Der HERR hat Gefallen an denen, die ihn fürchten, die auf seine Güte hoffen.
Psalm 147,11
Jesus spricht: Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.
Markus 3,35
Viele Aussagen in der Bibel sind uns verstellt, weil sich in ihren Übersetzungen Verstehensweisen dokumentieren, die mehr über die Lebenseinstellungen und zeitbedingten gesellschaftlichen Normen ihrer Übersetzer und Überlieferer verraten als über das, was mal die ursprüngliche Aussageabsicht war. Solche Übersetzungen ärgern mich und ich finde sie hier im Psalmwort wieder. Da ist die Rede von Furcht vor Gott. Furcht vor Gott und Furcht vor der Obrigkeit – dieses Verständnis prägte über Jahrhunderte Erziehung und Gesellschaft. Und die Angst war dabei das Vehikel, Menschen gefügig zu machen. Gegen diese Gefügigkeit haben aber schon die zahlreichen Engelgestalten, die in der Bibel begegnen, immer wieder „Fürchte dich nicht! gesagt. Ihnen – und damit Gott selbst -, scheint daran zu liegen, dass wir angstfrei leben. Was ist dann aber mit der Verszeile im Psalm gemeint? Mit dieser Art der Furcht ist Ehrfurcht gemeint, nicht mehr und nicht weniger – Respekt, wie man heute sagen würde. Respekt macht mich nicht gefügig wie Angst, sondern zeigt mir eine Grenze auf und orientiert mich zu Achtsamkeit. Und hier gilt es im positiven Sinne, nicht „frömmelnd“ zu sein, wohl aber fromm. Denn „fromm“ leitet sich ab vom althochdeutsch-gotischen <frum>. Und das bedeutet Ehrfurcht vor Gott und allem Lebenden an den Tag zu legen. Respekt vor Gott und allem Lebenden, das wünsche ich mir als Haltung aller Menschen in der Welt. Da hätten wir mehr Frieden und Gerechtigkeit und weniger Umweltzerstörung. Das ist in der Tat eine Haltung, die Gott gefällt und an der wir gemessen werden: die Einheit von innerer respektvoller Gottverbundenheit und Achtung vor dem Leben Anderer. Und wo sich das vollzieht, werden wir zu einer Familie, die wir eigentlich schon immer waren. Deshalb kann auch Jesus das so deutlich sagen: „Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“ Diese respektvolle und achtsame Haltung definiert letzten Endes unsere Beziehungen neu. (Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel)