zu nennen. Es ist Liebe für die ganze Welt.

Wie wichtig dieses Bewusstsein ist, dass sich Gott mit seiner Liebe in die ganze Welt begibt und nicht etwa nur in die westliche Welt oder die nördliche Hemsiphäre, entnehmen wir einem Brief, den wir von einem Pfarrer unserer Partnergemeinde aus dem Kongo vor über 10 Jahre einmal zu Weihnachten erhalten haben. Ich lese in deutscher Übersetzung aus dem damaligen Weihnachtsbrief von Polisi Kiwawa (von leisen Orgeltönen untermalt) : „Liebe Partner, vor einem Jahr schrieb ich Ihnen allen mit der Bitte für Goma und die Umgebung zu beten, als die Stadt von Rebellen eingenommen wurde. Ein Jahr lang lebten wir bedroht, mit offenen Gewehrläufen auf die Stadt gerichtet, die jederzeit bereit waren auf uns zu feuern. Die Meisten von uns waren getrennt von unseren Verwandten. Sie können sich nicht vorstellen, wie schmerzhaft es war für einen Afrikaner, die Beerdigung von einem Geliebten zu verpassen, nur weil der Weg zu unsicher war.

Ich bin sehr froh, unsere Freude mit Ihnen zu teilen, dass der Krieg nun vor einem Monat zu Ende ging

Häuser sind zwar zerstört und die Felder beschädigt. Aber es gibt einen Wiederaufbau.

Menschen beten im Allgemeinen zu Gott, wenn sie in Gefahr sind und vergessen Ihm zu danken, wenn er antwortet. Jetzt ist der Moment Gott zu danken und Ihnen allen, die uns stets spirituell, moralisch und materiell unterstützt haben, zu danken. Unser Gebet im Moment ist – und bitte bedenken Sie das in Ihren Gebeten – dass unsere Politiker verstehen mögen, dass, wie auch immer ein Krieg ausgeht, keiner – Sieger oder Verlierer – ungeschoren herauskommt. Kein dauerhafter Frieden kann mit dem Gewehr erreicht werden.

Möge Gott uns alle in Seiner Liebe bewahren und uns lehren einander zu lieben. Möge Er uns weiter helfen bei dem langen Weg des Wiederaufbaus.

Mit weihnachtlichen Grüßen

Polisi Kiwava.

 So der Brief unserer Partner aus dem Kongo. Im Kongo ist aktuell wieder Krieg. Und seine Dimensionen machen deutlich wie durch die mediale Aufmerksamkeit verengt unser Blick auf die Kriegsschauplätze in der Ukraine und in Israel bzw. Gaza ist. Seit über 20 Jahren folgen Konflikte und Kriege in der Demokratischen Republik (DR) Kongo aufeinander. Rund 130 bewaffnete Gruppen kämpfen in dem zweitgrößten Staat Afrikas um territoriale Machtansprüche und um die Kontrolle über die Rohstoffe. Trotz wertvoller Rohstoffe, von denen die westliche Welt profitiert, gehört die Demokratische Republik Kongo zu den ärmsten Ländern der Welt. Wegen der aktuellen Situation sind im Jahre 2023 über fünf Millionen Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht. Trotz wertvoller Rohstoffe, von denen vor allem  gehört die Demokratische Republik Kongo zu den ärmsten Ländern der Welt.

Unsere partnerschaftlich verbundenen Geschwister in Christus, die in Ostkongo leben vertrauen auch weiterhin trotz alledem der weihnachtlichen Botschaft, wie sie damals im Brief von Polisi Kiwava beim Namen genannt wurde. Ich wiederhole seine Worte: „Kein dauerhafter Frieden kann mit dem Gewehr erreicht werden. Möge Gott uns alle in Seiner Liebe bewahren und uns lehren einander zu lieben.“

Er erinnert uns zu Weihnachten, woher wir kommen – von der Liebe Gottes her. Und was uns verbindet – die Sprache der Liebe, nicht die der Waffen.

 Lied: EG 36, 1-4 „Fröhlich soll mein Herze springen“

Bibelworte helfen uns, um das Kind von Weihnachten beim Namen zu nennen, um also zu benennen, was Weihnachten für uns existentiell bedeutet – ganz so wie das eben genannte Bibelwort aus dem Johannesevangelium, Kap. 3, Vers 16.

(Auf Bild weisen!) Aber auch dieses Bild, das wir hier vorne sehen und das uns schon oft in den Heiligabendgottesdiensten begleitet hat, zeigt auf, was sich mit Weihnachten verbindet – mit diesem Kind. Das Kind wird beim Namen genannt durch die Art und Weise, wie der Künstler Gerrit van Honthorst das Bild gestaltet hat – das Kind „als Licht der Welt“. „Licht der Welt“ ist eines der vielen Namen oder Bezeichnungen, die sich mit Jesus verbinden. Es gibt wohl kein Bild in der Kunstgeschichte, das die Geburt Christi so prägnant als Licht erscheinen lässt, als Licht das sich in den Gesichtern der Beteilgten so wunderschön abbildet. Licht ist Ausdruck von Hoffnung. Hoffnung, die sich mit diesem Christus verbindet wie mit keinem Anderen.

Auch Christus ist so ein Name dieses Kindes – ein Name, den wir auch unter der hebräischen Bezeichnung „Messias“ kennen – und er bedeutet: der Gesalbte. Also der von Gott zum König Berufene. Frelich ein König besonderer Art. Dieser lang ersehnte König  soll nach Aussage der Engel  Frieden und Wohlergehen für unser Leben bedeuten. Wie ist das nun zu verstehen? All die Dinge, die sich damit verbinden, die hatte schon der Prophet Jesaja mit Blick auf den ersehnten Messias benannt – damals ungefähr achthundert Jahre vor Christi Geburt. Da war es eine Vision für das leidende und von allen Seiten bedrängte Volk. Aber es sind Botschaften, die uns auch heute noch anrühren. Im 9. Kapitel des Buches Jesaja heißt es in bekannten, vertrauten Worten: (von leisen Orgeltönen untermalt) „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch, Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird ausrichten die Leidenschaft des HERRN Zebaoth.“ Amen.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus, Menschen, die die Worte des Jesaja später gelesen haben, haben all das, was wir da hören, mit Jesus in Verbindung gebracht. Heute, in diesem Jesus von Nazareth, in diesem in einem einfachen Stall Geborenen und auf einem Esel Daherreitenden geht das in Erfüllung.

„Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“ Zunächst einmal war das damals überhaupt nichts Besonderes. Königsnachfolger gab es immer wieder und nicht wenige bezeichneten sich da in der Umwelt Israels als Söhne Gottes. Das sollte einfach nur bedeuten, dass sie ihre Macht unmittelbar von Gott herleiteten, jedenfalls von dem Gott, dem sie anhingen. In unseren Breitengraden wird heute der Machthaber gewählt. Da kann man nicht einfach sagen: ich bin der Sohn Gottes. Heute muss man schon einige verlockende Wahlgeschenke abgeben und Wahlversprechen machen, wenn man an der Macht bleiben will. Es war und ist auch heute nichts Besonderes, dass es vielen dabei nur um die Macht zu gehen scheint.

Aber Jesajas Botschaft bleibt bei dieser Erfahrung nicht stehen. Hier wird nicht einfach irgendein austauschbarer Machthaber angekündigt. Da würde uns diese Botschaft auch recht wenig interessieren oder gar treffen. Was interessiert mich, wer da mal wieder sein Scherflein ins Trockene bringt?! Und nur weil der ein Königssohn von Israel werden soll, wird der deshalb ja noch lang nicht besser sein als andere, seine Herrschaft nicht automatisch menschenfreundlicher oder gerechtfertigt sein, nur weil er aus Israel stammt. Die Ohnmacht der Ohnmächtigen ist in der Geschichte doch all zu leicht und all zu oft umgeschlagen in die Herrschaft der Herren. Aus den Verfolgten sind schnell Verfolger geworden, wie wir es in vielen Ländern dieser Erde auch heute noch erleben können. Aus den Ohnmachtserfahrungen oder Ängsten heraus sind nicht selten Allmachtsfantasien und Größenwahn erstanden und die Spieße einfach nur umgedreht worden. Nach dem menschenverachtenden Überfall der Hamas auf Israel, ist Israel ohne Zweifel in der großen Not, diese Gefahr irgendwie ausschalten zu müssen und auch die Geiseln lebend frei zu bekommen. Aber innerhalb der israelischen Bevölkerung wird das, was unter der Regierung von Netanjahu da gerade im Gaza passiert, äußerst kontrovers diskutiert. Das große Leid, was der palästinensischen Bevölkerung dort im Augenblick widerfährt, wird sich da ins historische Gedächtnis der Betroffenen eingraben genauso wie sich der barbarische Überfall der Hamas in die Herzen der Betroffenen eingebohrt hat.

Die Palästinenser werden für die jeweiligen politischen Interessen missbraucht und werden zwischen den Fronten und den Herrschenden zerrieben. Es ist deshalb eine ganz falsch verstandene Solidarität mit Israel, wenn man hier nur zuschaut und gewähren lässt und nur von „uneingeschränkter oder bedingungsloser Soldarität“ mit Israel spricht. Das ist ein Freibrief für alle mögliche und unmögliche Politik der Gewalt. Um Israel willen braucht es Anderes.

