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Predigt 4. Advent 2020

Gnade und Friede sei mit uns allen von Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Amen

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder in Christus,

in einem kölschen Weihnachstslied – es heißt „Mir kumme us dem Morjeland“ wird beschrieben, wie mühsam damals der Weg der Waisen aus dem Morgenland zum Jesuskind war, aber auch wie groß die Freude und das Wohlbefinden war, als es ihnen leibhaftig gegenüber trat:

„su flöck jommer nit mih fott,

denn he jefällt et uns jot.“

„so schnell gehen wir nicht mehr fort,

denn hier gefällt es uns gut.“

Mühsame Wege – wir kennen das. Ähnlich wie die Weisen aus dem Morgenland sind ja auch wir in unserem Leben oftmals auf mühsamen Wegen unterwegs. CORONA erleben wir gerade besonders so. Wir sehnen uns nach einem Ende dieser Zeit, wo wir uns endlich wieder in die Arme fallen können und endlich keine Toten der durch Covid18 ausgelösten Wirkungen mehr beklagen müssen. Menschen der älteren Generation haben im Vergleich zu heute ganz andere Krisenzeiten erlebt. Jahre lang und weit entsetzlicher waren da die Durststrecken. Wer weiß, was uns noch alles bevorsteht und ob das womöglich erst der Anfang ist, auch wenn ein Impfstoff gefunden scheint. Der Impfstoff ist noch gar nicht verabreicht, da werden jetzt schon angeblich noch aggressivere mutierte Formen des Virus aus England gemeldet. Auch wenn ich persönlich Manches kritisch sehe im Blick auf den Umgang mit dem Virus und bestimmte getroffene oder nicht getroffene Maßnahmen, so ist doch unbestritten, dass es eine große Beschwernis ist, die wir gerade erleben und die sehr angsteinflößend ist, insbesondere auch was die Frage beruflicher Existenzen betrifft. Corona verneint unser ganzes Leben. Wir wissen nicht, was auf diesem mühsamen Weg noch alles folgt. Aber wir sind bedürftig in dieser dunklen Zeit nach Trost und Orientierung, nach Liebe und Geborgenheit. Und auch ohne Corona ist die politische Gesamtlage in der Welt enorm instabil. Nationalismen und Gewalt, Fundamentalismus, Alleinherrscher und Terror weit und breit. Auch sie sprechen ein Nein zu unserem Leben. Sie schaden ihm. Vielleicht geht es Euch ähnlich wie mir: Ich sehne mich nach einem Gott, der denen das Zepter aus der Hand nimmt, die ihre Macht missbrauchen. Überhaupt sehne ich mich in diesem NEIN zu unserem Leben nach Gott, nach seiner Solidarität, nach Frieden und Gerechtigkeit, nach Liebe und Geborgenheit, dass wir all das durch Gott irgendwo finden mögen, ja, dass es spürbar und erfahrbar wird für uns.

Wo das spürbar und erfahrbar wird, da fühlen wir uns wohl. Da wollen wir gerne in den Augenblicken und Räumen verweilen. Da gehen wir so schnell nicht mehr fort, wie die Weisen, die auch an der Krippe erst mal verweilen, nachdem sie dort angekommen waren.

Der Weg ist mühsam. Aber wir müssen aufpassen, dass CORONA mit seiner Lebensverneinung nicht nur unseren Körper, sondern auch unser Herz und unser Miteinander vergiftet und dass die Unfriedlichen und Menschenverächter in der Welt nicht auf Dauer die Oberhand gewinnen.

Wir müssen darauf achten, von welchem Geist wir uns leiten lassen wollen. Die Angst allein ist auf die Dauer kein guter Ratgeber. Auch sie vergiftet die menschliche Existenz und das menschliche Miteinander.

Wir mögen diese Zeiten und unsere Wege als Mühsal erleben. Aber entscheidend ist doch, in welcher Hoffnung ich unterwegs bin, mit welcher Erwartung. Meine eigene Erwartung – in welcher Erwartung lebe ich eigentlich?  Woraus und worauf hin lebe ich? Die Weisen aus dem Morgenland nehmen alles auf sich und bewältigen alles, weil sie eine ganz starke Motivation und Hoffnung haben, die sie anzieht und bewegt.

Für die Weisen aus dem Morgenland ist diese hoffnungsvolle Perspektive die Geburt Christi. Dabei geht es aber nicht um irgendein religionsgeschichtliches Ereignis, sondern darum, was Christi Geburt für sie existentiell bedeutet. Etwas, was sich gegen das große NEIN in dieser Welt stellt, gegen die vielen Lebensvernichtungen, gegen die Zerstörungen menschlichen Miteinanders.

