Du sollst nicht stehlen.
2.Mose 20,15
Niemand suche das Seine, sondern was dem andern dient.
1.Korinther 10,24
„Du sollst nicht stehlen“ ist eins der zehn Gebote, wenn auch nicht ganz korrekt übersetzt. Das hebräische Wort steht da nicht in der Befehlsform, sondern im Futur. Angemessen müsste es also heißen: „Du wirst nicht stehlen“. Und genauso verstehen sich die Zehn Gebote – als Antwort auf die von Gott geschenkte Freiheit. Wenn Du Gott, der Dir das Leben und die Freiheit geschenkt hat (Israel wird hier zuvor an seine Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten erinnert) von Herzen liebst, dann wirst Du dich so verhalten, dass du das Leben und die Freiheit Anderer achtest. Dann wirst Du nicht stehlen. Das muss man nicht befehlen. Das ist selbstverständliche Konsequenz.
Dennoch gibt es Diebstahl in der Welt in seinen unterschiedlichsten Ausformungen bis hin zum Plagiat bei Doktorarbeiten und der schamlosen Ausbeutung und rücksichtslosen Landberaubung von Kleinbauern in Südamerika beispielsweise.
„Eigentum ist Diebstahl“ – die Formulierung stammt nicht etwa von Karl Marx oder Lenin, wie viele meinen würden, sondern von dem französischen Ökonom und Soziologen Pierre-Joseph Proudhon, der das vor etwa 150 Jahren von sich gab, als er sich kritisch mit Monopolen auseinandersetzte. Mag das auch eine überspitzte und nicht wirklich zutreffende Formulierung sein, so wollte und will sie doch auf ein Problem hinweisen, nämlich, dass eine rücksichtslose und ungehemmte Anhäufung von Eigentum oder Besitz und eine einseitige Machtkonzentration für Ungerechtigkeit, Ungleichgewicht und Unfrieden in der Gesellschaft sorgt. Und mag der Satz „Eigentum ist Diebstahl“ faktisch falsch sein, so ist der Satz. „Eigentum verpflichtet“ dafür umso richtiger. Er ist so auch in unserem Grundgesetz festgehalten. diese Sozialverpflichtung leitet sich letztlich von den zehn Geboten her. Denn der Kerngedanke der 10 Gebote ist es, das menschliche Miteinander so zu regeln, dass es keine Ungerechtigkeit und keinen Unfrieden gibt und zugleich deutlich zu machen, dass wir nicht für uns selbst existieren, sondern in einem Miteinander.
Diese Sozialverpflichtung des Eigentums muss sowohl in unserem Land als auch im Blick auf die Monopolisierung und ungerechten Verhältnisse von arm und reich in unserer globalisierten Welt heute eingefordert werden, will man die zehn Gebote und das Grundgesetz ernst nehmen. Überlassen wir das dem Spiel der freien Kräfte, zieht das weiteren Unfrieden in der Welt nach sich. In dem Vers des 1. Korintherbriefes ist das positiv ausgedrückt, was in den zehn Geboten negativ formuliert ist: „Niemand suche das Seine, sondern was dem andern dient“. Freilich meint das nicht, dass man sich selbst aus dem Blick verlieren solle – das wäre ja ebenso verantwortungslos. Aber es meint, dass eine achtsame Lebensweise auch immer den Anderen und seine Bedürfnisse und Not im Blick haben muss. Wer heute meint, das man die zehn Gebote nicht kennen muss oder auch ohne sie gut durch das Leben kommt, der erliegt einer Illusion, die sich bumerangartig auswirken wird. Wer Gott und das Leben der Anderen nicht achtet, wird den Zorn Gottes und den Zorn der Menschen ernten. Entsprechend heißt es in einer der Suren im Koran: „Wer ein Menschenleben tötet, tötet die ganze Schöpfung. Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Schöpfung.“ Freilich haben islamische Terroristen und Fundamentalisten ihren Koran nicht vollständig gelesen. Sonst gäbe es sie nicht. Die Worte dieser Sure nehmen den Grundgedanken der zehn Gebote und auch des Gedankens aus dem Korintherbrief auf und machen deutlich, dass unser Leben zum Gelingen des gemeinsamen Lebens entscheidend beitragen kann – „Wer ein Menschenleben bestiehlt, der stiehlt der ganzen Schöpfung. Wer einem Menschenleben gibt, der gibt der ganzen Schöpfung“. Dieser Dominoeffekt ist in einer so stark miteinander verflochtenen Welt, wie sie es heute ist, negativ wie positiv umso weitreichender. (Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel)