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Predigt zum Sonntag Okuli 07.03.2021

(gehalten in der Versöhnungskirche in Köln-Rath-Heumar von Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel)

Gnade und der Friede Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder in Christus,

es gibt biblische Texte, die scheinen sich von selbst zu verstehen. Und doch ist genau das manchmal täuschend und irreführend. Wir glauben den Sinn schon längst erfasst zu haben, weil wir die Geschichte schon tausend mal gehört haben. Aber wir sind dann gar nicht mehr wirklich Hörende. Geschichten, an die wir uns so sehr gewöhnt haben, werden dann aber auch schnell gewöhnlich. Sie verlieren sich in der Bedeutungslosigkeit und sprechen uns oder greifen uns nicht mehr wirklich persönlich existentiell an.

Einer der für den heutigen Sonntag zur Auswahl gestellten Predigttexte, ist eine solche vielen von Euch vertraute Geschichte. Sie ist überschrieben mit „Das Scherflein der Witwe“, was nichts mit Schafen zu tun hat, sondern eine Geldwährung darstellt.

Im 12. Kapitel des Markusevangeliums heißt es in den Versen 41 – 44: „Und Jesus setzte sich dem Opferkasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Opferkasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das macht zusammen einen großen Pfennig. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben.

Denn alle haben etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrem Mangel alles eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.“ Amen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus, vielleicht ist Euch die Redensart bekannt „sein Scherflein dazu beitragen“. Jetzt wisst Ihr woher das kommt. Scherflein ist ein altes Wort für einen kleinen Pfennig, die kleinste Kupfereinheit. Zwei kleine Pfennige oder zwei kleine 1- Centstücke hat die Witwe eingelegt.

Das ist ja lächerlich. Das sind ja Peanuts, würden die anderen wohl sagen. Und genau genommen sagt das auch das Wort, das da im Griechischen für Pfennig eigentlich steht. „Lepta“ – das war nicht nur die Währungseinheit, sondern bedeutete zugleich winzig, klein, vernachlässigbar. Lepta, eben lepsch.

Jemanden, der heute nur einen oder zwei Pfennige in den Opferkasten, in den Teller am Ausgang oder in den Klingelbeutel einlegt, den würden wir heute wohl eher als geizig bezeichnen.

Das mag aber daran liegen, dass wir uns hier in unseren Breitengraden kaum noch vorstellen können, wie arm jemand sein kann und was diese Armut für ihn existentiell bedeutet. Der muss wirklich jeden Pfennig, jeden Cent zusammenhalten.

Für die von Jesus wahrgenommene Witwe jedenfalls, war das ihr Ein und Alles. Das sagt Jesus sehr deutlich: „alle haben etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrem Mangel alles eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.“

Die Witwe steht im Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Nicht etwa, weil die Anderen schlecht wären, sondern weil ihn diese Frau besonders beeindruckt.

Was zunächst aber wohl sonderbar anmutet, ist ja, dass sich Jesus direkt gegenüber dem Opferkasten hinsetzt und alle dabei beobachtet, was sie da einwerfen. Anders als bei uns im Gottesdienst, wo man diskret die Gaben auf den Teller legt, oder im Kasten oder Klingelbeutel einwirft, war das dort im Tempel für alle sehr sichtbar. Es gab im Tempel 13 Opferstöcke, die im Vorhof aufgestellt waren. Dort direkt vor den Vorratsräumen für Wein, Brandopferholz, Öl und Edelsteine standen diese 13 Opferstöcke. Sie hatten die Form von Posaunen, also oben eng und unten weit, um Diebstähle zu verhindern. Die ersten 12 hatten eine feste Zweckbestimmung, der 13. war aber für freiwillige, ganz persönliche Gaben bestimmt. Priester standen dort, fragten die Geber, wofür die Gaben bestimmt seien und prüften die Gabe. Besonders hohe Spendenbeträge wurden dann sogar ausgerufen – ganz laut mit Namen des Spenders! Oder vom Schall der Posaunen begleitet wie ein Tusch beim Karneval. Da mag es laut und bunt zugegangen sein – für uns kaum nachvollziehbar, wie unverhohlen dort jedes Spendengebahren öffentlich ge­macht wurde. Aber es war wie es war und wurde von Jesus auch in keiner Weise kritisiert. Und vielleicht war das ja auch nicht die schlechteste Sponsoringstrategie, denn immerhin war es ein Anreiz zu spenden, wenn man seinen Namen und einen Posaunentusch hörte.

Wir hören von Jesus auch weder eine Kritik an denen, die gar nichts gaben noch einen Freudenruf über die, die viel gaben. Wir hören von ihm aber die Wahrnehmung dieser einen armen Witwe. Viele dürften sicher erst gar nicht den Weg in den Tempel gewagt haben, wo sie doch ohne Einkommen sind und sich den ganzen religiösen Luxus nicht leisten können.

Diese eine Frau fällt Jesus ins Auge. Und wir fragen uns, was will Jesus uns damit sagen oder warum wird uns hier im Evangelium davon erzählt und last but not least, warum soll darüber ausgerechnet in der Passionszeit gepredigt werden?

Eins sollte nämlich klar sein. Solche Geschichten gab es ähnlich in der indischen und griechischen Kultur. Und es gab sie auch im Judentum, also in Jesu eigener religiöser Heimat. Da wurde folgende kurze, sehr ähnliche Geschichte erzählt:

„Als eine arme Witwe eine Handvoll Mehl zur Opfergabe bringt, hört der Priester im Traum eine Stimme, die ihm sagt: „Verachte die geringe Gabe der Witwe nicht; denn sie ist wie eine, die ihr Leben dargebracht hat.“

Die Begebenheit, wie sie über Jesus erzählt wird und vor allem seine Worte dazu gehen aber noch darüber hinaus. Hier geht es nicht darum, dass Jesus nur zur Achtung der Witwe oder ihrer Gabe aufrufen will, sondern er greift ihr Beispiel heraus, weil es uns existentiell angreifen, ansprechen soll. In dem Moment, wo er sich mit seinen Worten an die Jünger richtet, spricht er ja zu uns. Eben noch war das irgendein Geschehen irgendwo in grauer Vorzeit da im Tempel von Jerusalem. Jetzt ist es etwas, was noch zu mir heute spricht.

Es geht um viel und wenig und um alles oder nichts – im wahrsten Sinne des Wortes. Da sind viele, die viel geben. Da ist eine, die wenig gibt. Aber es ist ihr Ein und Alles. Da hätte eigentlich die Posaune erschallen müssen, der Tusch kommen müssen, hätte Jesus auch sagen können. Warum?

Weil ihre Hingabe ihr ganzes Gottvertrauen zeigt. Der Unterschied zwischen ihr und allen anderen Gebern ist, dass sie ihr Ganzes gibt und dabei doch so viel gewinnt, empfängt. Darauf vertraut sie jedenfalls.

Vordergründig mag es hier um Kollekten und Spenden und so weiter gehen – also um eine Gabe. Hintergründig geht es um etwas ganz Anderes – um Hingabe.

Du kannst dein Geld geben – ja, natürlich. Das Wesentliche ist aber, dass Du dich selbst gibst. Die Gabe der Witwe sind Leptas, aber sie ist in Wirklichkeit alles andere als lepsch. Ihre Gabe ist Hingabe. Eigentlich ist sie bettelarm. Warum gibt sie dennoch?

Weil sie sich Gott ganz anvertraut. Jesus erzählt von ihr nicht, weil sie ein besonderer Gutmensch wäre, ein tolles soziales Vorbild, sondern weil ihr Glaube darin vollends greifbar wird, ihr starkes Vertrauen zu Gott. Viel, viel mehr trägt sie in ihrem Herzen als mancher begüteter Geber dort im Tempel. Soviel mehr an Vertrauen, soviel mehr an Hoffnung, soviel mehr an Gottesnähe, dass sie tatsächlich reicher wird durch ihr Schenken und nicht ärmer. Denn sie weiß sich von Gott allein getragen. Es ist nicht ihre moralisch gute Tat, die Jesus hervorhebt, sondern ihr darin zum Vorschein kommendes tiefgründiges Vertrauen.

„Hast de was, dann bist de was“, ist ja auf den Punkt gebracht das Glaubensbekenntnis der heutigen Zeit. Alles und jeder definiert sich über das Haben. Wer sein Geld weggibt oder teilt um der Nächstenliebe willen, wird da eher belächelt. So kommst Du zu nichts! Wirklich nicht? Oder ist vielleicht gerade das der Weg zu wahrem Reichtum? Martin Luther hat einmal gesagt: „Glaubst Du, so hast Du.“ – genau das hat Jesus hier im Blick. Mein Vertrauen zu Gott kann mich zu einem hingebungsvollen Menschen machen. Und das macht mich frei von falschen Bindungen und reich an innerem Glück. Und da sind wir ganz in der Nachfolge Jesu. Auch das Fasten in der Passionszeit ist ja soetwas wie Einübung in ein hingebungsvolles Loslassen. Einübung des Verzichts, des Loslassens, bei dem ich am Ende die Erfahrung geschenkten Glücks mache.

Neben diesem offensichtlichen Bezug mit der Passionszeit, also der Leidenszeit Christi, gibt es aber noch einen weiteren, der sehr viel mit der armen Witwen selbst zu tun hat.

Die armen Witwen haben in der Bibel und im Herzen Gottes schon immer einen besonderen Platz gehabt. Warum? Weil sie schon immer der Solidarität bedurften und weil ihr in der Not geborenes Klagen und Rufen in der Liebe Gottes nicht verhallt! Noch heute gehören verarmte Witwen in der ganzen Welt zu den Ärmsten der Armen. Die Armut hat in der Geschichte Frauen, die Witwen und deshalb unversorgt waren, immer am meisten getroffen. Sie gehören daher von jeher zu den besonders Leidtragenden unserer Welt, sei es weil sie einen lieben Menschen verloren haben, sei es, weil sie arm sind oder sei es, weil sie zu Witwen gemacht worden sind durch brutalste Gewalt. Ich habe vor Augen, wie es immer wieder Demonstrationen von Witwen gegen Gewaltregime gegeben hat. Frauen, deren Männer verschleppt oder gemordet worden sind. Ob in Chile, auf den Philippinen, im Iran oder in Lybien oder wo auch immer.

Diese arme Witwe hier, die Verlust- und Leidenserfahrungen gemacht hat, setzt ihr ganzes Vertrauen auf Gott. Wie Christus erleben die verarmten Witwen ihr Kreuz und sie rufen mit Christus nach Gott. Aber wie ihm wird auch ihnen die Liebe Gottes zuteil.

Mir ist alles im Leben genommen. Worauf soll ich nur meine Hoffnung setzen? Wer könnte dieses Fragen, Klagen und Verzweifeln nicht besser nachvollziehen als eine Witwe, von der ein ganzer Teil gegangen ist. Vor wenigen Tagen habe ich eine unserer ehemaligen Gemeindemitglieder, Irmtraud August, in einem Seniorenheim in Refrath besucht. 63 Jahre lang lebte sie mit ihrem Mann Pfarrer Gerhard August, zusammen, bevor der im letzten Jahr gestorben ist. Uns hatte er immer durch ehrliche und tiefgründige Predigten erfreut. Sie leidet nicht an Armut, aber daran, dass ein ganzer Teil ihres Lebens von ihr gegangen ist. Dass Gott ihre Einsamkeit mit aushält und sie stärken möge, ist da ihre letzte Hoffnung.

Ja, es stimmt. Viele Witwen landen bei der Kirche, landen im Seniorenclub. Aber es ist kein Grund, sich als selbst Betroffene dafür schämen zu müssen oder aber das als nicht Betroffene zu belächeln. Es ist vielmehr das Wissen darum, dass das Leben endlich ist – das erfahren wir ja in Pandemiezeiten ganz intensiv – und dass nur einer in jedem Ende neue Anfänge setzen kann.

Es ist das Wissen auch, dass ich ohne die Solidarität und das Mitgehen der Anderen nicht durch diese Welt gehen kann und dass mich am besten die verstehen, die Gleiches erlebt haben – die, die auch leidgeprüft sind und mit denen ich mich hoffnungsvoll nach Christus ausstrecke, der auch all das kannte. Noch am Kreuz hat er am Menschenfischernetz gearbeitet und Menschen in die Nachfolge gerufen Noch am Kreuz hat er Gemeinschaft für eine Witwe und einen Verwaisten gestiftet: „Hier Johannes, das ist Maria. Sie ist nun deine Mutter.“ hat er zu Johannes gesagt und „ Hier Maria, das ist Johannes. Er ist nun dein Sohn“, hat er zu Maria gesagt.

Was kann es für uns bedeuten, von dieser Geschichte der armen Witwe, etwas im Herzen mitzunehmen? Mit dieser armen Witwe dürfen wir uns selbst und unser Leid zu Gott bringen. Mit ihr dürfen und sollen wir aber auch all unsere Hingabe leben, all unser Vertrauen zu ihm bringen, ja, darauf vertrauen, dass er unsere Welt in der Hand behält und auch verändern kann, dass er Leid wandeln kann und will. Die Witwe vor Augen habend stellvertretend für so viele leidende Menschen heute, bleiben wir aber auch gefragt, es Gott und Christus gleich zu tun, die Rufe der Leidenden zu hören und daran zu arbeiten, ihr Leid zu wandeln. Das ist Nachfolge, in die wir als Christen gerufen sind. Der Theologe Helmut Gollwitzer hat einmal gesagt: „Es gibt viele bequeme Wege im Leben auf dieser Welt. Aber das ist eben nicht unbedingt der Weg Christi.“ Amen