Du betrachtest gerade Predigt „Feigenbaum mal anders“ vom 17.07.2023 von Ulrike Plath

Predigt „Feigenbaum mal anders“ vom 17.07.2023 von Ulrike Plath

Unter euch wohne Gnade und Friede von Gott, unserem Ursprung, und von Christus Jesus, zu dem wir gehören.

Liebe Gemeinde!

Herzlich willkommen auf den alten Bänken unter dem großen alten Feigenbaum hier in der Mitte unserer Gemeinschaft.

Schauen Sie mal hin! Wie wunderbar gold-grün jetzt im Sommer das Laub über uns schimmert. Und: lauschen Sie mal, wie sanft raschelnd der leichte Wind durch die Blätter streicht. Und hier unten zu unsern Füßen: wie wunderbar die starken Wurzeln tief in die Erde greifen, so dass der Baum für uns Himmel und Erde verbindet.

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, dass Feigenbäume älter sind als die Menschheit? Den allerersten Feigenbaum setzte Gott in den Ursprungs-Garten in Eden, noch bevor Adam und Eva dort geschaffen wurden. Und haben Sie mal überlegt, dass Adam und Eva auch draußen vor dem Paradies-Tor ganz sicher einen Feigenbaum hatten? Unter dem sie sitzen konnten und Geschichten erzählen und lachen und Lieder singen? Der ihnen ganz einfach, ohne viel Arbeit, Früchte schenkte, sogar zwei bis dreimal im Jahr, die sie auch trocknen konnten für obstlose Zeiten?

Wäre damals dort draußen kein Feigenbaum gewesen, hätten wir heute auch keine Feigenbäume.

Kennen Sie denn selbst Feigenbäume aus dem Urlaub oder sogar aus dem eigenen Garten? Oder ihre Früchte? Seit Jahrtausenden zählen sie in vielen Ländern zu den Grundnahrungsmitteln. Ich selbst habe sie erst vor Jahren in Irland als Keksfüllung kennengelernt, sehr praktisch und energiegeladen als Wanderproviant.

Feigenbaum-Äste strecken sich extrem in die Breite. Und die Bäume haben zwei Wurzelsysteme: Die Hauptwurzel wächst tief in den Grund und gibt so im Sturm Halt. Und Flachwurzeln am Boden breiten sich weiter aus als das Blätterdach hoch oben, perfekt um Wasser und Nährstoffe aufzunehmen. Auf alles vorbereitet – das ist klug geschaffene Natur.

Wie oft saßen Menschen schon unter einem alten Feigenbaum. Dann erinnerten sie sich sicherlich unter anderem an überlieferte Feigenbaum-Geschichten:

Vielleicht wie das war, als die Israeliten nach Kanaan kamen und Früchte fanden, groß und schwer: … eine einzige Traube voll Beeren mussten sie zu zweit mit einer Tragstange heben, ebenso Granatäpfel und Feigen. So wird das im 4. Buch Mose beschrieben (4. Mose.13, 23).

Oder von der klugen Abigail. Die brachte mit Hilfe von 200 Feigenkuchen dem zukünftigen König David bei, wie er ein gerechter Herrscher wird, der nämlich Gottes Weisungen befolgt. Das steht bei Samuel (vgl. 1. Sam 25, 18).

Aber vielleicht auch davon, was Feindschaft anrichten kann: Dann verdorrt der Weinstock, der Feigenbaum verwelkt, … alle Bäume des Feldes vertrocknen, ja, den Menschen versiegt die Quelle der Freude. So mahnt der Prophet Joel (Joel 1, 12).

Ich bin mir sicher: manchmal saß Jesus mit allen, die ihm zuhören wollten, ganz bewusst unter einem Feigenbaum, mit dem gold-grünen Blätterdach über sich, den starken Wurzeln zu ihren Füßen, mittendrin in der Verbindung zwischen Himmel und Erde. Gerade weil sie alle da unter dem Feigenbaum die alten Geschichten und Weisheiten und Feigenkuchen-Rezepte kannten.

Vielleicht auch, als Jesus das Gleichnis vom Feigenbaum erzählte (LK 13, 6 – 9; BigS):

Es hatte jemand einen Feigenbaum, der in seinem Weinberg gepflanzt war; und er kam immer wieder, um an ihm nach Frucht zu suchen. Er fand aber keine. Da sprach der Mann zum Winzer: ›Es sind schon drei Jahre, dass ich komme, um nach Früchten an diesem Feigenbaum zu suchen, und nichts finde. So hau ihn um! Wozu nimmt er der Erde Kraft?‹ Er erhielt als Antwort: ›Herr, lass ihn noch dieses Jahr, bis ich den Boden ringsum gegraben und Dünger gegeben habe, dann könnte er künftig doch noch Frucht tragen.Wenn aber nicht, lass ihn umhauen.‹«

Punkt. Ende. Wir erfahren nicht, was danach passiert, oder wie Jesus´ Publikum in dem Moment reagierte. Die Bibel erlaubt uns kreative Gedanken.

Ich finde erstmal, Jesus verwendet doch wirklich harte Worte. „So hau ihn um“ lässt er sagen. Im Klartext: „Töte den Baum, denn er liefert nicht, was er soll.„Klingt so ein Plan für uns, die wir mitansehen, dass Bäume am Klimawandel sterben, nicht besonders gewalttätig?

Haben Sie einen persönlichen Herzens-Baum? Einen Lieblingsbaum in einem Park? Im eigenen Garten oder als Bild an der Wand? Oder in Ihrer Erinnerung? Würde Ihnen sein Verlust nicht überaus leid tun? Oder haben Sie das tatsächlich schon einmal so erlebt, so einen Baum-Tod? Oder haben Sie da im Kopf die Bilder der toten Nadelbaum-Wälder, die vom Borkenkäfer zerstört wurden?

So hau ihn um – Ich finde diese Worte ganz untypisch für Jesus, – für den Lehrer, der sonst spricht im Namen des Gottes der Liebe und des Lebens.

Aber was da durchscheint, ist Jesus` große Sorge um die Menschen, die da vor 2000 Jahren bei ihm sitzen. Die ihm überaus am Herzen liegen.

Die Zeiten damals waren wirklich Besorgnis-erregend und von Gewalt geprägt: Die Bibel spricht davon, wie gerade Römische Soldaten im Tempel in Jerusalem jüdische Gläubige ermordet hatten. Das war Besatzungs-Alltag. Jede und Jeden hätte so etwas treffen können.

Jesus will seine Zuhörenden aufrütteln, damit sie gerettet werden vor Gewalt und Tod. Aber wie will er das erreichen? D.h. WER sagt oder tut da WAS in diesem Gleichnis und WARUM? Und ist da am Ende noch Hoffnung? – und für wen?

Eine oft entwickelte Deutung ist diese:

Der Baum, das sind die Menschen. Ein Mensch gedeiht gut, wenn er durch den Glauben an Gott Nahrung für Leib und Seele erhält. Ohne den richtigen Glauben, d.h. das Befolgen von Gottes Weisungen, stirbt der Mensch ab. Die Menschen erfüllen hier aktuell ihre Funktion nicht – sie bringen kein fruchtbares Leben hervor. Die fehlenden Früchte sind ein Bild für ihren fehlenden Glauben. Bildlich gesprochen sollen die, die Jesus da anspricht, mit der drohenden Axt dazu gebracht werden, seine Warnung vor Gewalt und Untergang, seine tiefe Sorge um ihre Zukunft, ernst zu nehmen.

Der Winzer im Gleichnis bittet für den Baum. So, wie das z.B. Mose tat, als die Israeliten um das Goldene Kalb tanzten und Gott sie deshalb vernichten wollte. Der Winzer bittet um eine Gnadenfrist. Wenn die Menschen im übertragenen Sinne dann immer noch keine Früchte entwickeln, wenn sie nicht umkehren und ihr Leben von Ehrfurcht für Gott leiten lassen, dann ist Schluss.

Der Baumbesitzer ist in diesem Fall Gott – und er will den Baum am liebsten schon jetzt umhauen lassen. Er gibt dem Baum – und damit den Menschen – keine Chance mehr. Seine Geduld ist am Ende.

Wie finden Sie diesen Ansatz? Sagt ihr Kopf: ja, gute Logik? Oder sagt ihr Herz: so geht das nicht, da stimmt was nicht?

Ich finde, da stimmt was nicht. Menschen sind doch mehr als nur funktionierende Objekte. Und Gott würde hier dargestellt durch den Profit-orientierten, autoritären Baum-Besitzer. Gott wäre in dieser Interpretation eine gnadenlose Macht, die Mensch und Natur mit dem Tod bedroht. Kann das Gott sein, die wunderbare Schöpferkraft?

Ich persönlich kann in dem Feigenbaum-Besitzer, der vor lauter Ertragsgier Leben vernichten will, nicht den Gott der Gnade und Lebensfülle finden. Aber ich glaube, ich kann anders auf das Gleichnis schauen und darin Gott als liebend, schützend und umarmend erkennen.

Ich stelle mir deshalb einmal den Winzer vor. Vielleicht kennen Sie solche Menschen: Natur-verbunden, fürsorglich, empathisch, feinfühlig, vielleicht künstlerisch-kreativ. Ich denke, dass dieser Mann erkennt, dass der Baumbesitzer Zustimmung erwartet und außerdem nur gärtnerisch-fachliche Argumente akzeptiert. Der Winzer stimmt ihm daher erstmal unter Bedingungen zu. Aber er hat nach Jahren des Sich-Kümmerns um den Feigenbaum und den ganzen Weinberg auch Ehrfurcht vor dem Leben allgemein entwickelt. Er kann um die fehlende Feigenernte herum sehen. Er hat erkannt, dass dieser Baum andere Früchte trägt – und gerade deshalb am Leben bleiben muss. Sein Herz drückt das so aus:

„Wie beeindruckend ist dieser Baum, von den tiefen Wurzeln bis zur höchsten Blattspitze! Die Lebenswurzeln dieses Baumes reichen zurück bis nach Eden. Er trägt den Duft des Paradieses mit sich.

Wie wunderbar die Wurzeln die Erde festhalten. Sanfte Gräser, heilende Kräuter und duftende Blumen können dort wachsen, die Körper und Seele gut tun.Äste und Blätterdach geben Tieren Wohnung und Schutz. Und die Blätter selbst können Geschwüre und Entzündungen heilen.(vgl. Jes 38, 21)

Die Sonnenstrahlen lassen die Blätter in vielen Farbtönen schimmern. Sie spiegeln so die Vielfalt des Lebens wider. Und die Härte des Laubes weist darauf hin, dass zur Lebensfülle auch das Grobe gehört.

Am Tag singen die Blätter ein Schöpfungslied.Wenn vor einem Sturm sanftes Rauschen zu lautem Dröhnen wird, mahnt der Baum, dass es Zeit wird, nach Hause zu Familie und Freunden zu gehen.

Und wie segensreich ist der Schatten unter den weiten Armen der Äste, wenn die Mittagshitze die Welt zum Innehalten zwingt. Jeden Tag bringt diese Ruhezeit die Menschen dem mühelosen, friedlichen Leben an Gottes Seite ein Stück näher.“

Schutz, Heilung, Vielfalt, Gemeinschaft, Lebensfülle, Frieden – das kennen wir: aus der Bibel, den Psalmen, aus unseren Liedern. Dort sind das Worte über Gott. Wenn wir richtig hinschauen, dann erkennen wir: der Feigenbaum im Gleichnis ist ein Bild für Gott. Er ist ein wahrer Baum des Lebens.

Und der Winzer und der Baumbesitzer? Die Gnadenfrist, die betrifft nicht den Baum, sondern den Baumbesitzer, der nicht erkennen kann, dass sein Baum einen Wert hat, auch ohne die erwarteten Früchte.

Der Winzer will den Baum gar nicht fällen, er sagt ja dem Besitzer: „dann LASS ihn umhauen“. Er selbst wird das nicht tun. Er stimmt also nicht einer Todesfrist für den Baum zu. Sondern er gibt dem Besitzer eine Gnadenfrist, eine echte Lebens-Chance: Die Chance, den Baum, das heißt Gott, kennen zu lernen. Denn der Winzer kennt diesen Baum des Lebens, das heißt Gott, gut. Er bleibt Gott treu, so wie Gott die Menschen nicht aufgibt. Als Pflanzenbetreuer weiß der Winzer, dass in einem Jahr viel passieren kann. In einem Jahr hat er den Baumbesitzer rumgekriegt. In einem Jahr wird auch dem Besitzer klar werden, wie wunderbar dieser Baum, wie wunderbar Gott, ist. Er wird die wahren Früchte des Baumes erkennen. Er wird sich in Gott verlieben. Und verstehen: auch ihn hat Gott beim Namen gerufen, auch er zählt zu Gottes geliebten Kindern. Dieser Mensch wird in einem Jahr vom Besitzer zum echten Lebens-Baum-Liebhaber, und wird Gottes Gaben wahrnehmen und erfahren können.- Gottes Schutz, Heilung, Vielfalt, Gemeinschaft, Lebensfülle, Frieden.

Denn wer ist der Winzer? Das ist Gottes Liebe! Sie will uns von den wahren Gaben dieses Baumes des Lebens überzeugen. Sie will uns in den Schatten unter dem Feigenbaum einladen, in die Fülle und den Shalom Gottes, in den endgültigen allumfassenden Frieden.

Wo alle willkommen sind, und vielfältige Früchte den wahren Reichtum bedeuten.

Und Jesus, Gottes Mensch-gewordene Liebe, will seine Zuhörenden mit dem Gleichnis überzeugen, diese Chance zu ergreifen: neu hinschauen auf Gott, und die Früchte erkennen, die diese treue Schöpferkraft immer und ewig hervorbringt. Denn es geht Jesus, und damit Gott, niemals um Vernichtung, sondern immer um die Chance zum wahren Leben. Jesus will retten! Denn er sorgt sich als Gottes Sohn um die Zukunft der Erde.

Jesus´Sorge – und damit Gottes Sorge – um das Leben können wir gerade heute auch in unserm Alltag erkennen.

Wenn sich Klima- Aktivisten und Aktivistinnen an einen Baum ketten, um seinen Tod zu verhindern, oder sich auf den Asphalt kleben – auch wenn es uns stört und aufregt – dann drückt das ihre Angst um das Leben allgemein aus. Und darin spiegelt sich auch Gottes Sorge – um die Schöpfung, um uns. Denn Gott lebt in allen Geschöpfen mit.

Wenn wir bestürzt sind angesichts wachsender Gewalt überall auf der ganzen Welt, ob in politischen oder wirtschaftlichen oder privaten Zusammenhängen, dann drückt sich darin auch Gottes Bestürzung aus.

Wenn wir uns überlegen, wie Menschen-Leben in Zukunft aussehen wird, gerade jetzt, im viel zu heißen Sommer, mit flächendeckenden Waldbränden, dürre-bedingten schlechten Ernten, und mit Rückblick auf die Regen-Fluten vor zwei Jahren hier bei uns; wenn wir erschüttert traumatisierte Flüchtlinge erleben, die an ihrem Schicksal zu zerbrechen drohen; wenn wir selbst von den Preissteigerungen durch den fernen Krieg betroffen sind und wenn wir erschrocken überlegen müssen, woher das Geld für nachhaltige Heizung kommen soll und woher die Kraft, den Umstieg organisatorisch zu schaffen, dann spiegelt sich auch darin Gottes Bestürzung und Erschütterung und Erschrecken wieder.

Aber die Bibel sagt: ihr habt eine Chance! Unser liebender und treuer Gott ist keine Macht, die uns mit Vernichtung bedroht. Sondern Gott bietet uns jeden Tag eine Lebens-Chance. Uns sagt dieses Gleichnis: Blickt anders auf das, was ihr habt. Erkennt den Wert, von dem, was bleiben wird in der Zukunft, wenn ihr die Gaben des Lebens, Gottes Gaben, an erste Stelle setzt. Wir entscheiden, ob messbarer Profit und Haben-wollen-egal-wie unser Leben bestimmen. Oder ob wir erkennen wollen, dass jedes Leben auf der Erde für Gott heilig ist. Und uns bemühen, – mit dem, was uns möglich ist – diese Erde und die Menschen darauf zu bewahren.

Wir haben die Lebens-Chance, in Gottes gold-grünem Schatten-Segen zwischen Himmel und Erde zu sitzen und teilzuhaben an Gottes Schutz und Heilung und Vielfalt und Gemeinschaft und Lebensfülle und Frieden.

Auch wenn sich alles andere ändert: Gott hört nicht auf, uns mit diesen Früchten zu beschenken.

Und der Friede Gottes, der größer ist als alles, was wir denken und begreifen können, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.Amen