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Glocken der Versöhnungskirche in Rath-Heumar copyright: Gerhard Wenzel

Predigt zum 3. Advent

(gehalten von Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel in der Versöhnungskirche in Rath-Heumar im Singgottesdienst am 3. Advent)

Predigt Teil 1: Glockengeschichten

 „Kling Glöckchen Klingelingeling“ sangen wir eben und dazu habe ich zwei unterschiedliche Geschichten von Glocken mitgebracht.

Die erste Geschichte ist ein Märchen aus Rußland und lautet „die Weihnachtsglocke“:

Vor vielen vielen Jahren war einst in Russland ein Bauer vor der Weihnachtszeit sehr traurig und verzweifelt. Er hätte so gern seinen Kindern, seiner Frau und all den Freunden und Nachbarn am Heiligen Abend etwas Gutes getan. Aber was sollte es in dieser harten Zeit schon Gutes geben, in der der Rubel kaum für das tägliche Brot der eigenen Familie reichte? Er überlegte, aber es fiel ihm beim besten Willen nichts ein.

Während er so vor sich hin sinnend auf dem Feld die letzten Arbeiten verrichtete, stieß er im frostigen Boden auf einen eisernen Ring. Er wunderte sich, holte ein Seil, zog es durch den Ring, spannte seinen Ochsen davor und staunte nicht schlecht: Der Ochse zog eine riesengroße Glocke aus dem Boden. So einfach, als ob es nur eine Rübe war.

„Es muss ein Wunder sein“, meinten die Leute aus dem Dorf, denn niemand konnte sich erklären, wie die Glocke in den Acker gekommen war. Und dann packten alle mit an, die Großen und die Kleinen, die Alten und die Jungen, um in Windeseile einen Turm aus Holz für die große Glocke zu bauen.

Am Heiligen Abend war es dann so weit: zum ersten Mal erklang ihr Geläut nun weithin über die tiefverschneite Ebene und mit allen Menschen, die es hörten, geschah etwas ganz Wunderbares: Die Traurigen wurden froh, die Kranken vergaßen ihre Schmerzen, die Einsamen bekamen Besuch, die Zornigen wurden milde und die Hungrigen fanden plötzlich etwas zu essen.

Von da an läutete die Glocke an jedem Feiertag und immer haben traurige und verzweifelte Menschen bei ihrem Klang neue Hoffnung und neuen Mut geschöpft, haben sich Zerstrittene wieder versöhnt und Wohlhabende ihre Gaben an die Armen verschenkt.

Schon seit dem ersten Glockenschlag war Friede und Freude im Dorf eingekehrt.

Auch der Zar in Petersburg hörte von diesem Glockenwunder. „Die Glocke will ich haben“, entschied er und machte sich mit seinen Reitern auf den Weg zu dem Dorf, um sie zu holen. Alles Bitten der Bauern half nichts: „Ich will es so, ich bin der Zar! Die Glocke ist für Euch Bauern viel zu schade!“ Dann befahl er, sie mit einem Seil vom Turm herunter zu lassen. Als sie aber aufgeladen war, rührte sich der Wagen nicht mehr von der Stelle.

Alle Ochsen und Rösser ließ der Zar anspannen, alle Bauern und Soldaten, alle Frauen und Kinder ließ er ziehen, ja er fasste sogar selbst mit an. Jedoch es half nichts. Blind vor Zorn forderte er seine Soldaten auf, die Glocke mit großen Hämmern in viele tausend Stücke zu zerschlagen. Dann zog er fort und ließ die traurigen Dorfbewohner und einen großen Scherbenhaufen zurück.

Als wieder Weihnachten wurde, ging der Bauer in Erinnerung an das Wunder vom Vorjahr und voll trauriger Gedanken zum Glockenscherbenhaufen. Da sah er ein Glitzern unter dem Schnee. Statt der Scherben fand er viele tausend kleine glänzende Glöckchen.

Die Nachbarn halfen ihm dabei, sie aufzulesen und an alle zu verteilen.

Auch für Dich ist eine dabei, häng sie dort auf, wo Du sie am nötigsten hast: Über dem Bett, am Arbeitsplatz, im Auto oder an Deinem Herzen….und immer wenn Du es brauchst, läute daran!

 So weit das Märchen aus Rußland. Diese Glocke kennen wir. Bei Manchen hängt sie im Kleinformat am Weihnachtsbaum. Andere lassen sie Heiligabend als Signal erklingen: Jetzt gibt’s die Bescherung – die Geschenke. So war das auch bei uns früher zuhause. Als alles bereit war, hat mein Vater das Glöckchen geläutet und voller Freude und Spannung gingen wir in das Wohnzimmer.

Wir hören diese Glocke aber auch jeden Tag, morgens, mittags, abends. Manche haben sich allerdings so sehr daran gewöhnt, dass sie sie gar nicht mehr hören. Und Sonntags ist sie zu hören und läutet den Gottesdienst ein. Im Alltag und Sonntag ruft diese Glocke zum Gebet, zu einem Moment der Besinnung und Erinnerung: Hey, „Du gehst nicht allein durch diese Welt. Gott ist bei Dir! Hör mal auf den Klang von Gottes Botschaft! Glaube, Hoffnung, Liebe – das kommt von Gott. Das ist seine Botschaft. Damit unterbricht der den Lauf der Welt. Jeden Tag neu. Richtig, davon kannst Du dir nichts kaufen, aber davon kannst Du leben, wie diese Menschen von dem Dorf in Rußland.“

Es gibt ja tatsächlich Menschen, die führen Prozesse gegen Kirchengemeinden bis zum Bundesverfassungsgericht, weil sie das Glockenläuten als Ruhestörung empfinden. Aber das sind Menschen, die wahrscheinlich auch Kinder verprügeln würden, wenn die mal gerade toben und lachen.

Im Übrigen sollen Glocken tatsächlich Ruhestörung sein. Sie sollen uns aus der satten, selbstgefälligen Ruhe und Zufriedenheit herausholen, dass diese Welt in Ordnung ist, wenn es nur mir gut geht.

Nein, die Welt ist erst in Ordnung, wenn es nicht nur dem Zar und nicht nur den einen gut geht, sondern allen Menschenkindern Gottes, für die Gott in ihre Welt getreten ist. Die Glocke trennt nicht zwischen schwarz und weiß, auch nicht zwischen evangelisch und katholisch und auch nicht zwischen Geimpften und Nicht Geimpften. Ihre Botschaft der Zuwendung Gottes in dieser Welt, die nach unserer liebevollen  Zuwendung fragt, gilt allen Menschen unterschiedslos. Die Glocke, die da am Heiligabend ertönt und zu den Geschenken einlädt, ist dieselbe Glocke, die an das große Geschenk Gottes erinnert, an seine Gnade, seine liebevolle Hingabe an uns Menschen.

Wenn man in dem entchristlichten und mittlerweile mehr oder minder kirchenfeindlichen Deutschland mehr auf den Klang dieser Glocken hören würde und sie mehr wertschätzen würde wie auch die Arbeit der Gemeinden, deren Menschen mit ihrer ganzen Seele an diesen Glocken hängen wie die armen Dorfbewohner des russischen Dorfes an der großen Glocke, dann würden sie sich auch nicht so sehr über Muhezin-Rufe aufregen müssen und könnten das Ganze viel gelassener nehmen.

Ich habe Euch aber noch eine zweite Glockengeschichte versprochen:

Das Glöckchen

In einem Städtchen am Meer lebte einst bei seinem Tempel ein alter Mönch. Er liebte es, auf der Veranda zu sitzen und aufs Meer hinaus zu schauen. Um sich aber nicht so allein zu fühlen, hatte er am Dach über der Veranda ein silbernes Glöckchen angebracht. Es hing an einem breiten Streifen Papier, auf dem ein wunderschönes Gedicht geschrieben stand. Sobald der Wind nur ein kleines bisschen wehte – und am Meer weht er ständig – bewegte sich das Papier, und das silberne Glöckchen läutete gar lieblich. Der alte Mönch saß auf der Veranda, schaute auf das Meer, lauschte dem Läuten des silbernen Glöckchens und lächelte zufrieden.

In dem gleichen Städtchen lebte auch der Apotheker Mohej. Schon lange Zeit hatte er nichts als Pech, alles misslang ihm, und er war so traurig, dass er sich nicht mehr zu helfen wusste. In seiner Not machte er sich eines Tages auf den Weg zu dem Mönch, um seinen Rat zu erfragen. Als er aber den Alten so zufrieden auf seiner Veranda sitzen sah und das beruhigende Läuten des silbernen Glöckchens hörte, wusste er mit einem Schlag, dass das Glöckchen auch ihn froher machen würde, wenn er so dasitzen und ihm zuhören könnte. Er überlegte nicht lange und bat den Mönch, ihm das Glöckchen wenigstens für einen einzigen Tag zu überlassen.

»Warum sollte ich es dir nicht leihen«, sagte der Mönch freundlich. »Aber vergiss nicht, es gleich morgen früh wieder zu bringen, denn ohne das Glöckchen wäre ich sehr traurig.«

Mohej dankte ehrerbietig und versprach, am nächsten Tag wieder zu kommen. Dann ging er nach Hause und hängte das Glöckchen über der Veranda auf. Es begann zu läuten, und Mohej wurde es so leicht ums Herz, und die Welt erschien ihm auf einmal so schön, dass er zu tanzen begann.

Am nächsten Tag war der Mönch schon vom Morgen an übel gelaunt. Immer wieder ging er vor den Tempel und schaute nach dem Apotheker aus. Aber Mohej kam und kam nicht. So verging eine Stunde, eine zweite, und als der Apotheker zu Mittag noch immer nicht mit dem Glöckchen erschienen war, rief der Mönch seinen kleinen Schüler Taro und befahl ihm: »Lauf in die Stadt zu dem Apotheker Mohej. Er hat sich gestern mein silbernes Glöckchen geliehen und sollte es heute früh zurück bringen. Erinnere ihn daran und sage ihm, dass ich schon ungeduldig warte.«

Taro lief zu dem Apotheker, aber kaum war er in dessen Garten getreten, blieb er stehen. Er hörte das fröhliche Läuten des Glöckchens und sah den Apotheker, der mit fliegenden Ärmeln und Beinen im Garten herumtanzte. Taro wusste nicht gleich, wie er ihn ansprechen sollte. Da wurde ihm auf einmal so fröhlich ums Herz, dass auch er zu tanzen begann. Eine Stunde verging, eine zweite – der Apotheker war immer noch nicht beim Mönch erschienen, und Taro kam auch nicht zurück.

Der alte Mönch schüttelte den Kopf, und weil er immer trauriger wurde, rief er seinen zweiten Schüler, Dschiro, und befahl ihm: »Lauf zu dem Apotheker Mohej und sage ihm, er möge mir mein silbernes Glöckchen zurück geben. Und solltest du unterwegs Taro begegnen, so richte ihm aus, er solle sich schämen, seinem Lehrer so schlecht zu gehorchen.«

Dschiro lief, so schnell er nur konnte. Als er zum Haus des Apothekers kam, hörte er fröhliches Geläut und sah zu seiner Verwunderung den Apotheker und Taro im Garten tanzen. Und ehe er sich noch entscheiden konnte, ob er zuerst Taro für sein Versäumnis rügen oder den Apotheker an die Rückgabe des Glöckchens mahnen sollte, drehte auch er sich im Kreise, begann zu tanzen und vergaß die Welt.

Wieder war eine Stunde vergangen und bald auch die zweite. Die Sonne neigte sich schon dem Horizont zu. Aber weder der Apotheker noch einer der beiden Schüler ließ sich blicken. Der alte Mönch konnte sich das nicht erklären. Er wurde so traurig wie nie zuvor. Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er zog seine Sandalen an und machte sich selbst auf den Weg zum Hause des Apothekers. Noch ehe er in den Garten trat, hörte er das zarte Läuten seines geliebten Glöckchens und fröhliches Lachen. Und bald darauf sah er, wie sich der Apotheker und seine beiden Schüler an den Händen hielten. Sie tanzten nach links und dann wieder nach rechts, und ein seliges Lächeln lag auf ihren Gesichtern.

Der Mönch schüttelte den Kopf und wusste nicht recht, wie er sich das erklären sollte. Aber er wunderte sich nicht lange. Auf einmal war alle Traurigkeit verflogen, die Füße begannen von allein zu hüpfen, der Mönch lächelte dem Apotheker zu, reichte die eine Hand Taro und die andere Dschiro, und dann tanzten sie alle vier.

Wie das weiter ging? Ja, wenn wir das wissen wollen, müssten wir jemanden in den Garten des Apothekers schicken. Nur weiß ich nicht, ob er auch zurück käme. Denn wenn er den lieblichen Klang des Glöckchens hört und die vier tanzen sieht, wird er alles vergessen und mittanzen. Und so müssten wir einen zweiten schicken und dann einen dritten, vierten….. Schließlich bliebe uns nichts anderes übrig, als selbst hinzugehen, und auch wir würden zu tanzen beginnen. Na, und das geht natürlich nicht, dass alle Menschen nur tanzen und tanzen. Also schicken wir niemanden hin und gehen lieber schlafen, oder doch nicht? Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Blaskapelle “Blos mer jet” spielt: Heal the world (Michael Jackson)

Predigt Teil 2

Das Stück von Michael Jackson, das wir eben hörten, lautet „heal the world“ zu deutsch „Heilt die Welt!“ Die Poppbalade war pünktlich zum Advent im Jahr 1992 erschienen. Michael Jackson beschreibt in dem Text des Liedes die heillose Welt, in der wir leben. Und der immer wiederkehrende Appell im Refrain lautet: Heile die Welt

Mach daraus einen besseren Ort – Für dich und für mich, und die ganze menschliche Rasse.

Immer wieder bedient er sich in dem Lied biblischer Zitate wie etwa „Macht Schwerter zu Pflugscharen“ und christlicher Botschaften von Frieden und Gerechtigkeit.  Er lässt es an klaren Worten in dem Song nicht vermissen:

„Es sterben Menschen. Wenn du etwas für das Leben übrig hast. Dann mach einen besseren Ort. Für dich und mich daraus“

Und in Anspielung auf die ungebremste Zerstörung und Ausbeutung der Erde und ihrer Menschen, hören wir in seinem Text die deutlichen Worte:

„Wir verwunden diese Erde, kreuzigen ihre Seele
Obwohl es doch klar zu sehen ist, dass diese Welt durch Gott gegeben himmlische ist“

Mit anderen Worten Michael Jackson sagt denen, die so gerne darüber klagen, dass Gott in dieser Welt nicht zu sehen sei: „Wir sind das selbst in Schuld. Kümmert Euch doch mal darum, dass er sichtbar wird! Kümmert Euch, darum, dass sie geheilt wird! Rettet das Leben der Menschen! Macht Euch auf in den Fußstapfen Jesu!“

„Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt.“ So hörten wir es vorhin in der Lesung. So hat es mit Jesus angefangen. Und so muss es mit Jesus weitergehen.

Es geht um die Heilung der Welt und das betrifft nicht nur Corona. Als in Afrika die Coronazahlen anstiegen, da hatte man in Europa und andernorts die Impfstoffe noch für sich selbst reserviert. Und nun, wo in Afrika die meisten Inzidenzahlen ziemlich auf dem Nullpunkt sind, scheint der viel beschworene Satz: „Wir müssen Leben retten“ offenbar nur für Corona-Tote im goldenen Westen und nicht  etwa für die alltäglich Verhungernden in Afrika, die Michael Jackson mit seinem Lied im Blick hat und wo er unsere Solidarität einklagt.

Die Heilsbotschaft Gottes in der Welt können wir alle von den Engeln hören und miteinander teilen. Entscheidend wird aber sein, dass die Heilung in der Welt tatsächlich allen und einem jeden zu Teil wird. Sonst bleibt die Botschaft der Engel vom Frieden und Wohlgefallen auf Erden eine reine Sprechblase.

Das Lied „Tochter Zion“ besingt die Freude an der Vision eines gerechten Königs und seines Friedensreiches. Mit Jesus hat dieses Reich begonnen. Aber die Freude darüber sollte uns Beine machen und uns so in uns arbeiten, dass das für alle Menschen auf dieser Welt erfahrbar wird. Amen