Der HERR erhörte unser Schreien und sah unser Elend, unsere Angst und Not.
5.Mose 26,7
Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er bei ihnen lange warten?
Lukas 18,7
Liebe Leserinnen und Leser,
es gibt Bibeltexte, die mich immer wieder wundern und staunen lassen. Und an denen ich wieder und wieder hängen bleibe. Einer davon ist das Gleichnis von der bittenden Witwe.
Lukas erzählt es, und er zeichnet ein Bild von einer sehr willensstarken Frau, die der eine vielleicht als zänkisches altes Weib vor sich sieht oder die andere als schöne und kluge Frau, die genau weiß, wie sie zu ihrem Recht kommt. Jedenfalls hat sie sich vor einem Richter Respekt verschafft, so dass er von seinem unrechten Richten Abstand nimmt und endlich den Fall der Frau bearbeitet. Ein wenig fade der Beigeschmack, den das Evangelium hinzugibt: „..will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage.“ (Lk 18,5) Der Richter ist also nicht nur ungerecht, sondern auch ein Feigling. Aber letztlich führt die Hartnäckigkeit und Bissigkeit der Witwe zum Erfolg. Somit sagt Jesus zu dieser Gleichnisgeschichte: „Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er bei ihnen lange warten?“
Gott ist ansprechbar für uns in Rechtsfragen, und die Rechte müssen auch immer wieder auf ihre Machbarkeit und Gültigkeit überprüft werden. Was wir als ungerecht empfinden, müssen wir nicht bei uns behalten.
Gott wartet darauf, dass wir uns an ihn wenden. Der Vers aus dem 5. Buch Mose, der die Losung darstellt, ist viel zu kurz in diesem Zusammenhang. Er stammt aus einem wunderbaren Text, mit dem die Israeliten, die sich noch in Enge und Bedrängnis befinden, auf ihre Ankunft im gelobten Land vorbereitet werden. Vom Danken und Loben erfährt man dort, vom Opfer und vom Gebet, das von der ganzen Errettungsgeschichte weiß. „Und der HERR erhörte unser Schreien und sah unser Elend, unsere Angst und Not, und führte uns aus Ägypten mit mächtiger Hand und ausgerecktem Arm und mit großem Schrecken, durch Zeichen und Wunder, und brachte uns an diese Stätte und gab uns dies Land, darin Milch und Honig fließt.“ Es braucht hartnäckige Erinnerung, ein immer wieder vor Augen führen, dass Gott da ist und hilft, heute wie vor Urzeiten. Im Gottesdienst in unserer Kirche in dieser Woche wieder gemeinsam Beten, im Wechsel Sprechen, Hören oder einfach mal still sein zu können, das war so eine heilsame Vergewisserung dessen, dass Gott noch da ist. Auch zu Zeiten von Corona.
So verstehe ich beide Texte, Losung und Lehrtext, heute als Aufforderung, mit Gott zu rechnen und ihm vor Augen und vor Ohren kommen zu lassen, was mich bewegt und wobei ich von ihm Rat, Hilfe und Handeln erhoffe.
Seien Sie hartnäckig!
Dies hofft und wünscht Ihre Pfarrerin Andrea Stangenberg-Wingerning