(von Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel)
Die Gnade und der Friede Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen
Liebe Schwestern und Brüder in Christus,
wir haben eben in der Lesung die sogenannte Pfingstgeschichte gehört. Manche würden im Neudeutsch sagen: „Das ist eine richtig abgedrehte Geschichte, so wie da von den Naturgewalten die Rede ist, also von Wind und Sturm, der das Haus erfüllt und Feuerzungen, die sich auf die Jünger setzen und dann noch das sogenannte Sprachenwunder – die Herbeigeströmten hören die Jünger alle in ihren eigenen Sprachen sprechen.“ „Voll krass“, würden manche Jugendliche da auch sagen.
Für uns klingt das alles recht befremdlich, eben abgedreht oder voll krass, wie man sagen würde. Was ist da tatsächlich geschehen zu Pfingsten? Was will uns diese Geschichte eigentlich sagen? Um das zu verstehen, müssen wir uns auf die Bildebene der Geschichte begeben. Denn, wie so oft in der Bibel, handelt es sich hier um einen schriftstellerischen Text und der spricht in Bildern zu uns und diese Bilder wollen nicht unbedingt alle wortwörtlich verstanden werden, sondern eben als bildhafte Aussagen. Dennoch sind die Aussagen sehr konkreter Art und mit durchaus viel Bezug zu unserem Leben heute. Das werden wir noch merken.
Die Geschichte von Pfingsten beginnt in einem Haus, in das sich die Jünger zurückgezogen haben. Angst und Vorsicht waren ihre Begleiter, denn der, zu dem sie gehörten, war ja gekreuzigt worden. Und das gleiche Schicksal drohte ihnen auch zu widerfahren, wenn sie nicht vorsichtig genug wären und sich zu offen zu ihm bekennen würden.
So beginnt die Geschichte – die Jünger erstarrt, mehr oder minder in Mutlosigkeit hinter verschlossenen Türen und Fenstern. An die Öffentlichkeit trauen sie sich kaum. Die Angst sitzt ihnen im Nacken und lähmt oder bremst sie zumindest. Und dann hören wir vom Ende der Geschichte, wie sie draußen auf der Straße sind und Petrus mutig das Wort ergreift und sich in Folge seiner Predigt die umherstehenden Menschen durch seine Worte berühren und taufen lassen. Mit anderen Worten: die Jünger sind im wahrsten Sinne des Wortes ganz aus dem Häuschen.
Mit dem Bild des Windes und des Sturmes vom Himmel her, der die Jünger aus dem Haus nach draußen treibt, wird hier beschrieben, was der Heilige Geist, also der Geist Gottes bewirkt hat, nämlich Befreiung und Ermutigung.
Ähnlich wie wir in diesen Tagen Corona bedingt in unseren Häusern und im stillen Kämmerlein zurückgezogen und lahmgelegt gelebt haben, begleitet von beklemmenden Gefühlen, ging es auch den Jüngern. Da draußen lauerte eine Gefahr, ein Angstgegner. Und wenn dann nun vom Sturm vom Himmel her die Rede ist, mit der der Geist Gottes da wirkt, dann will uns das einfach sagen, dass Gott uns die Angst nehmen kann und will.
Und so ist es stimmig, dass nicht nur die Jünger aus dem Häuschen waren, sondern auch wir heute in Rath und morgen in Ostheim Gottesdienst open air, also unter freiem Himmel feiern wie schon am Himmelfahrtstag. Wir setzen damit ein Zeichen, dass wir uns nicht allein von der Angst bestimmen und leiten lassen wollen, sondern vielmehr vom Heiligen Geist.
Das steht uns Christen gut an. Und auch die Kirchenleitungen, die teils viel zu still und zu zögerlich waren in zurückliegender Zeit und sang- und klanglos hingenommen haben, dass Staat und Stadt Corona bedingt nicht nur Gottesdienste pauschal untersagt haben, sondern auch Seelsorgern in Krankenhäusern und Seniorenheimen den Zutritt verwehrt haben, sollten sich mehr an der Pfingstgeschichte orientieren als nur an der permanenten Sorge um die sogenannten Risikogruppen, die in vielen Bereichen gerne die Verantwortung für sich selbst übernehmen wollen und können. Schutz hin, Schutz her. Sie haben nicht weniger Recht auf Autonomie und ein selbst bestimmtes Leben als diejenigen, die unter 60 sind. Das muss mal deutlich gesagt werden.
Nun komme ich zu dem, was Ihr auf Euren Plätzen außer den Liedzetteln vorgefunden habt – richtig – die Buchstabensuppe.
Da habe ich Euch eine schöne Suppe eingebrockt und Ihr müsst sie jetzt auslöffeln. Genau – vielmehr habe nicht ich sie Euch eingebrockt, sondern der Heilige Geist hat sie uns eingebrockt.
