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Predigt Ostermontag 05.04.2021

(von Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel, gehalten in der Auferstehungskirche und der Versöhnungskirche)

Die Gnade und der Friede Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

„we schollen alle vrolik sein to tesser osterliken tyd“ – das hat jetzt vermutlich kaum einer richtig verstanden. War auch nicht kölsch. „We schollen alle vrolik sein to tesser osterliken tyd“ haben Nonnen in einem Kloster vor über 600 Jahren gedichtet und gesungen, und zwar in Lüneburg, also Niedersachsen. Es war ein Liedruf, der antworten sollte auf einen anderen Ruf, nämlich den sogenannten Entlassruf der mittelalterlichen Messfeier. Am Schluss des Gottesdienstes oder aber nach dem Abendmahl wurden die Gläubigen gewissermaßen wieder in die Welt hinein entlassen. Heute heißt das meist „Gehet hin in Frieden.“ In der Karwoche lautete zumindest damals der Entllassruf noch etwas anders, nämlich: „Lasst uns preisen den Herrn“. An diesen Aufruf am Schluß einer Messe zum Gotteslob im Alltag knüpfte also dieser Liedruf der Nonnen an. Und jetzt werde ich auch das Geheimnis lüften und sagen, was er im heutigen hochdeutsch heißt, nämlich: „Wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit.“ Richtig, es ist die Zeile, die wir eben erst im Lied vor der Predigt gesungen haben. Und wer möchte, kann das Lied einfach noch mal aufschlugen zum Mitverfolgen der Predigt – Lied Nummer 100.

„Wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit“ – eine Antwort auf die Entlassung in die Welt. „Wie soll denn unser Gotteslob im Alltag aussehen von Ostern herkommend? Was heißt das denn für uns?“ haben sich die Nonnen gefragt, und beantworten es mit einer Art Selbstaufforderung, einer Selbstverpflichtung oder besser noch: einer orientierenden Erinnerung: „Wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit.“

„Wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit.“ Dieser Satz geht derzeit wohl vielen Menschen nur schwer über die Lippen. Manche mögen ihn gar als Hohn empfinden. Nicht nur die, die einen Corona-Toten zu beklagen haben oder die gerade um das Leben ihrer Angehörigen oder Freunde bangen. Auch diejenigen, deren Existenz gerade zugrundegeht, weil sie ihr Restaurant trotz vorgenommener Sicherheitsvorkehrungen nicht öffnen dürfen, während andere munter weiter zur Arbeit gehen in Gebäuden und Hallen, wo vielerorts sich die Rahmenbedingungen und vorgenommenen Sicherheitsmaßen weit unter deren Niveau bewegen mögen. Auch diejenigen, die in Folge von Corona oder Coronaschutzverordnungen ihren Arbeitsplatz verloren haben, dürften wenig Grund zur Fröhlichkeit haben. Und auch denjenigen, die zuhause ständig Konflikte und Nervenkrieg haben, weil die ganze Familie aufeinanderhockt etc., mögen den Spruch „wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit“ vielleicht als Hohn empfinden. Und nun wollen der Gesundheitsminister und der Gesundheitsapostel, wenn es nach ihrem Willen geht, die Gesellschaft und die Rechte ihrer Mitglieder auch noch nach Geimpften und Nicht Geimpfeten klassifizieren, obwohl sie zuvor die ganze Zeit über Anderes behauptet und versprochen haben. Da gehen bei  mir als ein Demokratie- und verfassungsbewusster Christ nicht nur die Warnblinklichter an, sondern auch die Hutschnur hoch, zumal nur 5 Prozent in unserer Gesellschaft zur Zeit geimpft sind und es gute zu respektierende Gründe gibt, sich nicht impfen zu lassen. All das stimmt mich nicht gerade fröhlich. Weder die drei wegen Corona Verstorbenen und ihre Angehörgen, die ich selbst begleitet habe, noch diese Dinge. Überhaupt geht es mir so, dass ich in meinen Stimmungen sehr schwanke und mich auch nicht gerade fröhlich stimmt, dass in unserer Gesellschaft Kirchen- und Gottesdienstleben nicht nur von Corona selbst, sondern auch von politischen Entscheidungsträgern und der Gesellschaft angegriffen werden und damit Menschen in unseren Gemeinden so verunsichert werden, dass sie sich nicht mehr in die Gottesdienste trauen usw. Fröhlichkeit verordnen geht da nicht und auch eine Mission zur Verbreitung des Rheinischen Frohsinns wird da nicht unbedingt Abhilfe schaffen können. Da sind wir uns sicher einig und es geht vielen von Euch gefühlsmäßig sicher ähnlich wie mir. Unruhe, Sorge, Angst, Beklommenheit – all das ist ja da, ist weiter da, auch wenn uns das Osterfest erreicht hat.

Aber kurz zurück zu den Nonnen und ihrer Welt im Mittelalter. Ging es denen denn so viel anders? Was haben die nicht alles erlebt, was wir so nicht erleben oder nicht mehr erleben müssen. Die extrem hohe Kindersterblichkeit z. B.. Wir können uns vorstellen, wie grausam es ist für eine Frau bzw. für die Eltern, ihrer Kinder zu verlieren. Nur, damit Ihr einen Eindruck bekommt, eine Zahl. Mehr als die Hälfte aller Kinder erreichte im Mittelalter nicht das 14. Lebensjahr. Und dann die Lebenserwartung an sich. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland lag 2019 bei 81 Jahren, im Deutschland des Mittelalters lag sie unter 40 Jahren. Und wir alle wissen, wie viele unzählige Menschen im Mittalter immer wieder durch Seuchen heimgesucht und von der Pest dahingerafft wurden. Und die Nonnen lebten nicht wie viele von uns heute im Elfenbeinturm. Gesichertes Einkommen, weil man ja vom Staat bezahlt wird, fette Villa mit eigene Garten, weil man schon jetzt in jungen Jahren ausgesorgt hat. Die Nonnen selbst führten in ihrer klösterlichen Unterkunft nicht nur ein bescheidenes Leben. Sie waren zugleich auch diejenigen, die all diese Menschen-Schicksale mitbekommen hatten. Sie waren bei Krankheit und Armut der Menschen zur Stelle. Sie waren es, die die Menschen in Not besuchten. Pflegedienste usw. gab es damals noch nicht. Wenn es überhaupt welche gab, die sich der Not dieser Menschen aussetzten dann waren sie es, ebenso Mönche, Nachbarn, Familien. Aber niemand sonst. Und während man heute jeden Kontakt meidet, gingen die Nonnen damals, im klaren Bewusstsein: „ich könnte mich vielleicht anstecken“ zu den betroffenen Armen und Kranken und versorgten Sie mit dem Notwendigsten. Ich will nicht darauf hinaus, dass wir heute auf hohem Niveau klagen. Denn erlebtes Leid ist immer relativ, aber ist immer erlebtes Leid und hat seine eigene Last und seinen eigenen Schmerz. Aber ich will darauf hinaus: Auch im Mittelalter, ja, und gerade dort war, gab es massive Gründe, nicht fröhlich zu sein und man konnte da ebenso wenig Fröhlichkeit einfach verordnen und man konnte auch keine positiven Gemütslagen herbeireden oder wegzaubern oder behaupten, das würde morgen alles besser – im Mittelalter schon mal gar nicht. Dass dieses Leben permanent bedroht und begrenzt ist, stand viel deutlicher im Raum. Warum dichten und singen diese Nonnen dann aber „Wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit?“

Was soll das? Waren die naiv? Oder war es Hohn oder Ignoranz? Das von ihnen zu behaupten wäre wiederum Hohn oder Ignoranz gegenüber diesen Nonnen, die das ganze Leid und die ganze Not ja, wie gesagt, aus eigenem Erlebten selbst kannten.