Im für den heutigen Sonntag vorgesehenen Predigttext im 2. Korintherbrief, Kap. 2, Verse 18 – 22 versucht der Apostel Paulus auf den Punkt zu bringen, weshalb er überhaupt von Christus, den wir zu Advent erwarten und zu Weihnachten in unsere Welt gekommen ist, erzählt , also, was Christus für ihn überhaupt existentiell bedeutet: Da schreibt er den Korinthern:

„Auf Gott ist Verlaß und deshalb ist unser Wort an euch kein Ja und Nein zugleich. Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der von uns unter euch gepredigt worden ist, – durch mich, Silvanus und Timotheus -, der war nicht Ja und Nein zugleich, sondern in ihm wurde wirklich das Ja lebendig. Denn durch alle Verheißungen Gottes hindurch ist in ihm das Ja zu vernehmen. Darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe! Amen“.

Christus ist das Ja Gottes zu dieser Welt und ihren Menschen. Christus ist Bejahung des Lebens und der Menschen. Er ist Ermutigung zu einem Gelingen des Lebens.

Liebe Schwestern und Brüder, wenn man Christus in den Regalen von REWE suchen würde, dann müsste man ihn bei den JA-Produkten suchen. Er ist das Ja schlechthin. Das sagt Paulus hier ganz deutlich, ohne Wenn und aber – ein unumschränktes Ja. Das eigentlich entscheidende Wort der Weihnachtsbotschaft, das alles auf den Punkt bringt, ist das Wort „JA“ – Gottes „Ja“ zu uns Menschen. Gottes Ja gegen das Nein der Menschen. Gottes Ja gegen jedes nichtende Nein.

Nur ganze zwei Buchstaben. Ihre Bedeutung erfassen wir aber erst, wenn wir sie in unserem Leben durchbuchstabieren.

Und da komme ich zunächst einmal auf die Billig-Marke in den REWE-Regalen zurück. Schon mal darüber nachgedacht, warum diese Marke überhaupt „Ja“ heißt? Das haben die Verkaufspsychologen nicht ohne Grund so gemacht. „Ja“ ist positiv besetzt. Es verbindet sich mit guten Gefühlen. Es suggeriert dir ein gutes Gefühl, wenn Du das kaufst.

Und weil Du das gute Gefühl haben willst, kaufst Du es. So einfach und effektvoll ist das. Der Unterschied zwischen der Ja-Mandarinen-Dose aus dem Regal und Jesus Christus ist, dass ich bei der Dose nicht immer weiß, ob das, was darin ist, auch wirklich der Aufschrift entspricht und wirklich von guter Qualität ist.

Das ist bei Christus anders. Das Ja in ihm, sein Ja zu mir und dieser Welt, ist offenkundig und überdeutlich spürbar. Da wird nichts anders verpackt oder verkauft als es ist. Christus ist echt. Und noch ein Unterschied: Die Ja-Mandarinen-Dose, die mag meinen Hunger von einem Tag zum andern stillen oder meinen Appetit auf Mandarinen. Das Ja Christi ist hingegen nachhaltig. Das Ja Christi stillt meinen Hunger auf all meinen mühsamen Lebenswegen wie denen der Weisen, die alle Gefahren des Lebens auf sich nehmen mussten, um irgendwann am Ziel der Hoffnung anzugelangen.

Darum noch mal: n welcher Erwartung sind wir eigentlich unterwegs? Ja, wir können erwarten, dass diese Welt zusammenbricht. Damit würden wir das Nein siegen lassen, und dem Nein schon beugen, bevor wir den Weg überhaupt zu Ende gegangen sind.

Ich habe für mich gemerkt, dass die rechte Advents- und Weihnachtsstimmung irgendwie nicht so recht aufkommen will. Corona scheint sich wie ein eisenschwerer Schleier darüber gelegt zu haben. So eisenschwer, dass die Menschen drohen, ihren Glauben zu verlieren, ja, Corona ohne es zu wollen zum Gott zu erheben. Das ist mein Empfinden. Aber darum ist es umso nötiger, dass mein Blick und unser aller Blick nicht von CORONA weiter gebannt wird, sondern sich auf das Licht von Advent und Weihnachten hin ausrichtet, auf diesen Stern der Hoffnung der Welt und aus dieser Hoffnung und Bejahung lebt und nicht aus dem lähmenden Nein und all der lähmenden Schwer der auferlegten Verbote und ihrer erlebten Folgewirkungen.

Paulus redet vom Ja Gottes zu uns Menschen. Dieses Ja zieht mich jedes Jahr in der Advents- und Weihnachtszeit magisch an, wie das Licht im Dunkel – wie der Stern, der die Weisen angezogen hat. Und das gilt es heute zu erinnern und wachzurufen, so dass wir adventlich und weihnachtlich werden wie in all den sonstigen Jahren auch. Gott hat sein Ja gesprochen. Und dieses unbedingte Ja hat in allem Bestand, was mir widerfährt.

