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Predigt zum Altjahresabend 2021

Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. AMEN

Matthäus 13, 24-30
24 Er legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. 25 Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. 26 Als nun die Halme wuchsen und Frucht brachten, da fand sich auch das Unkraut. 27 Da traten die Knechte des Hausherrn hinzu und sprachen zu ihm: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? 28 Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst du also, dass wir hingehen und es ausjäten? 29 Er sprach: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. 30 Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt in meine Scheune.

Liebe Gemeinde!

Im 13. Kapitel des Matthäusevangeliums gibt es viele Gleichnisse: das vom Sämann, das vom Unkraut des Ackers, das vom Senfkorn und vom Sauerteig und das vom Schatz im Acker, der kostbaren Perle und vom Fischernetz.
Bei dem Bibeltext, den wir am heutigen Altjahresabend bedenken sollen, handelt es sich um eines dieser Gleichnisse und manche sagen – es ist das, was Gläubige zu allen Zeiten am meisten ärgert und provoziert.

Jesus bleibt in seinem Erzähl- und Vergleichskontext in der Bildwelt des bäuerlichen Lebens zu seiner Zeit und in seiner geographischen Situation, also im Lebensumfeld der Menschen seiner Zeit. Das bedeutet für uns in gewisser Weise ein wenig mehr an Übersetzungsarbeit, wenn wir seine Worte verstehen wollen.

In dieser Form finden wir es nur bei Matthäus, die anderen Evangelien kennen dieses sog. „Sondergut“ so nicht, wohl aber nehmen Markus und Lukas in einer auslegenden Zusammenfassung über das wachsende Korn darauf Bezug.

Auch Matthäus kennt eine Deutung des Gleichnisses, welches im 13. Kapitel in den Versen 36-43 zu lesen ist. Diese Deutung wird aber so eingeleitet, dass Jesus die Menge – also den größeren Teil der Menschen verließ und ins Haus ging, und innerhalb des Hauses erklärt er seinen Jüngern das Gleichnis.

Diese Deutung war also offensichtlich nicht für alle, sondern für einen bestimmten Zuhörendenkreis gedacht, und mit einer besonderen Blickrichtung auf das, was Jesus und seine Jünger in Gegenwart und Zukunft bewirken wollten.

Bei unserer Betrachtung heute möchte ich mich in den großen Zuhörendenkreis einreihen.
Uns erzählt Jesus wie allen: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit …..“
Jesus hat Geichnisse erzählt, um den Menschen klarzumachen, wovon er ihnen erzählen wollte. Er wollte seinen Zuhörerinnen und Zuhörern verdeutlichen, worum es ihm ging. Damit sie besser verstehen. Jesus war nicht der erste und einzige, der zu diesem Zweck Gleichnisse erzählte. Das taten andere jüdische Rabbiner schon lange vor ihm. Neu aber ist das, was er damit illustrieren will.
Mit den Gleichnissen legt Jesus uns einen Bildband vor, in denen wir das Himmelreich kennenlernen sollen. Die Bilder sind nicht fremd und entfernt von unserer Realität, sondern sollen für die Menschen nachvollziehbar sein.
Um das Himmelreich geht es, das Reich Gottes als Regiment von Liebe und Versöhnung, der Ort in dem Gottes Wille vollumfänglich gilt.
Der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart schreibt:
„Wenn ich über Gottes Reich nachdenke, dann lässt mich das oft verstummen, dass es so groß ist; denn Gottes Reich, das ist Gott selber mit seinem ganzen Reichtum.’ Gottes Reich’ ist kein kleines Ding. Stellt man sich alle Welten vor, die Gott erschaffen könnte: das ist ‚Gottes Reich’.

Das Himmelreich kann man sich nicht wirklich vorstellen. Wir kämpfen mit Begriffen „ist wie…..“ und versuchen
damit etwas auszudrücken, von dem wir keine Vorstellung haben.
Das ging schon Jesu Zeitgenossen so, vermutlich auch seinen Jüngerinnen und Jüngern. Die biblischen Gleichnisse wollen ihnen und uns eine Verstehenshilfe sein. Eine Brücke über den garstigen Graben zwischen dort und hier. Zwischen Vorstellungkraft und Glauben.

Was sagt unser Gleichnis über dieses Reich aus, liebe Gemeinde am Altjahresabend?

Ich denke, auf eine Antwort auf diese Frage können wir uns schnell einigen, Sie lautet:
Dort funktioniert alles anders als hier.
Im Himmelreich gelten andere Maßstäbe als unser enger menschlicher Horizont sie kennt.
Ein störendes, fremdes Gewächs, ein schädigendes Kraut – das würden wir hier bei uns mit allen gebotenen Mitteln bekämpfen. Nicht zulassen wollen, dass es Raum gewinnt.
Lieber Vorsorgen. Alle Kraft, alles Wissen, alles Geld, alle Energie – sie geht bei uns dahinein, Schlimmeres zu verhüten und zu vermeiden.
In der Erfahrung mit dem 2019 noch relativ unbekannten Virus, welches immer weiter erforscht wurde und uns dann, als es uns tatsächlich begegnete und unsere gesamte Erde durchmischte, haben wir das doch gesehen.

In manch anderer Hinsicht, sei es Antisemitismus und auch Klimaschutz, da haben die vergangenen Jahre das auch versucht, oft aber mit viel weniger Energie und Erfolg.

Wissen Sie, ich lerne gerne von Menschen und ihren Lebenserfahrungen. Und habe mir z.B. von Menschen mit chronischen, schweren ja auch lebensbedrohenden Krankheiten oft sagen lassen: Es nutzt überhaupt nichts wenn ich versuche diese Krankheit in mir zu bekämpfen. Ich muss damit leben lernen (und ggfs. auch damit sterben lernen).

Schauen wir auf das Gleichnis, in dem auf einem Feld das segensreiche Korn und das todbringende Unkraut miteinander wachsen.

Taumel-Lolch ist übrigens der Name des Gewächses, um das es hier geht. Das ist ein Gras, das in der Antike weit verbreitet war und unter Getreide wächst. Weil es anfangs den Weizenhalmen zum Verwechseln ähnlich sieht, nennt man es auch Scheinweizen. Erst wenn der Fruchtansatz sichtbar wird, lässt sich ein Unterschied erkennen.
In diesem Stadium muss die Pflanze in unserer Geschichte sein, als die Knechte sie entdecken.
Taumel-Lolch ist giftig, und wer Brot isst, dem neben Weizen gemahlener Taumel-Lolch beigemischt ist, hat mit Erbrechen und Schwindel zu kämpfen.
Es ist also kein harmloses Unkraut und es schiene dem gesunden Menschenverstand eindeutig ratsam, ihn auszujäten.

Das aber ist die unerwartete Wende und der Clou der Geschichte; der Bauer schlägt dieses Angebot aus.
„Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte“ befiehlt er stattdessen. Dass seine Ernte verderben könnte,
scheint ihn nicht zu kümmern. Er ist voller Zuversicht, dass der ausgesäte Weizen zur Reife gelangen und er
reiche Ernte haben wird. Er ist gewiss, dass für alle genug da sein wird. Und – dass wir mit Dingen, die uns und unser Leben bedrohen, leben lernen müssen.

Wir Menschen funktionieren normalerweise anders – auch wenn unser Sprichwort sagt „Unkraut verdirbt nicht“, sind wir fortwährend darauf aus, die Welt in Kraut und Unkraut einzuteilen, Nützliches und Unbrauchbares, Wertvolles und Wertloses. Mit Dingen, Ansichten, Verhaltensweisen und auch mit Menschen. Und all das Negative wären wir gerne los.
Seien Sie mal ehrlich – haben Sie nicht auch im ausklingenden Jahr gedacht: Irgendwann ist Corona Geschichte und wir haben es beseitigt, ausgerissen, aus unserem kollektiven Leben verbannt?

