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Predigt für den 26. September 2021

(gehalten von Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel in der Auferstehungskirche in Ostheim und auf dem Kirchvorplatz der Versöhnungskirche in Rath-Heumar)

Die Gnade und der Friede Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

 

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

 

In der Bibel begegnet uns eine Geschichte, eine Gleichniserzählung von Jesus. Da geht es augenscheinlich um das Haben, aber in Wirklichkeit um das Sein, um die Frage eines sinnvollen Lebens.

Es ist die Geschichte von den anvertrauten Talenten – so ist sie überschrieben. Im Matthäusevangelium, Kap. 25, Verse 14 bis 30 heißt es aus dem Munde Jesu:

Denn es ist wie mit einem Menschen, der außer Landes ging: Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an; dem einen gab er fünf Talente Silber, dem andern zwei, dem dritten einen, jedem nach seiner Tüchtigkeit, und ging außer Landes. Sogleich ging der hin, der fünf Talente empfangen hatte, und handelte mit ihnen und gewann weitere fünf dazu.

Ebenso gewann der, der zwei Talente empfangen hatte, zwei weitere dazu. Der aber einen empfangen hatte, ging hin, grub ein Loch in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn.

Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft von ihnen.

Da trat herzu, der fünf Talente empfangen hatte, und legte weitere fünf Talente dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf Talente anvertraut; siehe da, ich habe fünf Talente dazugewonnen.

Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du guter und treuer Diener, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!

Da trat auch herzu, der zwei Talente empfangen hatte, und sprach: Herr, du hast mir zwei Talente anvertraut; siehe da, ich habe zwei dazugewonnen.

Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du guter und treuer Diener, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!

Da trat auch herzu, der ein Talent empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg das von Dir gegebene Talent in der Erde. Siehe, da hast du das Deine.

Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht! Wenn Du davon ausgegangen bist, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe? Hättest Du dann nicht mein Talent Silber zu den Wechslern bringen können, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen?

Darum nehmt ihm das Talent ab und gebt es dem, der zehn Talente hat. Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern. Amen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus, Heulen und Zähneknirschen – nicht gerade eine schöne Perspektive. Das verbinde ich jedenfalls nicht mit einem sinnvollen, ja gelungenen, glückerfüllten Leben. Freilich, hier wird die Konsequenz einer Lebensweise beschrieben, die ins Nichts führt, die nicht glücklich macht.

Aber ist das nicht ungerecht? Gerade dem, der nichts hat, wird auch noch das genommen, was er hat. Ist das nicht einfach nur in den Kategorien des Habens gedacht? „Wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden“ heißt es ja am Schluss des Gleichnisses aus dem Munde des Geschäftsmanns.

Wird uns hier Gott, für den hier im Gleichnis der auf Reisen gehende Geschäftsmann steht, etwa als ein fürchterlicher skrupelloser Kapitalist vorgestellt, der in denselben ausbeuterischen Kategorien denkt, wie wir es von vielen unserer Zeitgenossen heute nur all zu gut kennen? Es will zunächst den Anschein haben. Und es hat zunächst den Anschein, als ginge es im ganzen Gleichnis wirklich nur um dieses Haben. Aber das passt wohl kaum zusammen mit einem Jesus, der sich zur Beantwortung der Frage, ob man dem Kaiser Steuern zahlen solle oder nicht, ein Geldstück geben lassen musste, weil er keines bei sich hatte, also mehr oder minder von Luft und Liebe lebte.

Was ist dann also die Erzählabsicht dieses Gleichnisses? Worauf will es hinaus und wie sind vor dem Hintergrund dann gerade diese letzten Zeilen zu verstehen? Dazu müssen wir zum Verstehen ganz zurück an den Anfang gehen, ja, sogar vor den Anfang.