Was bedeutet mir dieses Ja? Dasselbe, was es Paulus bedeutet. Dasselbe, was es Euch wohl ebenso bedeutet. Ohne ein Ja zu uns sind wir nicht lebensfähig. Jede Negativpädagogik hält den Menschen klein und macht ihn lebensunfähig. Manch einer kennt das aus eigenem Erleben. Ich brauche Bestätigung, ein „JA“ zu mir, als Kind, als Jugendlicher, um der zu werden, der ich sein kann. Wenn ich nur ein Nein zu meiner Person höre, nur Ablehnung erfahre oder ständig auf schulische Leistung reduziert werde, dann werde ich der, der ich nie sein wollte und den Gott auch nie gemeint hat. Ein Frustrierter immer unzufriedener Mensch. Dann werde ich überhaupt nie – nie irgendjemand, allenfalls ein verängstigtes, verunsichertes etwas!

Umgekehrt würden dem ein oder anderen von uns sicher ein paar Ja-Geschichten einfallen, wo er oder sie erlebt hat, wie wichtig das „Ja“ ist:

Ich denke daran, wie ein Kind laufen lernt. Seine Arme sind weit ausgestreckt, ebenso wie die des Vaters oder der Mutter dem Kind entgegengestreckt sind nur mit wenigem Abstand entfernt zum Kind, oder aber von oben nur leicht gehalten. Und dann kommt der entscheidende Satz, das entscheidende Wort: “Ja, komm zu Papa, ja, das schaffst Du.” Es braucht diese Zutrauen und diesen Zuspruch der Eltern. Wir kennen das. Auch später beim Lernen des Radfahrens, genau dasselbe: “Ja, du schaffst das.” Ich glaube, dass dieses “Ja” der Eltern mit das Wichtigste im Leben eines Kindes ist: “Wir sagen ‘Ja’ zu dir, unabhängig von deiner Schönheit, deiner Leistungsfähigkeit oder Intelligenz. Unabhängig davon, ob du angepasst bist oder nicht.” Ohne dieses “Ja” der Eltern kann kein Kind sich ent­wickeln. Wie niederschmetternd und wenig aufbauend wäre es beim Lernen des Fahradfahrens den Ruf zu hören: „Du Trottel, bist du schon wieder hingefallen. Ich hab doch gesagt treten. Du wirst das nie lernen.“

Nein, bei diese Botschaft lernt man tatsächlich nichts. Sie würde mich nicht dazu führen, mich den  jeweiligen Herausforderungen des Lebens zu stellen und mutig zu bewältigen.

Ich persönlich hatte mal ein AHA-Erlebnis als ich im Alter von etwa 20 Jahren ein Praktikum bei der Diakonie in meiner Heimatstadt Duisburg-Rheinhausen machte. Da gab es etwas, das sich Jugendgerichtshilfe nannte. Eine Sozialarbeiterin des Diakonischen Werkes in betreute eine Familie. Da gab es einen Sohn von etwa 15 Jahren, der auf die schiefe Bahn geraten war – irgendein Diebstahl. Am Tag, als die Gerichtsverhandlung war, begleitete sie ihn beim Gerichtsprozess, für den sie zuvor auch einen schriftlichen Bericht lieferte. Deutlich wurde dabei, wie sehr der Junge, der ohne Vater bei der Mutter aufwuchs, immer wieder schlecht gemacht wurde von der Mutter mit Worten wie: „Du bist genauso wie dein Vater. Du wirst mal genauso enden wie der.“ Der Vater war Alkoholiker und drogensüchtig und wegen Beschaffungskriminalität im Knast gelandet. Die verzweifelte Mutter sagte das wohl nie in böser Absicht. Aber immer wieder erlebte der Junge diese Negativ-Aussagen und Negativprophezeiungen, die ihm nur Ablehnung vermittelten. Und was wurde daraus? Eben genau das, was die Mutter prophezeite, aber in Wirklichkeit nicht wollte. So schaffen Worte Wirklichkeit und prägen Menschenschicksale.

Aber verharren wir nicht bei den Verneinungsgeschichten, sondern kehren zu den JA-Geschichten zurück, die unser Leben schreibt. Wir spüren, dass solche “Ja-Geschichten” in unserem Leben unendlich wichtig sind. Da ist der beste Freund, der nach dem verschossenen Elfmeter einem zuflüstert: “Du, beim nächsten Mal klappt es.” Da ist der Lehrer, der einen trotz Unlustgefühl durch Lob motiviert. Ich hatte mal eine tolle Englisch-Lehrerin. Als ich aus damals unerklärlichen Gründen mal ganz schlecht in Englisch stand und nur mühsam besser wurde, verschaffte Sie mir einen Nachhilfeschüler zwei Klassen unter mir. Das motivierte mich enorm und ich wurde der beste Englisch-Schüler.

