Predigt
Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. AMEN
Liebe Festgemeinde!
Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt.
Dieser Text stammt von Friedrich Rosenthal, der 1913 in Deutschland geboren wurde. Er wurde von den Nazis mehrfach verhaftet und floh 1935 nach Israel, wo er sich dann Shalom Ben-Chorin nannte. Dieser Name bedeutet „Frieden, Sohn der Freiheit“.
Obwohl es ihm gelang, noch rechtzeitig vor den Nazis zu flüchten, musste er in Palästina hilflos mitansehen, wie seine Brüder und Schwester in Europa gnadenlos gequält u. getötet wurden. Und dennoch war er in der Lage, ein absolutes Mutmachlied zu texten, das uns daran erinnert, dass wir auf Gottes Nähe bauen dürfen. So wie Gott den Mandelzweig immer wieder aufblühen lässt, so kommt auch immer wieder Leben mit neuen Blüten.
Den Mandelbaum gab es wirklich: Er stand hinter dem Haus des Dichters. Er konnte ihn aus seinem Arbeitszimmer sehen.
Aber auch ein Bibelwort aus dem Alten Testament ist bei diesem Liedtext mitbedacht. Er lautet: Ich sehe einen erwachenden Zweig.
Das sagt Jeremia, und wie kommt er dazu?
Gott beruft Jeremia zum Propheten, Jeremia will das nicht. Ich bin zu jung, ich kann nicht vor anderen reden, so lauten seine Einwände. Aber Gott geht nicht darauf ein, er ist überzeugt: Du schaffst das.
Und was soll Jeremia tun? Gottes Antwort lautet: ausreißen und einreißen, vernichten und zerstören, bauen und pflanzen.
So eine große und unversöhnliche Aufgabe – Jeremia aber sieht dahinter. Auf Gottes Frage: Was siehst Du? antwortet er: „Ich sehe einen erwachenden Zweig“.
Manchmal, liebe Festgemeinde, brauchen wir den Blick auf einen erwachenden Zweig.
Und zwar gerade dann, wenn die Gottesdienstbesucherzahlen sinken, die ältere Generation den Angeboten fernbleibt, der Arbeitsaufwand für immer weniger Mitarbeitende steigt und sich Barrieren einfach nicht mehr übersehen lassen.
Da eine Standortaufgabe nicht in Betracht gezogen wurde, hat sich das Presbyterium unserer Kirchengemeinde den Herausforderungen gestellt, Eigentum zu veräußern, Erbschaftsmittel zweckgemäß einzusetzen und Stiftungsmittel zu beantragen und einzuwerben.
Alles das, um zu versuchen, an diese Kirche einen Anbau zu schaffen, der es Menschen der älteren Generation und Menschen mit besonderen Bedürfnissen und Handicaps möglich macht, hier in Ostheim barrierefrei zusammenzukommen.
In einem langen Prüf- und Genehmigungsverfahren, in dem die Mitglieder beider Bezirke im Presbyterium Ge- und Entschlossenheit zeigten, wurde der Anbau als „Seniorenbegegnungsstätte“ bewilligt und das Bauprojekt dem Presbyterium übergeben, welches aus seinen Reihen kreativ und eigeninitiativ wurde und einen ehrenamtlichen Bauleiter im Namen der Gemeinde einsetzte, der seinen reichen Erfahrungsschatz und jede Menge Zeit und Energie mitbrachte.
Um so mehr dieser Bau in der Coronazeit wuchs, wuchs dann auch die Sorge, ob sich die Zielgruppe überhaupt hier wieder würde versammeln können.
In allem sind wir heute ein ganzes gutes Stück weiter.
Sie sind hier und sehen: Es ist etwas gebaut worden. Und gerade die Generation 70+ / 65+ soll erfahren: Das ist ein Ort für mich.
Der erwachende Zweig hier in Ostheim kann sein, Menschen mit ihren ganz besonderen Bedürfnissen, die die soziale Situation und das Alter mit sich bringen, hier einen Ort zu geben, zum Austausch, geselligen oder informativem Beisammensein, zur Beratung, aber auch zu Vernetzung und Selbstorganisation.
Noch blüht es hier nicht – Sie werden heute Zeuginnen und Zeugen, dass ein Zweig bzw. ein Baum in die Erde gepflanzt wird, der erst noch zum Blühen gebracht werden muss.
Auch das ist noch eine große Aufgabe. Die wir gemeinsam angehen wollen, in unserer Gemeinde, in unsere Stadtteil, in unseren Netzwerken, mit Unterstützern. Es braucht uns alle in großer Offenheit, Toleranz und Solidarität. Gemeinsam nutzen heißt auch – gemeinsam tragen.
So, wie ich diese Gemeinde und Ostheim bis jetzt erlebt habe, bin ich zuversichtlich, dass der Zweig Blüten tragen wird.
Noah hat schließlich auch nicht aufgegeben, sondern so lange hoffnungsvoll eine Taube entsandt, bis sie mit einem Zweig zurückkam auf die Arche und schließlich ganz fernblieb, weil sie ein neues Zuhause gefunden hatte.
Ein neues Zuhause, das wollen wir auch gerade Ihnen schenken, wenn Sie noch so gut wie gar nicht den Fuß über die Schwelle einer Kirche gesetzt haben oder im Traum noch nicht daran denken, an einer Seniorenarbeit, die an einer Kirche stattfindet, teilzunehmen. Da kann ich nur nochmal sagen: Machen Sie die Arbeit hier auch zu ihrer Arbeit, und die Angebote zu Ihren Angeboten!
Diese Kirche ist ein toller Gottesdienstraum aber auch mehr als das, durch das Zuziehen einer Trennwand vor dem Altarraum kann sie schnell profanisiert werden, und dann ist zu erkennen, was einmal vor über 60 Jahren hier geplant wurde: Ostheims größter Versammlungsraum, auch für Unterricht und Lehre, Speis und Trank, auch für Tanz und Bewegung, für Musik und Kultur. Scheuen Sie sich also nicht, für ein Angebot auch diesen großen Raum anzufragen, wenn der Platz im Anbau des Paula-Dürre-Hauses zu klein ist. Da wir nun echt barrierefrei sind und mit den entsprechenden Sozialräumen und Ein und Ausgängen auch in Zeiten der Pandemie genutzt werden können, gehört auch dieser Raum zur Begegnungsstätte wie die Räume der Begegnungsstätte auch zu dieser Kirche gehören.
Es blüht noch nicht. Auch wenn der Erntedanktag mit seinem schönen und bunten Raumschmuck das pralle Leben und eine reiche Ernte suggeriert. Wir brauchen noch eine Wachstumsphase und gute Pflege.
Jede/r ist angesprochen, sich Gedanken zu machen und aktiv zu werden, wirklich jede/r.
Darüber, wie ein Projekt gelingen kann, haben sich auch schon biblische Schriftsteller Gedanken gemacht. In den Briefen des Paulus an seine Gemeinden wird dies überaus oft deutlich.
So auch im Predigttext des heutigen Erntedanktages aus 2. Kor. 9,1-15.
Es geht um Dinge, die dem Gelingen eines Projektes entgegenstehen. Um Missstände in der Gemeinde, die scheinbar ohne Paulus nicht beseitigt werden können. Es geht um ein Miteinander, das nicht funktioniert und nicht solidarisch ist.
Welches Thema könnte gemeint sein? Richtig, es geht ums Geld!
2 Kor. 9, 6-12
6 Ich meine aber dies: Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen. 7 Ein jeder, wie er’s sich im Herzen vorgenommen hat, nicht mit Unwillen oder aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. 8 Gott aber kann machen, dass alle Gnade unter euch reichlich sei, damit ihr in allen Dingen allezeit volle Genüge habt und noch reich seid zu jedem guten Werk; 9 wie geschrieben steht (Psalm 112,9): »Er hat ausgestreut und den Armen gegeben; seine Gerechtigkeit bleibt in Ewigkeit.« 10 Der aber Samen gibt dem Sämann und Brot zur Speise, der wird auch euch Samen geben und ihn mehren und wachsen lassen die Früchte eurer Gerechtigkeit. 11 So werdet ihr reich sein in allen Dingen, zu geben in aller Lauterkeit, die durch uns wirkt Danksagung an Gott. 12 Denn der Dienst dieser Sammlung füllt nicht allein aus, woran es den Heiligen mangelt, sondern wirkt auch überschwänglich darin, dass viele Gott danken. 13 Um dieses treuen Dienstes willen preisen sie Gott für euren Gehorsam im Bekenntnis zum Evangelium Christi und für die Lauterkeit eurer Gemeinschaft mit ihnen und allen. 14 Und in ihrem Gebet für euch sehnen sie sich nach euch wegen der überschwänglichen Gnade Gottes bei euch. 15 Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe!
Eines ist klar – dieser Brieftext ist ein Spendenaufruf. Paulus betreibt Spendenmarketing.
Die Kollekte, Geldsammlung, gehört von Anfang an zur christlichen Gemeinschaft. Paulus wirbt für eine Sammlung, die an die Gemeinde in Jerusalem geschickt werden soll.
Paulus kündigt seine Kollekte klar und deutlich an. Er scheut sich nicht davor, in den vorangegangenen Briefkapiteln einen Vergleich zwischen der Großzügigkeit der Gemeinden zu machen, um damit den Wettbewerb im Kollektengeben am Laufen zu halten. Hätte es damals schon Überweisungsträger gegeben, bin ich mir sicher, dass Paulus ihn schon ausgefüllt mitgeschickt hätte.
Das wirkt vielleicht irritierend für heutige Ohren. Aber Paulus versucht einer jungen, christlichen Gemeinde, die auch viel mit sich und ihren Problemen beschäftigt ist, den Blick in die Weite zu öffnen. Er möchte, dass Menschen verstehen, dass sie ein Teil vom großen Ganzen sind. Und dass sich das große Ganze aus der Gnade Gottes speist.
Dieses Bewusstsein gilt nicht nur für die Korinther, sondern auch für alle nachfolgenden Gemeinden. Der Brief mit seinem Anliegen gilt auch uns, den heutigen Gemeinden.
Denn auch Menschen in den heutigen Gemeinden neigen dazu, sich auf das Eigene zu konzentrieren.
Dafür malt Paulus Wortbilder, die die Menschen verstehen – damals und heute. Er spricht vom Säen und Ernten. Er schreibt davon, mit welcher Haltung wir die Saat ausbringen und die Ernte einfahren. Jeder Landwirt wird dem zustimmen: Wer kärglich sät oder schlechte Saat verwendet, wird die Rechnung spätestens mit der Ernte bekommen. Paulus schreibt davon, dass sich bei aller Sorgfalt der Segen Gottes darauf legen muss. So wird schon in den ersten Sätzen deutlich: es geht Paulus nicht um volle Scheunen und Speisekammern, sondern um die gefüllten Regale in der Herzenskammer.
Die eigentliche Ernte liegt auf einem anderen Acker. Es geht Paulus um Glaubensfrüchte, um die reiche Ernte im Glauben, die in der Herzenskammer liegt. Diese reiche Ernte im Glauben kann kein anderes Wollen hervorbringen als das Teilen.
Liebe Gemeinde, am heutigen Erntedanktag spiegeln Obst und Gemüse hier vorne die Fülle wieder, in der unser Land lebt. Sie sind Symbol für all das, was gesät und geerntet wurde – weil Gott es wachsen lässt. Wir geben diese Fülle weiter – ich habe gehört, dass nächste Woche in unserer neuen Küche schon gemeinsam gekocht und gegessen werden soll.
Wir geben auch weiter, was in der Kollekte, der Sammlung am Ausgang gespendet wird.
Das ist um so wichtiger, weil die Coronazeit mit dem Wegfall der Gottesdienste und der regelmäßigen Kollekten schon gezeigt hat, dass selbst große Projekte wie „Brot für die Welt“, aber auch kleine Projekte wie diakonische Hilfen, Arbeit mit Demenzkranken, Telefonseelsorge, Obdachlosenarbeit, Partnergemeinde in Kalungu, Fraueninitiativen usw. viel weniger Geld zur Verfügung hatten und weitergeben konnten. Die Kollekten zeigen, dass unsere Kirche nicht nur das Gesicht der Gemeinden hat, sondern auch, wo wir sonst noch sichtbar und wirksam sind.
Gemeinsam schaffen wir es, jeder und jede mit dem, was er oder sie geben kann, sich engagieren kann, an Ideen oder Geld einfließen lässt, dass Zweige aufblühen, selbst gegen den Trend.
In diesem Zusammenhang sei auch ausdrücklich dafür gedankt, dass z.B. unser Projekt von der barrierefreien Begegnungsstätte auch über die ganzen Jahre von Spenden mitgetragen wurde.
Liebe Gemeinde,
Der Liedermacher Fritz Baltruweit hat die Worte Shalom Ben-Chorins vertont. Er selbst traf den jüdischen Dichter einmal in Jerusalem und spielte ihm das Lied vom Mandelbaum vor. Er berichtet später: „Wir haben einen wunderschönen Abend zusammen gehabt – und Schalom Ben Chorin erzählte dann, dass dieser Baum irgendwann umgehauen wurde und Platten in den Hof gelegt wurden. Doch eines Tages haben sich die Wurzeln des Baumes wieder den Weg durch die Platten gebahnt. Er sagt dazu: ‚Die Hoffnung ist nicht totzukriegen’.
Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt, bleibe uns ein Fingerzeig, wie das Leben siegt.
AMEN
Und der Friede Gottes, der größer ist als alles was wir denken und begreifen, der bewahre unsere Herzen und alle unsere Sinnen in Christus. AMEN