Es ist vielmehr so etwas wie ein österlicher Weckruf. Eine österliche orientierende Erinnerung. Und da springe ich wieder in unsere Gegenwart. In einer meiner Predigten hatte ich erwähnt, dass der Lebenspartner meiner Schwester in Folge von Corona arbeitslos geworden ist und sie sich finanziell nun am absoluten Limit befinden und die Wohnung kaum noch zahlen und sie nicht wissen, wie das alles weiter gehen soll. Am Karfreitag hatte ich mit ihr telefoniert und da sagte sie mir etwas, was ich zutiefst berührt und für sie gefreut hat. Sie hätte einen Artikel über Ostern in der Zeitung gelesen und ihr sei klar geworden, dass Ostern bedeutet, dass wir eine Hoffnung haben. Dieser Gedanke hätte sie so berührt und getröstet und zugleich froh gemacht, dass sie während des Lesens weinen musste. Aber eben nicht vor Traurigkeit, sondern aus diesem Grunde. Das hat mich wiederum selbst froh und glücklich gemacht, denn ich war froh und dankbar, dass meine Schwester diese Entdeckung gemacht hat und jemand ihr das durch diese Zeilen zugesagt hat, erinnert und sie damit orientiert hat. Jetzt hat sie auch das Brotbacken für sich selbst entdeckt. Das ist nicht nur recht preiswert, sondern auch meditativ, nahrhaft und schmeckt viel besser als das meiste gekaufte Brot, von dem man nicht weiß, was da alles an unnötigen oder giftigen Stoffen drin ist. Sie besinnt sich auf die elementaren Lebensquellen, wenn man so will und ich muss an die Bitte des Vater Unser denken: „Unser täglich Brot gib uns heute“ und an die Worte Jesu, als er das Brot an die Jünger gab: „Nehmt und esst. Das ist mein Leib für Euch gegeben. Tut das zu meinem Gedächtnis.“

Auch die Nonnen haben Brot selbst gebacken und haben es zu den Armen und Kranken gebracht. So wurde Gott als der, der uns Hoffnung gibt im wahrsten Sinne des Wortes greifbar, erlebbar.

Warum singen die Nonnen von der Fröhlichkeit? Welche Fröhlichkeit meinen die? Andere ebenso mittelalterliche Autoren, die deren Liedruf weiter entwickelt und zu einem ganzen Liede gemacht haben, entfalten das im Liedtext des genannten und vorhin gesungenen Osterliedes. Sie sprechen die Begründungen aus, die die Nonnen im Sinn und in den Herzen hatten.

„Wir wollen alle fröhlich sein
in dieser österlichen Zeit,
denn unser Heil hat Gott bereit’.“

Also: Unser Heil hat Gott zubereitet oder vorbereitet. Unser Heil hat Gott bereit! Unser Heil hängt nicht an uns selbst. Unsere Lebensquelle ist woanders. Ein Anderer wandelt das Leben und sorgt für uns und führt uns dem Leben immer wieder neu zu. Nicht alle Heilung kommt von Gott, so aber doch alles Heil und er nimmt sich unserer Schmerzen, Wunden und Narben an, auch dann noch, wenn uns Krankheit aufgefressen und dem Tod preisgegeben hat. Auch da hört sein aufrichtendes Heil nicht auf.

Das österliche Heil, das uns hier im Lied zugesprochen ist, kommt nicht aus uns selbst. Es kommt von Gott. Es ist erlösend und befreiend, die Gewissheit zu haben, dass Gott Wege weiß, wo wir keine mehr wissen, dass er vergibt, wo wir selbst uns schwer tun mit dem vergeben, sie es einander, sei es, uns selbst. Ein neuer Anfang und Friede ist von Gott aus möglich, auch wenn ihm Menschen immer wieder einen Strich durch die Rechnung machen wollen durch ihr eigenes Verhalten. Von Gott kommt das Heil und auch meine Fröhlichkeit. Er kann mich fröhlich machen.

Gestern schrieb mir eines unserer Gemeindeglieder eine E-Mail. Darin äußerte sie unter Anderem. „Dein Akku muss doch jetzt auch ziemlich im Keller sein“. Das war liebevoll und anteilnehmend gemeint. Sie hat sich einfach darin hineinversetzt, was es für einen Pfarrer oder eine Pfarrerin bedeutet, nicht nur eine Unmenge an Gottesdiensten und Predigten zu gestalten und den Menschen etwas mitgeben zu wollen und zu müssen, sondern auch, welch große Mühe das gerade unter Corona-Bedingungen ist, welch Herausforderung und wie kräftezehrend dabei auch die ganzen Auflagen und Einschränkungen sind: „Dein Akku muss doch auch ziemlich im Keller sein“.

„Nein“, schrieb ich zurück, „Mein Akku ist nicht im Keller. Mein Akku ist im Himmel und da gehört er auch hin“. Ich wollte damit ausdrücken, dass wir von Ostern herkommen, dass genau das unsere Kraftquelle für unser Leben und insbesondere diese Zeit ist, dass wir von Gott herkommen und auf ihn vertrauen, der unser Leben wandeln und uns stärken kann, wie er es uns mit der Auferstehung Christi förmlich vor Augen geführt hat.

Ja, da lebt der auferstandene Christus unter uns, ist er unter uns lebendig, wo wir genau darauf vertrauen und aus ihm leben. Würde ich nur aus mir selbst leben, das Heil nur in mir selbst suchen, alle Kraft nur aus mir selbst beziehen wollen, bliebe das doch sehr selbst bezogen. Da wäre mein AKKU tatsächlich im Keller, auch angesichts der Tatsache, wo wir uns so viel Mühe geben und die Gottesdienste dennoch schwach besucht sind und viele das frohmachende der Osterbotschaft dadurch gar nicht erst empfangen, obwohl sie selbst in diesen Zeiten sicher ebenso bedürftig sind wie wir alle die wir gerade hier sitzen und stehen.

Nein, ich weiß und stehe dazu: Mein Akku ist nicht im Keller. Kraft und Hoffnung ziehe ich nicht aus mir selbst und nicht ich bin die frohe Botschaft oder das, was ich mir Tolles oder Vieles zu Ostern einfallen lasse, sondern der für uns auferweckte und auferstandene Christus ist die Quelle und ist die Botschaft. Mein Akku ist nicht im Keller. Da würde er tatsächlich vergammeln oder leer bleiben, wenn ich nur mich hätte und wenn ich zum Lachen in den Keller gehen müsste. Mein Akku ist im Himmel. Und zum Lachen geh ich in den Himmel. Schau da nach, lade da mein AKKU mit Fröhlichkeit auf. Und der Himmel – der steht ganz schön unter Strom. Da strömt es nur so von Gottes Liebe und Geist und Wahrhaftigkeit.

Ein anderes ebenso liebes Gemeindemitglied hat mir eine Nachricht auf dem Smartphone übermittelt – eine wundervolle Nachricht, die dieselbe orientierende Erinnerung ist wie die der Nonnen oder die Botschaft des von meiner Schwester gelesenen Zeitungsartikels: „Lieber Gerhard, wir wünschen Dir frohe Ostern in der Gewißheit, dass Gott uns einen neuen Anfang und ein neues Leben geschenkt hat“.

Wie schön er das ausgedrückt hat! Ich hätte es nicht besser sagen können: „In der Gewißheit, dass Gott uns einen neuen Anfang und ein neues Leben geschenkt hat.“ Es geht gar nicht so sehr darum, dass Gott Christus ein neues Leben geschenkt hat, sondern dass er uns ein neues Leben geschenkt hat, dass er uns mit dieser Auferstehung Christi ein neues Leben geschenkt hat. Der AKKU wird bei Gott aufgeladen. Und ich, ich kann in meiner Not und in meiner Traurigkeit oder in meinem gefühlsmäßigem Hin- und Hergerissen Sein zu ihm hingehen und ihn darum bitten. Ich kann darauf vertrauen, dass er mein AKKU tatsächlich auflädt, auf dass ich lebe. Amen