Der Auftrag Gottes an den Propheten Jesaja war nicht, den üblichen Fortgang von siegenden und verlierenden Königen in Israel und der sie umgebenden Reiche  zu verkünden und lediglich dabei lediglich die Namen der in der Welt Herrschenden auszutauschen. Der Auftrag Gottes will solchen Fortgang, solche Kontinuität gerade unterbrochen wissen. Die Namen, die Namen, die dann bei Jesaja in seiner von Gott eingegebenen Vision, zu hören sind, stehen deshalb für etwas ganz Anderes Neues.

Der Name ist ja etwas, was die Eltern für ihre Neugeborenen normalerweise mit viel Bedacht auswählen. Eigentlich steht der Name ja für die Persönlichkeit und die Einzigartigkeit des jeweiligen Menschen. Bei Jesaja ist das ganz ähnlich und er hat auch ein ähnliches Problem wie viele junge Eltern eines neugeborenen Kindes. Er kann sich gar nicht richtig entscheiden zwischen all den schönen Namen. Und deshalb nimmt er bzw. Gott, der ihm diese Vision eingegeben hat, gleich vier. Das sollen also die Namen des wahren Messias sein: „und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.“

Daniel Karl Otto Theodor Ludwig, heißt unser Kind. Also, eigentlich heißt unser Kind ja Daniel, aber der Vater heißt Karl und Otto find ich gut, ja und Theodor heißt der Pate und Ludwig hieß der Großvater. Namen – wir merken es an dem Beispiel – stehen nicht nur für Identitäten, sondern stehen auch für Bezüge, für Beziehungen. Und so ist das auch mit den Namen des ersehnten Messias. Auch Jesaja gibt da die Begründung für ab, warum ihm diese alle in den Sinn kommen und keiner dieser Namen fehlen soll: „damit seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.“

Jesaja nennt das Kind also beim Namen! Es geht dabei um Frieden, Recht und Gerechtigkeit. Die Namen haben mit diesen Beziehungsweisen zu tun. Und in diesen Namen, die eben doch vier sind, liegt der Wiedererkennungswert des Kindes, das beim Namen genannt wird. Nur deshalb konnten Menschen später diese Vision auf Jesus beziehen und sagen: Ja, das ist der Messias. Das ist er – Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.

Schauen wir uns diese Namen aber doch mal näher an. Es lohnt sich, denn in diesen Namen steckt das drin, was uns zu Weihnachten so froh macht.

Wunder-Rat – Gemeint ist hier nicht der Stadtrat in Köln, obwohl man sich da manchmal nur noch wundern kann über manche Beschlüsse. Gemeint ist auch nicht das wundersame Rath, das da liegt bei Köln am Waldesrand in stiller Nacht, solang der Frachtflugverkehr das nicht vereitelt.Und mit Wunder-Rat ist sicher auch kein wunderbarer Renditenratgeber gemeint, den sich viele tatsächlich sehnlicher wünschen als den Messias.

Wunder-Rat ist vielmehr der, der mir zur Seite steht in der Not. Der ein Ohr für mich hat und mich so berät, dass ich meinen Weg ermutigt weitergehe. „Da kann nur noch ein Wunder helfen“, sagen viele in ausweglosen Situationen. Auch in diesen weihnachtlichen Tagen gibt es einige Menschen in unserer Gemeinde, die schwer zu kämpfen haben mit lebensbedrohlichen oder unheilbaren Krankheiten. Das, was Israel damals erlebte und gewß auch heute noch – von Gewalt und Feinden umzingelt zu sein – erleben diese Menschen in ihrem ganz persönlichen Lebenskampf mit schwerer Krankheit. Da können hilfreiche Worte, die mit dem Zuhören beginnen, schon eine wunderbare wohltuende Unterstützung sein. Und manchmal ist es gar die Stimme eines Kindes: „Omi. Du kannst jetzt Weihnachten feiern. Ich hab schon die Kerzen angemacht und hier ist ein Geschenk für dich.“ Diese Kinderstimme verweist uns auf das Licht, das durch ein Kind tatsächlich in unsere Welt gekommen ist, wie es auch auf dem Bild von Gerrit van Honthorst im wahrsten Sinne des Wortes zum Vorschein kommt. Gott hat uns seinen wunderbaren Ratgeber gesandt und verleiht ihm immer wieder eine Stimme wie auch heute noch in diesem Kind.

