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Predigt II zum 06.06.2021

(Predigt am 06.06.2021 – 1. Sonntag nach Trinitatis, gehalten von Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel in der Versöhnungskirche in Rath-Heumar)

Die Gnade und der Friede Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

In der Lesung hörten wir den Beginn der biblischen Geschichte von Jona, einem Propheten, der zunächst vor der Beauftragung Gottes flieht. Eigentlich sollte er von Israel aus nach Ninive gehen und dort der Stadt im Auftrag Gottes ihren Untergang ankündigen und die Menschen zur Umkehr aufrufen.  Ninive war eine große Residenzstadt im Assyrischen Reich – also von Israel aus gesehen sehr, sehr weit im Osten gelegen.

Was macht Jona, er geht tatsächlich auf die Reise, aber in die entgegengesetzte Richtung. Er flieht vor Gott, jedenfalls glaubt er, es zu können und will an den äußersten westlichen Punkt der damals ihm bekannten Welt – nach Tarsis. Das liegt in Spanien.

Ein Sturm kommt auf. Er opfert sich – ja, wird über Bord geworfen, weil die Seeleute den Zorn seines Gottes hinter dem Sturm vermuten.

Dann heißt es schließlich, wie wir in der Lesung hörten: „Aber der HERR ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte.“

“Fisch” hören und lesen wir. Aber gemeint ist offenbar kein Fisch, sondern ein großes Meerestier – ein Wal.

Der findet sich tatsächlich immer mal wieder in alten Erzählmotiven aus der Zeit des 4. Jh. vor Christus, in der diese Geschichte entstanden sein muss.

Und genau dieses Erzählmotiv ist auch der Grund, weshalb wir sicher sein können, dass diese Geschichte nicht Ereignisse erzählt, die so geschehen sind, sondern dass sie eine andere Absicht hat.

Die Erzählungen von verschlingenden Meerestieren aus anderen Kulturen jener Zeit sind einfach nur Ausdruck der Angst vor den Gefahren, die da im Meer lauern, genauso wie man das heute aus Horrorfilmen kennt, wo irgendwelche Meeresungeheuer oder aber Haie begegnen, die zum Sinnbild für das Ausgeliefertsein an die Angst schlechthin werden.

Der Erzähler der Jonageschichte setzt hier aber offensichtlich schon einen anderen Akzent. Er beschreibt nicht nur einfach die klassische Verschlingung durch ein Meeresungeheuer– also die Bedrohung oder gar Vernichtung durch das angsteinflößende Tier oder einer wie auch immer gedachten angsteinflößenden Macht, für die das Tier nur sinnbildlich steht, sondern eine Rettung. Das Bedrohliche wird gewandelt. Der Erzähler der biblischen Jonageschichte präsentiert die Verschlingung durch ein Seetier nicht etwa als Vernichtung oder als Strafe einer bösen Macht oder eines Gottes, sondern als Rettung durch den Gott Jonas, den Gott Israels. Anders ist ja der Satz nicht zu erklären, der da lautet: „Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte.“ Und dann heißt es: „Und Jona betete zu dem HERRN, seinem Gott, im Leibe des Fisches.“

Und genau dieses Gebet, diesen Psalm sprechen wir jetzt einmal gemeinsam (Jona 2, im EG 766, S. 1193)

Beim Lesen haben wir gemerkt: Hier drückt jemand an Gott gerichtet seinen Dank aus für Rettung in den Untiefen des Meeres. „Die Untiefen des Meeres, die Fluten, Wogen und Wellen“ sind dabei nur Bilder, die die Stürme und Untiefen des Lebens umschreiben.

Wir dürfen diese Geschichte von Jona nicht so hören, dass da ihn da tatsächlich ein Walfisch verschlungen und gerettet hatte. Das ist einfach fantasiereicher Ausdruck der erfahrenen Rettung. Eben heute würde uns das in Fantasyromanen begegnen. Ja, es hat gar etwas Witziges, auch aus der Wahrnehmung der Menschen von damals heraus. Sie wussten durchaus, dass man nicht drei Tage und Nächte im Bauch eines Wales leben kann.

Auch für ihre Ohren damals war das nur ein Sinnbild, aber eben ein sehr schönes Fantasiereiches. Und es korrespondiert damit, dass der Wal ja gerade kein Fleischfresser ist, sondern Pflanzenfresser mit gigantischen Ausmaßen.

Das Angstmachende verliert seinen Schrecken – Jona wird nicht vernichtet. Der dem im wahrsten Sinne des Wortes dem Untergang geweihte Jona, wird gerettet. Ihm wird geholfen durch Gott selbst. Der, vor dem er weggelaufen ist, hat seine Arme weit ausgespannt, um ihm in der Not dennoch nah zu sein. Das ist die schöne Botschaft dieses Teils der Jonageschichte.

Aber sie geht ja noch weiter. Das ist erst ihr Beginn. Aber, und das, werden wir merken: genau dieser Gedanke, genau diese Botschaft wird uns auch im übrigen Teil der Geschichte begegnen. Das dem Untergang geweihte Leben wird von Gott aus gerettet.

Aber bleiben wir zunächst noch einen kurzen Moment bei diesem ersten Teil der Geschichte vom Propheten Jona.

Wir können das ganze Leben weglaufen vor Gott. Aber Gott holt uns immer wieder ein. Ja, es ist die Frage nach Gott, die uns immer wieder einholt und auch die Auseinandersetzung mit uns selbst. Spätestens, wenn wir in Not sind oder aber den Tod als Grenze des Lebens vor Augen haben, holt uns die Frage nach Gott wieder ein. Nach dem 2. Weltkrieg waren die Kirchen voll, weil die Menschen realisiert haben, dass sie sich von Gott weit entfernt hatten und sie erlebten, wie verletzlich, verwundbar, begrenzt das Leben ist. Der Zusammenbruch, der Hunger, die große Not und der viele Tod führte sie in die Kirchen, führte sie zu Gott.

Corona hat uns eine solche Demut und Umkehr bisher leider nicht gelehrt, kein Fragen nach Gott, kein Suchen – jedenfalls nicht in der Breite der Bevölkerung, bei einzelnen Betroffen sicher hingegen schon.

Wenden wir uns noch mal dem Propheten Jona selbst zu. Es wird uns mit ihm ja nicht nur exemplarisch vor Augen geführt, wie das mit uns selbst ist, also, dass wir manchmal eine Tendenz haben mögen, wo wir vor Gott und den Herausforderungen in dieser Welt und den Auseinandersetzungen mit uns selbst gerne flüchten. Er wird uns ja auch als Prophet vorgestellt. Er hat gemeinsam mit den meisten anderen Propheten in der Bibel, dass er keine besondere Eignung zum Prophetenamt vorweisen kann, keine besonderen Vorzüge, weshalb gerade er von Gott erwählt und beauftragt wird. Offenbar wächst Jona wie die meisten anderen von Gott berufenen Propheten an seinen Herausforderungen.

Das macht deutlich: jeder von uns kann auch heute zu einem Propheten werden, zu einem Menschen, den Gott braucht, für den Gott eine Aufgabe hat. Ja, er braucht uns sogar sehr, auch wenn wir uns selbst für nicht geeignet halten mögen oder überfordert fühlen mögen, wie Jona.

Die Geschichte von Jona geht kurz zusammengefasst so weiter, dass er schließlich vom Wal bzw. großen Meerestier an Land ausgespien wird. Und nach der erfahrenen Rettung geht er dann doch seinem Auftrag nach.  Da heißt es: „Und es geschah das Wort des HERRN zum zweiten Mal zu Jona: Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sage! Da machte sich Jona auf und ging hin nach Ninive, wie der HERR gesagt hatte. Ninive aber war eine große Stadt vor Gott, drei Tagereisen groß. Und als Jona anfing, in die Stadt hineinzugehen, und eine Tagereise weit gekommen war, predigte er und sprach: Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen.“

Und dann passiert das Erstaunliche, ja, das Unglaubliche. Alle Leute und der König beginnen ein Fasten und kehren um von ihren schlechten Wegen. Und sie ziehen als Zeichen ihrer Reue und Umkehr ein Bußgewand aus schlichtem Leinen an. Sie beten, ja flehen zu Gott, sie mögen vor Unheil bewahrt werden und er möge dieses Unheil des Untergangs der Stadt abwenden trotz der üblen Wege, die sie beschritten hatten.

Dann heißt es: „Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und ließ es nicht zu.“

Jona verstand die Welt und Gott nicht mehr. Es wird erzählt, dass er vor Wut entbrannte. Gott ist barmherzig – das wusste er. Aber es erschien ihm ungerecht. Er fragte sich, wofür er den ganzen Weg gemacht hatte, wenn am Ende nicht Gottes Gericht mit entsprechendem Vollzug von Zerstörung steht.

Frustriert und wütend zog er sich zurück in seine Laubhütte draußen vor der Stadt, um zu beobachten, was weiter geschehen würde. Gott stellte ihm zuvor aber noch die Frage, ob es wirklich gerechtfertigt sei, dass er so wütend ist? Eine Art Denkzettel – ein Frageimpuls, der aber zunächst nicht fruchtete.

Und dann nimmt diese wunderschöne Geschichte aber noch mal eine weitere Wende. Am Schluß heißt es:

„Gott der HERR aber ließ einen Rizinus wachsen; den ließ er über Jonas Kopf wachen, um seinem Kopf Schatten zu spenden und ihn aus seinem Missmut herauszureißen. Und Jona freute sich sehr über den Rizinusstrauch. Aber am Morgen, als die Morgenröte anbrach, ließ Gott einen Wurm kommen; der stach den Rizinus, dass er verwelkte. Als aber die Sonne aufgegangen war, ließ Gott einen heißen Ostwind kommen, und die Sonne brannte Jona auf dem Kopf, dass ihm ganz schummrig wurde. Da wünschte Jona sich den Tod und sprach: Ich möchte lieber tot sein als leben. Da sprach Gott zu Jona: Ist es gerechtfertigt, dass Du zornig bist wegen des Rizinusstrauches?“

Und er sprach: Mit Recht zürne ich bis an den Tod. Und der HERR sprach: Dich bekümmert der Rizinusstrauch, um den du dich nicht gemüht hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, der in einer Nacht geworden war und in einer anderen Nacht verdorben war, und mich sollte es nicht bekümmern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen sind, die rechts uns links nicht zu unterscheiden wissen, dazu auch viele Tiere?“

Mit dieser Rückfrage Gottes an Jona endet diese wundervolle Erzählung – diese Novelle, die zwar nicht von einem tatsächlich so geschehenen Ereignis erzählen will, die uns aber etwas ans Herz legen will. Mindestens zwei ganz elementare Dinge: Einmal die Erinnerung und Vergewisserung: Gott will nicht Vernichtung und Zerstörung von Leben, sondern Rettung. Der schöne Episode mit dem Rizinusstrauch hat das noch mal richtig auf den Punkt gebracht. Erzählerisch notwendig war sie allerdings nicht. Es hätte auch der Verweis Gottes genügt: „Habe ich nicht dein Leben auch bewahrt und dir den Walfisch gesandt, obwohl Du dich von mir entfernt hast und mir ausgewichen bist und eigene Wege gehen wolltest?“. Gott kämpft für dieses Leben – eine kostbare Erinnerung für all diejenigen, die sich fragen wo Gott ist und was er tut und die vielleicht auch oft geneigt sind zu denken, dass Gott selbst der Urheber des Übels oder der Katastrophen ist, egal ob Corona oder andere. Hier hören wir: Nein, Gott steht für das Leben ein.

Das andere Elementare ist:

Für die Bewahrung des Lebens muss man manchmal mutig gegen den Strom schwimmen. Zu den Leuten nach Ninive gehen und den Spiegel vor Augen halten. Untergang predigen, um ihn zu verhindern. Das ist der wahre Kern biblischer Unheilsprophetie.

Wir müssen heute vom Untergang der Welt durch die Klimaveränderungen und den Raubbau der Natur und die allgemeine Vermüllung reden, um sie eben nicht sich selbst zu überlassen und untergehen zu lassen. Wir müssen vom Untergang auch heute reden, um ihn zu vermeiden, um noch gerade rechtzeitig umkehren zu können bevor alles zu spät ist.

Über nichts freut sich Gott mehr als über diese Umkehr. Amen