Dazu muss ich ausholen. Die Buchstaben nehmen Bezug auf das sogenannte Sprachenwunder in der Pfingstgeschichte. „Die Jünger fingen an zu predigen in anderen Sprachen“, heißt es da im Text „und die Menge der Menschen wurde bestürzt, denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache sprechen.“ Wenn man im Internet das Stichwort „Sprachenwunder“ eingibt, weil man erhofft, darüber irgendetwas zu erfahren, dann landet man nicht bei Pfingsten, sondern bei einer Werbung für den neuesten Sprachcomputer, eine Übersetzungsmaschine, in die man einen Text eingeben kann und der wird dann mehr oder minder grausig in 23 europäische Sprachen oder auch mehr übersetzt.
Das hat mich nachdenklich gemacht. Es ist schon verwunderlich, was da aus dem Sprachenwunder der Pfingstgeschichte geworden ist – ich habe schon manche E-mails, also elektronische Briefe gelesen oder auch Bauanleitungen von Möbeln oder Gebrauchsanweisungen von einem Rasierapparat beispielsweise, die alle mit Hilfe eines solchen Übersetzungscomputerprogramms erstellt worden sind. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass solche Übersetzungen in der Regel schwieriger zu verstehen sind als die Bibel beispielsweise. Und das will schon was heißen.
Die auf diese Weise erstellten E-mails habe ich gleich gelöscht, weil ich für Ratespiele keine Zeit habe. Aus dem Schrank, den ich mir mal gekauft habe, wäre, wenn ich mich beim Aufbau tatsächlich an die Bauanleitung gehalten hätte, beinahe ein Beichtstuhl geworden, also gewissermaßen ungewollt ein Beitrag zur Ökumene usw.
Dieses Sprachenwunder ist einfach nur verwunderlich, denn es ist nichts als eine Illusion. Und warum funktioniert dieses Sprachenwunder nicht wirklich? Die Antwort ist ganz einfach: Weil der Computer nicht kapiert, was Sprache ist. Ein perfektes Sprachübersetzungsprogramm wird es nie geben. Warum nicht? Weil an dieser Sprache oder dem erstrebten Sprachwunder das Wesentliche fehlt – die Seele … ja, und vielleicht auch der Geist.
Wir leben in einer verrückten Welt, in der sich in der Spielzeugabteilung von Karstadt zehn Kinder mit Gameboys beschäftigen, ohne ein einziges Wort zueinander zu sagen. Da ist es dann stiller als in der Kirche. Wir haben die dollsten Kommunikationsmittel – Telefon, Handy, PC und was nicht alles, aber gleichzeitig stellen Wissenschaftler, Pädagogen, Psychologen und Politiker eine zunehmende Spracharmut oder gar -unfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen fest. Wir leben in einer verrückten Welt, in der eine neue Sprache das Verrückte unbedingt gerade rücken müsste. Wollen wir, dass unsere Kinder und Jugendlichen in solch einer seelenlosen Welt aufwachsen? Nein, das wollen wir nicht. Wir wollen, dass sie Sprache finden. Sprache finden heißt Verstehen, heißt Verständnis finden, ja, letztlich auch Liebe finden. Die meisten Menschen, die einen Menschen suchen, der sie liebt, benennen als wichtigste Eigenschaft: Er oder sie soll mich verstehen können. Wir brauchen eine neue Sprache, die zusammenführt. Nicht nur unsere Kinder, wir alle brauchen Worte und solche Sprache, die in der Welt nur durchbuchstabiert und beherzigt wird.
In der Pfingstgeschichte hören wir von solch einer Vision einer neuen Sprache. Und diese Vision lebt nicht von der Television, also der Macht der Bildschirme, sondern vom gesprochenen und verstandenen Wort.
Die Geschichte erzählt, wie das von den Jüngern gepredigte Wort die Menschen erreicht und in der jeweils eigenen Sprache verstanden wird. Viele Übersetzungen sind hier ungenau. Denn eigentlich heißt es im griechischen Urtext sogar, „en dialecto“ – also in ihrem jeweiligen Dialekt verstehen sie. Das wird sogar zweimal im Text erwähnt, also scheint es wichtig gewesen zu sein.
Das Sprachenwunder der Pfingstgeschichte ist demnach nicht etwa eine Einheitssprache, also, dass alle ein und dieselbe Sprache sprechen. Das wäre ja der Dialekt gerade nicht. Eine einheitliche Sprache bringt noch keine Einheit oder Eintracht, Verstehen.
Wir haben ja heute Englisch gewissermaßen als Weltsprache, Es ist zur Einheitssprache geworden. Und trotzdem scheint das die Menschen mehr zu entfremden als zu integrieren. Könnte es daran liegen, dass unsere Seele nicht getroffen wird?
Wenn meine Mutter mit Verwandten aus Norddeutschland telefoniert, dann ist das voller Seele, voller Leben. Dann passiert es, dass sie innerhalb von nur zwei Minuten ins Pladdütsch, also in den norddeutschen Dialekt ihrer Heimat verfällt. Und wenn ein Kölner begeistert von etwas erzählt, dann geschieht das „op kölsch“. Der Dialekt ist die Sprache der Gefühle. Der Dialekt und in der die Seele zuhause ist. Das Wunder der Pfingstgeschichte ist gerade nicht die Schaffung einer Einheitssprache. Aber das Wunder der Pfingstgeschichte ist auch nicht ein genialer Zaubertrick dass die Jünger auf einmal hunderte von Sprachen sprechen könnten, also auf göttlichen Knopfdruck hin Sprachcomputerqualitäten erlangt hätten, die ja, wie vorhin beschrieben, ohnehin nicht erstrebenswert sind. Sondern das Sprachenwunder ist, dass sie die Menschen in der Sprache erreichen, in der sie zuhause sind. Ja, dass alle Menschen sich verstanden fühlen und verstehen.
Das ist keineswegs selbstverständlich. Wie oft reden wir an Menschen vorbei und wie schnell wird daraus Krieg? Ehekrieg oder Krieg der Völker. Und wie oft reden wir als Kirchen an den Menschen vorbei? Oder drehen sogar mit unsern Wörtern Gott das Wort im Munde herum?
Was ein Glück, dass er sich manchmal wehrt und durch seinen Heiligen Geist selbst das Wort ergreift.
Pfingsten ist, wenn das Wort Gottes zu den Menschen kommt, in ihr Leben. Vielleicht etwa auch so wie damals 1521 beim sogenannten Bibelfrühling in Meaux bei Paris. Was viele nicht wissen ist, dass da die Bibel zum ersten Mal ins Französische übersetzt wurde von Guillaume Farel – etwa zeitgleich, ja sogar noch früher oder schneller als sie Martin Luther ins Deutsche übersetzte. Es waren Weber und Handwerker, einfache Menschen, die die Bibel auf einmal in ihrer Sprache hörten, verstanden und diskutierten. Ein Aufbruch in eine Neue Zeit, weil das Wort endlich bei ihnen ankam, Orientierung schenkte für ihr Leben und auch Freiheit.
Um die Bildsprache der Pfingstgeschichte besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick in den Text selbst. Klar, Bibeltexte, über die man spricht, sollte man am besten auch gelesen haben. Im Text begegnet ein Wortspiel, das bedeutsam ist für das Verständnis des pfingstlichen Sprachenwunders.
Es heißt da „Und es erschienen den Jüngern Zungen, wie von Feuer; und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist, der sich auf einen jeden von ihnen setzte, und sie fingen an zu predigen in anderen Zungen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.“ Im Französischen gibt es ein und dasselbe Wort für „Zunge“ und „Sprache“ – la langue. Im Spanischen ist das auch so „lengua“. Im Deutschen haben wir nicht dasselbe Wort für beides. Aber im Griechischen ist das auch so – „Glossa“ Und so kommt das auch in unserem Text vor.
Die Jünger haben also eine Vision von dem, was sie zur Sprache bringen sollen. Sie sehen die Zungen, die Sprachen wie ein Feuer vor sich. Es ist der Geist Gottes selbst, der ihnen diese Sicht ermöglicht. Es ist der Geist, der ihnen ermöglicht, dass sie verständlich sprechen, dass sie das Herz der Menschen erreichen. Und genau so sagte das mal ein jüdischer Gesprächspartner zu mir, als ich in Frankreich studierte und wir gemeinsam die Bibel lasen. „Es kommt nicht auf die Buchstaben selbst an, sondern auf den Geist, der diese Buchstaben verbindet und durch sie spricht.“
Und da komme ich jetzt auf die Buchstabensuppe zurück, die uns der Heilige Geist eingebrockt hat. Wenn Ihr sie kocht und genießt, sollt Ihr daran denken, wie schön es ist, dass uns der Heilige Geist, sprachfähig macht. Die Buchstabensuppe des Heiligen Geistes auslöffeln, heißt dann im übertragenen Sinn: Ich muss mich in der Sprachwelt des Gegenübers einfinden. Schauen, wo er steht, was ihn bewegt, was seine Lasten des Leidens sind und was seine Lieder der Hoffnung sind und was an ihm vielleicht anders ist als an mir selbst. Wir müssen uns dabei nicht gleich machen oder gleich schalten lassen. Weder im Ge-Trumpel eines Twitterforums, noch im realen Leben. Gottes Geist ermutigt dazu gerade auch die Stummen, die Sprachlosen und die ohne Stimme, wie er damals auch die Jünger ermutigte und sprachfähig machte. Gottes Geist erreicht den Frieden, weil er die Sprache des Verstehens und der Liebe spricht. Er verbindet Sprachen und Kulturen, ohne sie aufzuheben, oder gleich zu machen, aber auch ohne alles beliebig erscheinen zu lassen. Gottes Geist lässt die Menschen von Christus erzählen und erfahren, weil darin Gottes Liebe zu uns Menschen, greifbar, spürbar, deutlich wird. Das ist die neue Sprache, die ich meine. In der Taufe schließen wir mit Gott einen Bund, in der wir Menschen eine solche Sprache sprechen oder besser Gott mit solcher Sprache zu uns spricht, die voller Liebe und Frieden ist. Das ist die Sprache, die ich meine und es ist eine Sprache, die unsere Welt heute bitter nötig hat. Eine Sprache, die wir in unserem Herzen neu einüben müssen. Buchstaben, die Gottes Geist neu ordnen muss, damit es ein Sprachenwunder wird. Guten Appetit! Amen.