Da ist die Partnerin, die vor dem Traualtar öffentlich “Ja” zu mir sagt. Wir wissen, wie tragend dieses Ja der Liebe im Alltag sein kann und was für eine wertvolle Basis dieses beidseitig gesprochene „Ja“ nun auch im von Corona heimgesuchten und durcheinandergewirbelten oder erschütterten Familienalltag haben kann, wo Kurzarbeit und Homeoffice ist und die Kinder unbeschäftigt zuhause hängen usw. Wir wissen, wie groß die Belastungen im Augenblick für viele Familien sind. Ihr kennt das aus eurem eigenen Erleben. Da ist es wichtig, dieses zueinander gesprochene „Ja“ zu erinnern und wach zu halten. Es wird helfen auch zu dieser Situation „ja“ zu sagen und sie so positiv wie möglich zu gestalten und zu meistern. Das „Ja“ mit seinem langen Atem wird siegen und hat auch in zurückliegender Zeit in vielen Familien gesiegt.

Das alles sind Erlebnisse, die man nicht so schnell vergisst und die ermutigende Wirkung haben. Ja, wir haben alle eine unglaubliche Sehnsucht nach Ja-Geschichten, weil es eben so viele “Nein-Geschichten” gibt.

Zu unserem Leben gehören “Ja- und Nein-Geschichten”: streiten und versöhnen, zweifeln und glauben, geboren werden und sterben. Und wir leiden sehr unter dem „Nein“. Natürlich sind wir nur Menschen. Natürlich machen wir auch Fehler und wir können auch scheitern. Aber darauf reduziert mich Christus nicht. Im Gegenteil. Gerade da und dann richtet er mich auf. Jesus tat es so auch mit dem kleinen Zöllner Zachäus, der dadurch noch mal ganz anders über sich hinaus wuchs, als Jesus diesem raffgierigen Menschen mit verstehender und vergebender Liebe begegnet war und gerade zu ihm hielt und an dessen Tisch aß, als der wegen seiner Lebensweise von allen anderen verachtet und gehasst war. Nach so viel Ja zu seiner Person konnte Zachäus gar nicht anders als sein Leben zu ändern. Er gab alles den Armen zurück, was er von ihnen ausgepresst hatte, hören wir. Wir sehen an dieser biblischen Geschichte wie Gottes Ja zu uns unser Leben tatsächlich wandeln kann.

Wo andere ihr Nein zu mir sprechen oder mich klein halten wollen oder nur beherrschen wollen, spricht Christus sein aufrichtendes JA zu mir. Ich lebe aus seinem Zuspruch, aus seiner bejahenden Liebe – eben Weihnachten ist das Fest der Liebe. Paulus sagt es deutlich: „Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus war nicht Ja und Nein zugleich, sondern in ihm wurde wirklich das Ja lebendig.“ In allem, was er tat und lebte, können wir ergänzen. Gegen das zerstörerische Nein von CORONA, von Unfrieden und Gewaltketten, Ungerechtigkeit und Frauenverachtung, von Ausbeutung  und Zerstörung der Schöpfung, hat Gott in Christus sein großes JA gesprochen und damit für alle Zeiten hoffnungsvolle Zeichen gesetzt – ein „JA“ , das Bestand hat.

Deshalb wollen die Weisen aus dem Morgenland bei Christus so schnell nicht wieder weg. Bei der Liebe, die Ja zu mir und zu diesem Leben sagt und mich aufrichtet, bei der will ich doch gerne bleiben. Christus ist schon eine ganz besondere Marke. Sein JA zu uns Menschen ist nicht einfach eine Etikette wie auf den Dosen des Supermarkts. Sein JA zu uns Menschen, seine aufrichtende Liebe ist sein Markenzeichen. Ganz markant schreibt sich diese bejahende Liebe Gottes in unsere Seele ein.

Das ist die frohe adventliche auf Weihnachten zulaufende Botschaft für alle Mühseligen und Beladenen unter uns: Du bleibst nicht allein dem Nein in diesem Leben ausgeliefert, sondern bewegst dich in einer großen Ja-Dosis von Gottes Liebe.

In dieser Erwartung auf Gottes Ja zu uns Menschen können wir leben, können wir jetzt adventlich und weihnachtlich werden. Glauben heißt Ja sagen wider alles Nein in dieser Welt. Amen

Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel