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Predigt am 24. April 2022 – Sonntag Quasimodogeniti (weißer Sonntag)

(gehalten von Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel in der Auferstehungskirche in Ostheim und der Versöhnungskirche in Rath-Heumar)

Die Gnade und der Friede Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

manche Texte aus der Bibel, die sprechen zu uns wie aus einer anderen Welt. Ihre Bilder und ihre Inhalte wirken fremd oder gar befremdlich auf uns, weil wir uns in einer völlig anderen Situation befinden und ein großer Graben der Geschichte uns trennt. Aber nicht alles, was fremd oder befremdlich ist, muss aussortiert werden. Und nicht alles, was vertraulich und passgenau ist oder uns erscheint, bringt uns weiter im Leben. Manchmal ist es wichtig, sich einfach um Verstehen des ganz Anderen zu bemühen, um an Erkenntnis für das eigene Leben und das Hier und Jetzt zu gewinnen.

Ich stelle mir vor: heute würde ein Elternpaar mich kontaktieren, um ihr Kind taufen zu lassen und ich würde ihnen den für den heutigen Sonntag vorgesehenen Text zur vorbereitenden Lektüre zukommen lassen. Das wäre doch recht hartes Brot bzw. es wären sicher böhmische Dörfer für viele Eltern. Ja, der Text würde sie doch sehr irritieren und vielleicht sogar abschrecken. Und trotzdem wäre gerade auch die Auseinandersetzung mit diesem Text wichtig, um zu wissen, was sie da eigentlich tun oder wollen, wenn sie ihr Kind zur Taufe bringen.

Im Kolosserbrief 2, 12 – 15 heißt es:

„Mit Christus seid ihr begraben worden in der Taufe; mit ihm seid ihr auch auferweckt durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten. Und Gott hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches, und hat uns vergeben alle Sünden.  Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn aufgehoben und an das Kreuz geheftet. Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und über sie triumphiert in Christus.“ Amen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus, ein Unterschied zwischen der Zeit des Kolosserbriefes und der heute ist zunächst einmal, dass es damals bis ins zweite Jahrhundert nach Christus hinein gar keine Kindertaufe gab. Es wurden also keine Babys oder Kleinkinder getauft, sondern nur Heranwachsende und Erwachsene.

Taufe war eine persönliche Entscheidung und es war mit der Aufnahme in die Gemeinde als der Gemeinschaft der Gläubigen verbunden. Dieser Unterschied ist nicht unwichtig, denn was hier geschrieben ist, kann man nur vor diesem Hintergrund richtig verstehen.

Denn allein der erste Satz dürfte bei Eltern eines zu taufenden Kindes doch ziemliches Achselzucken bis Entsetzen hervorrufen, wenn sie hören oder lesen: „Mit Christus seid ihr begraben worden in der Taufe“. Wieso tod? Wieso begraben? Es ist doch gerade erst der Lebensbeginn und Taufe soll doch zum Leben führen und nicht in den Tod. Und dann die weiteren Zeilen, die von Sünde sprechen und Befreiung von Schuld. Ein acht Monate altes Kind, wie soll das gesündigt haben und wie soll das Schuld auf ich geladen haben. Wohl kaum, auch wenn gewiefte Theologen später das entwickelt haben, was wir Erbsündenlehre nennen, wonach jeder Mensch, die Sünde schon vererbt bekommen habe, also quasi immer schon in sich trägt. Da ist zwar etwas dran. Aber das stellen wir zunächst mal zur Seite. Darauf komme ich später zurück.

Fakt ist jedenfalls: Hier im Text sind weder Kleinkinder angesprochen noch die Eltern von Kleinkindern, sondern Menschen, die als Heranwachsende oder Erwachsene getauft wurden, ja gerade erst getauft wurden, müsste man sagen, denn so lang war das bei all ihnen noch nicht her. Das Christentum, deren Zugehörigkeit durch die Taufe bestimmt war, war ja noch eine ganz junge Bewegung.

Es waren Menschen, die gerade erst getauft wurden, ja vielleicht sogar just an diesem heutigen Sonntag, dem sogenannten weißen Sonntag. Denn diese Bezeichnung hat seinen Namen daher , dass im frühen Christentum die Heranwachsenden oder auch Erwachsene zu Ostern getauft wurden und dann am darauffolgenden Sonntag in weißer, heller Kleidung in den Gottesdienst kamen als Zeichen ihrer Veränderung, als Zeichen einer neuen Existenzform, als Zeichen ihrer Zugehörigkeit zu Christus.

All das müssen wir im Hintergrund sehen, wenn wir die Worte des Textes, seine Bilder und das, worauf er hinaus will, recht verstehen wollen.

Im biblischen Verständnis der Taufe geht es um eine folgenschwere Entscheidung, aber im ganz positiven Sinne. Es geht darum, sich hineinnehmen zu lassen, sich einzuladen in eine andere Existenzform. Statt dahin zu vegetieren oder lediglich nur um der eigenen Triebbefriedigung willen auf Kosten Anderer zu leben, geht es bei der Taufe um ein bewusstes Leben mit Gott, in der Gemeinschaft mit Gott und den Menschen, die sich an die Gebote Gottes halten wollen. Und das zieht nicht nur eine andere Existenzweise nach sich, sondern ich werde auch in eine Gemeinschaft der Hoffnung aufgenommen.

Ich möchte etwas am Text entlang gehen, um deutlich zu machen, wie sehr es hie rum ein Unterwegssein in einer Hoffnungsgemeinschaft geht, die sich bewusst abgrenzt von dem, was damals in der Welt erlebbar und negativ erfahrbar war. Der ganze Textabschnitt hat eine positive Ausrichtung. Er zielt auf Befreiung und Hoffnung durch die Taufe, wenn er von Schuld und Sünde redet. Wenn hier im Text von Schuld und Sünde gesprochen wird, dann ist das kein Selbstzweck und dient auch nicht dazu, die Menschen  klein zu halten, wie das die Kirche oder manch strenge christliche Erziehung oft falsch verstanden hat bzw. falsch akzentuiert hat. Sondern hier wird dazu eingeladen und erinnert, wie wunderschön und befreiend es ist, zu erleben, dass man zu dieser Hoffnungsgemeinschaft mit denen gehört, die sich an Gott und Christus halten.

„Mit Christus seid ihr begraben worden in der Taufe; mit ihm seid ihr auch auferweckt durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten.“ Ganz deutlich ist hier der Tenor nicht bei dem, was Tod ist oder tot macht, sondern beim Leben. Mit diesem Bild vom begraben werden durch die Taufe und Auferstehen durch die Taufe wird ja nur an eine ganz sinnliche Erfahrung erinnert, die jeder von uns machen kann, der sich für einen Moment unter die Dusche stellt, im besten Fall sogar unter eine kalte Dusche. Ich fühle mich „wie neu geboren“ sagen wir da und so ist es doch auch. Schmutz und Schlaf des Körpers verlieren sich und ich bin hellwach. In der Osternacht haben wir in Rath-Heumar auch in diesem Jahr wieder unsere Taufe erinnert, indem wir Wasser über die Hände gegossen haben und man sich dann auch mit den Händen im Gesicht benetzen und das Erfrischende des Wassers spüren konnte.

Die Taufe soll uns also in der Tat nicht in den Tod führen sondern zu neuem Leben. Aber das geht nicht, um im Bild zu bleiben, ohne, dass das Alte in uns abstirbt oder wir davon frei werden. Damit ist eine Lebensweise gemeint, die bewusst gegen die Gebote Gottes verstößt.

Hier ist in der Tat eine Entscheidung gefragt derer, die sich taufen lassen. Also nicht der Babys oder Kleinkinder, sondern der damaligen Erwachsenen und Heranwachsenden. Willst Du so oder so leben? Willst Du so wie die römischen Besatzer z. B. leben, die Jesus Christus ans Kreuz geschlagen haben? Rücksichtslos auf Kosten und auf dem Rücken der Anderen? Andere Völker unterdrücken mit der billigen Ausrede, ihnen den Frieden bringen zu wollen, so wie das heute auch Putin tut oder vor ihm auch schon andere taten, indem sie mit den gleichen Argumenten ihre Kriege geführt haben im 1. Weltkrieg, im 2. Weltkrieg oder auch im Vietnam- und Irakkrieg. Willst Du so leben, wie die Getreidespekulanten, die dafür sorgen, dass sie den Bauch nicht voll genug kriegen, während andere Menschen verhungern, so wie es in Jerusalem und andernorts war und heute noch in den Ländern der sogenannten Dritten Welt so ist, weil wenige die Preise bestimmen und damit Herr über Tod und Leben Anderer spielen. Willst Du so leben? Willst Du es Dir da schön und bequem einrichten und so leben wie vielleicht sogar die Mehrheit lebt? Oder willst Du ganz anders leben – wirklich glücklich und sinnerfüllt, indem Du die Gebote Gottes und damit das Leben der Anderen achtest, den Frieden suchst, das Miteinander und teilst mit denen, die nichts haben?

Das ist die Frage, die sich ein Getaufter oder bald zu Taufender nach der Vorstellung des Kolosserbriefes stellen musste, denn Taufe war eine freie Entscheidung. Und das können heute vielleicht noch am ehesten die nachvollziehen, die sich erst als Jugendliche oder Erwachsene zur Taufe entschließen. In diesem Jahr haben wir, wenn ich es richtiggezählt habe, ganze vier Konfirmanden und Konfirmandinnen, für die das noch am ehesten so ist, denn die sind noch nicht getauft und haben sich aus freien Stücken für die Taufe und den Konfirmandenunterricht entschieden, viel bewusster als diejenigen, die schon längst getauft sind und für die das einfach eine Selbstverständlichkeit ist, die zum Erwachsenwerden dazu gehört. Diese vier entscheiden sehr bewusst, wie sie leben wollen, wozu sie gehören wollen und wie ihr Erwachsenwerden denn konkret aussehen soll, so oder so?

Sie sind jedenfalls hier mit denen, die im Kolosserbrief angesprochen und erinnert werden, in bester Gesellschaft oder sollte man besser sagen: in bester Gemeinschaft? In der Gemeinschaft der Glaubenden und Hoffenden, die alles, was Sünde ist und was von Gott und den Menschen abführt hinter sich lassen wollen oder jedenfalls sich davon abgrenzen wollen und ein positives Leben mit Gott und im Sinne Christi führen wollen.

Und alle, die sich für Gott und Christus entscheiden, hören auch einen Zuspruch, den der Schreiber des Kolosserbriefes wieder in Bildern so formuliert: „Gott hat euch mit Christus lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches, und hat uns vergeben alle Sünden.“ Hier spricht er uns alle als heranwachsende und erwachsene Christen an, die irgendwann in der Taufe zu Gott gekommen sind. Die Passage mit der „Unbeschnittenheit“ dürfte für viele schwer verständlich sein. Was ist gemeint? Wir kennen die Beschneidung im Islam und vor allem auch im Judentum als Initiationsritus,als Zeichen der Zugehörigkeit, der Verbundenheit mit Gott. Die Beschneidung ist da also ein Zeichen des Bundes mit Gott.

Was heißt dann der Satz: „Gott hat euch mit Christus lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches, und hat uns vergeben alle Sünden.“ Im Bild soll ein Zustand ausgedrückt werden, wo wir ohne Kontakt zu Gott, ohne Bindung an ihn waren, ja getrennt waren.

Und da haben alle Menschen, egal ob Heranwachsende oder Erwachsene oder Neugeborene, die sich erst noch im Leben entwickeln werden alle eins gemeinsam. Wir sind alle Millionen von Lichtjahren entfernt von Gott und verdanken es nur seiner Gnade, seiner Liebe, dass er sich uns zuwendet. Wir haben uns das nicht verdient. Auch wenn wir uns selbst und freiwillig zur Taufe entscheiden als Heranwachsende oder Erwachsene, haben wir uns das nicht verdient. Bei vielem, was wir als Menschen tun, machten wir uns schuldig, machen wir uns schuldig oder werden wir uns noch schuldig machen. Selbst, wo wir es manchmal gut meinen, schaden wir anderen Menschen. Und auch jetzt, wo wir den Ukrainekrieg erleben, merken wir erneut in was für einer Geschichte der Sünde und Schuldverfangenheit wir drin stecken und wie wir uns eigentlich nur schuldig machen können egal ob mit Waffe oder ohne Waffe. Wir sind und bleiben alle auf die Gnade, die Vergebung, den Zuspruch Gottes angewiesen, sind darauf angewiesen, dass er uns voll und ganz so annimmt, wie wir sind. Und das ist der gute Kern der sogenannten Erbsündenlehre. Babys wird Sünde nicht durch das Blut der Eltern vererbt. Wir erben Sünde auch nicht wie ein Gift, was in uns wäre, aber durch die Geschichte, durch unsere Geschichte als Menschen. Denn wir sind schon immer in einer Geschichte von Schuld und Vergebung, Sünde und neuem Aufleben und Hoffnung verfangen, sind mit der Geburt Teil dieser Geschichte, die wir selbst mitgestalten werden. Dieses Bewusstsein haben die Menschen der Bibel versucht festzuhalten, indem sie ganz an den Anfang der Bibel die Geschichte gestellt haben, wie Kain den Abel erschlagen hatte. Sie haben damit aber auch gleichzeitig Gottes Zuspruch und Gnade festgehalten, der dem Totschläger Kain ein Schutzzeichen gegeben hat, das ihn bewahren sollte vor Rache Anderer und ein Zeichen für Vergebung und Neuaufbruch war.

Im Kolosserbrief hören wir ganz Ähnliches: „Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn aufgehoben und an das Kreuz geheftet.“ Auch hier ist es eine Bildsprache, die insbesondere die ersten Christen gut verstehen konnten. Viele von ihnen waren kleine Landarbeiter, die Schulden auf sich nehmen mussten, wenn das Land seinen Ertrag nicht erbrachte. Sie gerieten in immer größere Abhängigkeiten und kamen aus der Schuldenfalle nicht raus, wie das ja auch heute noch für viele Kleinbauern in der sogenannten Dritten Welt so ist und auch für viele Staaten. Der Schreiber verwendet das Bild aus der Alltagswelt, um deutlich zu machen, wie anders sich Gott gegenüber uns verhält – im Unterschied zu den Mächtigen und Herrschern der Welt, die einen bis zum geht nicht mehr bei den Schulden gnadenlos behaften. Gott sucht immer einen Neuanfang mit uns und will uns als befreite Menschen. Alle das Schwere hat Christus auf sich genommen, damit wir davon befreit würden und eine neue hoffnungsvolle Perspektive auf das Leben haben. Manches in unserem Leben ist so schlecht, dass wir es nur ans Kreuz hängen können, zu Gott bringen können, um darin nicht unterzugehen.

Und genau das soll uns erleichtern, zu einer tiefen Freude führen, dass wir wissen: Da ist einer, der uns erlöst und befreit und aufatmen lässt. Einer, der trotz und in allem zu uns hält.

Und schließlich folgt im Kolosserbrief, der Satz, der vielleicht noch am stärksten und tröstlichsten ist, zumindest für die ersten Christen, die erlebt hatten wie vielen von ihnen ein ähnliches Schicksal drohte wie Jesus Christus selbst, nämlich Verfolgung, Gefängnis und mitunter Folter und Tod, wie das auch heute in diktatorischen Regimen Gang und Gebe ist, die keine Rechte Anderer achten.  Es heißt im Kolosserbrief: „Gott hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und über sie triumphiert in Christus.“

In der Tat, mit der Auferstehung Christi haben die Mächtigen und ihre Gewalt das letzte Wort verloren. Ostern, die Auferstehung Christi hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ja, die Bewegung der Christen, die entstand, ihr österlicher Aufbruch hat ihnen das letzte Wort genommen. Die, die gerne Schauprozesse durchführten, wie den der Kreuzigung oder mit den Leben von Menschen spielten in Schauspielen des Amphietheaters, die wurden nun selbst von Gott vorgeführt und blos gestellt durch den Siegeszug des Christentums. Irgendwann steht Gott auf gegen alle Gewalt und bringt den Frieden, den die Kleinkönige der Welt nicht geben wollen. Sie werden der Macht entkleidet und entwaffnet. Das war die Osterfreude der ersten Christen, aus der wir auch heute noch Hoffnung schöpfen dürfen, dass Gott auch heute die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und öffentlich zur Schau stellt und über sie triumphieren wird in Christus. Ihre Zeit ist jetzt schon abgelaufen, auch wenn sie glauben, sie könnten ewig so weitermachen wie bisher. Amen