Gott-Held – ein weiterer Name. Jesus Christ Superstar, so heißt ein Musical der siebziger Jahre. Jesus, ein Superstar, ein Held mit göttlicher Kraft? Das klingt im ersten Moment so unverwundbar, als wenn er über den Dingen gestanden hätte. Das war ja nicht so – „mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ waren schließlich die Worte aus seinem Munde am Kreuz. Worin liegt also diese große Kraft, diese Macht des Messias? Es ist die Liebe. Es ist die Macht der Liebe, die in ihm gewirkt hat – Gottes große Kraft der Liebe, die so viel bei uns verändert hat und heute immer noch verändern kann. Ich denke an die Helden des Alltags, die kaum einer sieht und die doch diese Liebe heute mit viel Macht weiter tragen. Es sind die, die heute an Heiligabend Dienst tun in den Seniorenheimen. Es sind die, die auch heute nicht in den Gottesdienst kommen, weil sie zuhause die pflegebedürftige Mutter nicht einen Moment allein lassen wollen. Die Superstars sind auch nicht diejenigen, die mit irgendwelchen Benefitsshows Geld für Bedürftige generieren. Die Superstars sind die, die sich persönlich einsetzen für die Armen, Verfolgten und Rechtlosen in unserer Welt und die dort in die fernen Länder hingehen und sich engagieren. Das tun sie in Friedensdiesten und in Diensten unserer Kirche in der großen weiten Welt. Und da gibt es auch junge Menschen aus unserer Gemeinde, die das tun und an die ich heute besonders denke.

Ewig-Vater

Was ist ein Ewig-Vater? Oder eine Ewig-Mutter? Manche kennen das aus eigenem Erleben. Einmal Vater, immer Vater, einmal Mutter, immer Mutter. Man bleibt es irgendwo das ganze Leben. Noch viel mehr gilt das für Gott und den, den er uns gesandt hat. Kleine Kinder kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen. Auf diesen Vater können wir uns verlassen. Ich kann mich ihm anvertrauen mit meinen größten Sorgen. Es bedeutet, ein Stück Geborgenheit finden.

Geborgenheit in der Unbehaustheit unseres Lebens finden – für manche ist das sehr konkret. In unserem Projekt für Wohnungslose auf der Eiler Straße – in der Arche erleben Menschen das. „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen“, sagt Jesus einmal auf Gott bezogen. Und er macht damit deutlich: Der, der als Messias selber keine Herberge fand, sondern nur einen Stall, weiß um die Güte Gottes, bei dem wir immer einen Platz haben werden und dass wir von dieser Erfahrung der himmlischen väterlichen Güte nur weitergeben müssen, wenn wir das Gesicht der Ungerechtigkeit und Gleichgültigkeit in dieser Welt verändern wollen.

Friede-Fürst

Vielleicht ist es euch aufgefallen, liebe Schwestern und Brüder. Der Messias wird hier nicht als Friedens-König, sondern als Friedens-Fürst bezeichnet. Andere übersetzen auch: Friedens-Diener. Das macht deutlich, worum es Jesaja hier geht. Jesaja unterscheidet zwischen Gott, der der eigentliche König ist und dem wahren Messias, der ihm und dem Frieden zu dienen hat.

Wir haben heute viele selbst erwählte Friedenskönige und manche selbst erwählte Erlösergestalten. Viele auch, die nur an einen Siegfrieden glauben, also an einen Frieden, der mit militärischen Mitteln und der Unterwerfung oder gar Auslöschung des Gegners einhergehen. Aber dient das dem Frieden?

Im Blick auf den Messias ist die Aufgabe eindeutig. Er hat ausschließlich dem Frieden zu dienen, und zwar nicht nur dem Frieden Israels, sondern dem aller Völker und aller Menschen. Das liegt daran, dass das biblische Verständnis von „Schalom“, also Frieden, nicht einfach nur die Abwesenheit von Krieg bedeutet, sondern mehr: Es bedeutet Wohlbefinden. Dazu gehört ein Leben in Gerechtigkeit und Zufriedenheit für einen jeden, ein Leben voller Teilhabe an Gottes Schöpfung, voller Liebe und Freude, ein Leben im Miteinander, das zugleich die Andersartigkeit des Anderen achtet. Zum Frieden gehört das Teilen – zum Frieden gehört auch der Andere – so einfach ist das. Und der Friede des Friedefürsten ist nicht das Ende des Feindes, sondern das Ende der Feindschaft – ein himmelweiter Unterschied.

Erst so haben wir das Kind vollständig beim Namen genannt, das Kind, das zu Weihnachten gefeiert werden und geachtet werden will. Im Kongo, im Gaza, in Israel, an allen Orten der Welt und nicht zuletzt bei mir zuhause und in meinem Herzen. Amen