Das Gleichnis wird anfangs eingeleitet „Es ist wie mit einem Mann, der auf Reisen ging usw.“ da fragt sich jeder, was ist dieses „Es“? Worauf ist das Gleichnis also bezogen? Was ist hier also die Vergleichsgröße? Die Antwort ergibt sich aus dem Kontext der vorangehenden Texte. Es geht um das Reich Gottes, um das Herannahen dieses Reiches und die damit verbundene Aufgabe, die wir Menschen haben. Das Reich Gottes ist eines der Hauptanliegen des Matthäusevangeliums. Und ich erinnere daran, dass unter dem Reich Gottes nicht einfach das Jenseits zu verstehen ist, sondern, dass es hier unter uns tatsächlich seinen Anfang nimmt und zum Vorschein kommt. Wir beten im Vater Unser ja nicht etwa „Lass mich in dein Reich kommen“, sondern „Dein Reich komme!“ Gottes Reich soll also hier auf Erden seinen Anfang nehmen. Jesus hat die Naherwartung, ja, die Gewissheit des Anbruchs dieses Reiches. Durch Jesu Gegenwart hat dieses Reich seinen Anfang genommen. Davon war auch der Autor des Matthäusevangeliums überzeugt.

Aber was ist das Reich Gottes? Den Kindern in den Grundschulgottesdiensten versuche ich immer eine einfache Antwort zu geben. Jesus ist der lang ersehnte König erzähle ich ihnen zu Weihnachten. Aber es ist nicht irgendein König, nicht ein solcher wie die Anderen, sondern es ist der König der Liebe. Und so ist das Reich Gottes, der Bereich, der Ort, die Zeit, wo Gottes Liebe herrscht und eben nicht die Liebe zur Herrschaft. Nicht mehr und nicht weniger ist das Reich Gottes. Es ist nicht da oben irgendwo im Himmel, sondern überall da, wo sich die Liebe Gottes breit macht und gelebt wird. Die Engländer haben das begriffen, denn sie unterscheiden in ihrer Sprache sky und heaven. Sky ist der für uns sichtbare Himmel, das Firmament über der Erde mit Sonne, Mond und Sternen. Heaven hingegen ist das Himmelreich Gottes. Man kann auch sagen der Ort, wo Gottes Recht und sein Frieden gegeben sind. Und das läuft am Ende auf dasselbe hinaus: das Reich, wo Gottes Liebe herrscht.

Was gehört dazu? So frage ich die Kinder. Und die Kinder sind nicht blöd. Sie sind klug und antworten: Dass niemand hungern muss. Dass man anderen hilft, die in Not sind. Dass man an Kranke denkt und ihnen hilft usw. Im Grunde zählen sie immer die Inhalte der sogenannten sieben Werke der Barmherzigkeit auf, wie sie auch im Matthäusevangelium an anderer Stelle begegnen, wo Jesus sagt: Was Ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt Ihr mir getan, nämlich: Hungrige speisen, Durstige tränken, Fremde beherbergen, Nackte bekleiden, Kranke besuchen, Gefangene besuchen und Tote würdevoll bestatten, sie also der Liebe Gottes überantworten. In all dem geht es also darum, dass wir aufeinander bezogen leben und nicht etwa aneinander vorbei, nur für uns selbst. Im Reich Gottes leben, heißt sinnvoll leben. Das Reich Gottes ist der Ort, wo sinnvoll gelebt wird.

Wie kann dieses Reich Gottes sich vermehren, wie kann es wachsen? Wirklichkeit werden? Durch uns, indem wir uns in den Dienst stellen lassen. Indem wir uns begeistern, gewinnen lassen für ein sinnvolles Leben. Das ist die Antwort des Gleichnisses.

Ein Wort, das im Text immer wieder begegnet, ist das Wort Talent und es beginnt mit der unterschiedlichen Austeilung der Talente: „Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten.“

Wusstet Ihr, dass Talent denselben Wortursprung hat wie Taler, oder wie im Amerikanischen das Wort Dollar. Ich habe den Eindruck, dass manche Fernsehsendungen bei ihren Talenteshows das nicht so richtig auseinanderhalten können. Ist es der Dollar, der da zählt oder wirklich das zu entdeckende Talent? Ich bin mir da nicht so sicher.

Eigentlich ist ein Talent seit der Antike eine Geldeinheit, eine Bezeichnung für Silberstücke.

Und erst durch diese eben verlesene Geschichte wurde aus dem Talent die Bedeutung, wie wir sie heute kennen. „Mann, der hat echt Talent“, sagen wir, wenn einer dies oder das besonders geschickt macht, ja, wenn seine Begabung ganz zum Vorschein kommt. Begabung ist nur ein anderes Wort dafür. Und in diesem Wort steckt der ganze Sinn dieser biblischen Geschichte. Be-gabung heißt es ja. Da ist jemandem etwas mitgegeben oder anvertraut, wie es in der Erzählung heißt. Dem einen mehr, dem anderen weniger. Dem einen dies, dem Anderen das – je nach seinen Fähigkeiten, heißt es im Text.

Wenn wir sagen: „Ihr ist eine Begabung mitgegeben – sie kann wunderschön singen oder Klavier spielen oder super tanzen oder rappen“ – wollen wir damit ja nicht zum Ausdruck bringen, dass die Talente Zufallsprodukt chemischer und physikalischer Prozesse wären. Sondern es drückt sich darin etwas Anderes aus – eine Absicht. Da gibt es jemanden, der mir mit meiner Geburt etwas mit auf den Weg gegeben hat, jemanden, der mich wunderbar und ausreichend ausgestattet hat. ( Ganz so wie es auch im Taufspruch von Violetta heißt „Ich danke Dir Gott, dass Du mich wunderbar gemacht hast“. Oder auch… ) Ganz so, wie wir es vorhin in der Lesung hörten, wo Paulus an die Christen in Korinth schreibt, dass der Geist Gottes uns alle mit unterschiedlichen Gaben, also unterschiedlichen Talenten und Fähigkeiten ausgestattet hat.

Was mir von Gott anvertraut ist, ist damit also nicht mein Besitz! Würde ich es so verstehen, dann wäre es in der Tat ungerecht, dass die einen viel, die anderen weniger davon haben, die einen dies, die anderen das.

Alles, was wir von Gott her haben, womit wir von ihm her ausgestattet sind, ist nicht Besitz, sondern eine Aufgabe. Ich habe eine Gabe, also habe ich eine Aufgabe. Meine Gabe ist mein anvertrautes Kapital, mein anvertrautes Talent, mit dem ich beschenkt bin und das ich nutzen soll. Du kannst singen, also singe! Du kannst tanzen, also tanze! Du hast Talent, also mach was aus deinem Talent – zur Freude der Anderen und letztlich auch Deiner selbst. Wenn ich mein Talent nicht zum Nutzen Anderer einsetze, wenn ich es nicht in mir und für meine Mitmenschen leben lasse, dann ist es in der Tat nur toter Besitz. Und so ist die reine Anhäufung von Dollars, ohne dass damit etwas für die Menschen Sinnvolles gemacht wird, auch genau das Gegenteil vom eigentlichen Sinn des Talentes in dieser Geschichte, wo etwas zum Wohle der Anderen geschieht.

Mit meinem Talent habe ich immer zugleich eine Aufgabe in dieser Welt bekommen. Sei es, Menschen zum Lachen zu bringen, sei es Musik zu machen, sei es die Westfalen zum Rheinischen Frohsinn zu bekehren, sei es die Rheinländer zur Westfälischen Tiefsinnigkeit und Verlässlichkeit, sei es so gut zu predigen, dass die Gelähmten vor Freude und innerer Anteilnahme aufspringen und dabei ganz vergessen, dass sie doch eigentlich im Rollstuhl sitzen…Was es auch immer im Einzelnen sein mag. Ich persönlich war früher fasziniert von dem Talent vieler Aldi-Kassiererinnen, die schneller in die Kasse eintippen konnten als ich das Geld aus dem Portmonnaie holen konnte. Aber haben wir überhaupt noch eine Wertschätzung für Talente oder nur für das, was den schnellen Taler macht? Wie gehen wir mit unseren eigenen Talenten um, die in uns stecken, die ja ein Geschenk sind und uns doch froh und glücklich machen könnten, auch uns selbst eine Menge Selbstbewusstsein geben könnten? Mit anderen Worten, die uns tatsächlich helfen, sinnvoll zu leben. Wir haben alles zu einem sinnvollen Leben mitbekommen. Der Sinn des Lebens wird dann da erfahrbar und spürbar, wo wir uns mit unseren Talenten ganz in den Dienst Gottes und der Menschen stellen. Dazu muss ich nicht Mönch oder Pfarrer einer Kirchengemeinde werden. Jeder Beruf ist Berufung und jedes Dienen kann zu einem sinnvollen Leben beitragen. Dass unsere Talente gegenseitig zum Besten dienen, dass sie überhaupt dienlich sind, darum geht es. Im Text heißt es entsprechend: „Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du guter und treuer Diener, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!“

„Geh hinein zu deines Herrn Freude!“ Da fragt sich jeder: „wo hinein?“ Auf der Ebene des Textes selbst, ist damit zunächst einmal das Haus des Geschäftsmannes gemeint. Die Freude soll miteinander geteilt werden können. Gott selbst will sich daran freuen können, dass wir etwas mit den Talenten gemacht haben, mit diesem Leben, was uns unvertraut ist, es so leben, dass es Anderen Freude bringt, etwa wie in unserer Gemeinde, wo Jugendliche in Techniksprechstunden älteren Menschen beibringen, wie sie mit dem Smartphone umgehen können oder wo ein Deutschlehrer Flüchtlingen die deutsche Sprache beibringt oder oder. Und nun komme ich auf den Schluss des Gleichnisses zurück: Wo hingegen ich nur auf meinem Haben verharre und es nicht dienlich mache, das mir Verliehene und zugleich Geliehene nur behalten, verwahren will – irgendwo in den Steuerparadiesen oder auf der einsamen Insel oder wo auch immer, da trägt es nicht zu einem sinnvollen Leben bei. Und darum verlieren am Ende die, die nur haben wollen, aber nichts mit ihrem Haben, mit ihrem Guthaben tun wollen. Sie bleiben bei der Glückseligkeit außen vor und finden keinen Platz im Haus der Glücklichen. Das will ja der Schlußsatz sagen und das finde ich dann eben doch gerecht und konsequent: „Darum nehmt ihm (also, dem, der nur haben will, aber es nicht zum für Andere dienlichen Einsatz bringen will) das Talent ab und gebt es dem, der zehn Talente hat. Denn wer da hat, dem soll gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer das Wenige oder Viele nur besitzen will (so müsste man hier richtig übersetzen), dem wird auch, was er hat, genommen werden. Und diesen unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.“ Am Ende verlieren die, die den Sinn des Lebens entstellen. Das ist die Poiente, die man am Schluss mithören muss. Will ich mein Haben, mein Guthaben festhalten oder stelle ich es in den Dienst Anderer? Darum geht es – meine Talente in den Dienst des Reiches Gottes zu stellen, so wie die Kinder es mit ihren Beispielen des aufeinander bezogenen Lebens entfaltet haben. Dieses Leben hat einen Sinn. Er ist uns förmlich in die Hand gegeben. Es kommt nur darauf an, es wahrzunehmen.

Und ein letzter Gedanke. Das Gleichnis ist eine gute Anleitung für Sozialpolitik und Pädagogik. Im 17. Und 18. Jh. hat man versucht, das Problem der Armut zu lösen, indem man die Menschen wegperrte und zwangsbeschäftige. Es hatte nicht geholfen.  Was hingegen geholfen hatte war der Ansatz, wie es ihn bei den Hugenotten in Berlin gab, evangelische Flüchtlinge aus Frankreich oder dem evangelischen Geistlichen August Herrman Francke in Halle. Sie haben bei den Talenten, den Fähigkeiten und Neigungen der Betroffenen angesetzt und diese gezielt gefördert durch eine daran orientierte Schul- und Berufsausbildung. Das könnte auch ein Vorbild für heutige Sozial- und Flüchtlingspolitik sein. Fördern und Fordern. Mehr ansetzen bei den Gaben der Menschen selbst, bei ihren Talenten und Potentialen. Und selbst, wenn sie nur wenige haben sollten. Sie haben welche. Wo wir das ignorieren, ignorieren wir die Gaben Gottes und ihre Möglichkeiten. Und das hat auch eine Menge mit Glauben, mit Vertrauen auf Gott zu tun. Amen