Das kam bei uns oft direkt nach einer Haltung, die die Pandemie überhaupt nicht wahrhaben wollte. Wie oft habe ich auch im letzten Jahr noch gehört: Ich gehe doch gar nicht raus, also was gehen mich Coronaregeln oder eine Impfung an? Ich habe doch Vertrauen in Gott und die Welt, also was soll ich fürchten?

Nein, das Schädigende, Bedrohliche, Lebensraum einengende hat uns alle betroffen und beschäftigt uns alle. Das ist ja nun wohl mal klar und klar ist auch, dass wir das nur gemeinsam angehen können, in einer gemeinsamen Verantwortung für eine gemeinsame Welt.
(Mit dem Klimaschutz ist das übrigens ganz genauso).

Und das ist auch das Überraschende, vielleicht auch für Sie überraschende, wenn Sie das Gleichnis gehört haben:

Warum geht der Bauer nicht an die Wurzel des Übels, also an den, der als „Feind“ beschrieben wurde? Warum wird nicht der Sohn der Finsternis entmachtet, damit der Menschensohn mit uns im Reich des Lichtes leben kann?
Warum können unsere Gebete nicht wie Zauberei machen, dass Leid, Unglaube, Tod einfach weg sind?
Wieso sorgt Gott nicht selbst dafür, dass das Böse ausgelöscht wird?

Meine Erklärung für heute Abend lautet: Jesus gibt uns viel mehr Zeit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Er gibt uns die Möglichkeit, unseren Lebensraum in seinem Sinne zu „verwandeln“.

Erst die Schnitter im Gleichnis sollen dafür sorgen, dass das giftige Kraut nicht mit dem Lebensspendenden Gewächs vermischt wird. Indem sie es sichtbar ins Feuer werfen, so dass der Rauch aufsteigt und alle es sehen.
Und:
Jesus macht uns mündig, dabei mitanzupacken.
Wir können die Welt nicht zum Schlaraffenland für alle machen, aber mit anpacken, einen paradisischen Zustand insofern herzustellen, dass wir achtsam füreinander leben, wirtschaften, lehren, denken, entwickeln, und dies auch mit großer Achtung vor Gott, dem Schöpfer (biblisch heißt das manchmal in der Furcht Gottes) tun.
Als „Kinder des Lichts“ sollen wir gerade darin ein Beispiel sein für die „Kinder der Finsternis“.

Denn trotz der immer wieder auftretenden Anteile von Dunkelheit in unserem Leben, in uns und um uns herum, sollten wir zulassen, dass Gottes Liebe in uns ein inneres Feuer entfacht und dass wir uns von seiner unbegrenzten
Gnade nähren lassen.
Diese hilft uns auch , unsere eigenen dunklen Seiten in den Griff zu nehmen und besser wahrzunehmen und anzugehen, dass der gute Weizen nicht noch mehr vom Unkraut erstickt wird.
Das Gleichnis sagt mir: Wir haben noch viel zu tun. Gott hat noch viel mit uns vor.
Krempeln wir die Ärmel hoch, packen wir es an. Nicht gnadenlos, sondern barmherzig.
Wissen Sie sie noch, die Jahreslosung des heute zu Ende gehenden Jahres 2021?
Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Lukas 6,36

Liebe Gemeinde
Der Bauer in unserem Gleichnis ist zuversichtlich, dass er reiche Ernte einbringen wird. Trotz dem Taumel-Lolch. Die Saat geht auf, und sie trägt Frucht. Mit oder ohne Unkraut. Das ist die Pointe dieses Gleichnisses.
Jesus seinerseits, der das Gleichnis erzählt, ist zuversichtlich, dass das Himmelreich da ist. Gottes Reich bricht hier und jetzt an. Trotz aller Widrigkeiten. Das ist der Trost dieses Gleichnisses.
Und seine Kraft. Wir können, müssen, nicht alles tun. Was wir tun, aber mit dem Blick auf einen Gott, der nicht gnadenlos, sondern barmherzig ist.
AMEN

Und der Friede Gottes, der größer ist als alles, was wir denken und begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. AMEN