Predigt über Markus 4, 35-41
Irgendwo ist immer ein Sturm, der das Leben durcheinanderwirbelt.
Liebe Festgemeinde, Schwestern und Brüder in Christus!
Wasser im Keller, In der Garage, im Gartenhaus, die Terrasse kam es hochgeschwappt bis ins Wohnzimmer. Gut, dass alle Familienmitglieder da waren und Sachen ins obere Stockwerk getragen haben. Der Nachbar hat eine Schmutzwasserpumpe und erst bei sich und dann bei den anderen gepumpt. Rettende Engel. Ein Hilferuf – und alle waren zur Stelle.
Starkregenereignisse und Hochwasser –
Sie gehören zu den Dingen, die wie ein Sturm das Leben von uns Menschen durcheinanderwirbeln.
Es war nur ein kleiner Knoten, eine kleine Geschwulst am Arm, aber der Arzt sagte: Wir müssen es untersuchen lassen, ein Stück Gewebe einschicken und auf den Befund warten. Tage voller Angst – wie wenn ein Sturm aufzieht – was wird sein, wie wird es ausgehen. Was wird kommen? Untersuchungen, Chemotherapie, Bestrahlungen. Angst wächst wie ein böses Geschwür, der Himmel verfinstert sich, ein Sturm kommt auf.
Einige Menschen aus unseren Gemeinden stellen sich gerade heftigen Krankheiten und gesundheitlichen Veränderungen: Autoimmunerkrankungen, Krebs, Arthrose, Demenz……. Wenn es da ist, wirbelt es das Leben durcheinander und saugt alle Energie weg. Es gibt gute Ärzt.innen, cleveres medizinisches Personal, Pflegehelfer.innen, Besuchsdienste. Rettende Engel, mit denen ich sprechen und denen ich meine Fragen stellen kann. Damit ich nicht untergehe, und mein Alltag einigermaßen weiterläuft wie ein alter Kahn.
Krankheit, ein Virus, eine Operation, altersbedingte Veränderungen, – sie bringen das Schiff unseres Lebens in raue See……
Aus der Zeitung habe ich es erfahren: Meiner Firma drohen Entlassungen. Werde ich dabei sein? Eine Betriebsversammlung ist anberaumt. Ich bin doch schon seit meinem 16. Lebensjahr hier – und jetzt soll ich die Abfindung nehmen und gehen? Oder das Verkaufshaus in meiner Stadt wird schließen – jetzt soll ich jeden Tag 30 km zur nächsten Dependance fahren? Wie dann meine Kinder, meine kranke Mutter noch versorgen?
Ich hole mir Hilfe – Betriebsrat, MAV, Arbeitsagentur, ein Anwalt. Meine Gedanken kreisen und die Gefühle flattern wie ein losgerissenes Segel im Sturm.
Wann sehe ich wieder Land?
Probleme in Schule, Ausbildung, Arbeit, beruflicher Umorientierung – sie können unser bisheriges Leben bedrohlich untergehen lassen…..
Meine Gemeinde, ein Ort, an dem ich zuhause bin. Sie verändert sich – wird unübersichtlich größer und verkleinert sich zugleich. Gebäude werden abgestoßen oder umgewidmet. Die Gemeindegliederzahlen sinken. Der Pastor ist für andere zuständig, die Pfarrerin geht weg. Meine Bezugsperson, mein Anlaufpunkt, der gute Ort für meine Seele. Ich bin enttäuscht oder auch ärgerlich. Vielleicht sollte ich auch austreten wie so viele? Aber wie soll es dann überhaupt noch weitergehen? Wie erlebe ich mich und die anderen in der Kraft des Glaubens an einen gnädigen Gott, wenn es keine Orte und Versammlungen mehr gibt?
Die Veränderungen in Kirche und Gesellschaft treiben uns um, und ich suche Kraft in meinem Glauben.
Wenn mich meine Glaube nicht mehr trägt oder er durch ein Ereignis schwer erschüttert ist – dann habe ich das Gefühl, Gott ist verschwunden und nicht mehr ansprechbar …….
Vier Beispiele, liebe Schwestern und Brüder in Christus.
Wir leben in stürmischen Zeiten.
Was sich da alles zusammenbraut.
Wohin steuert diese Welt? Vom Wahlausgang, der Klimaveränderung, von Konflikten, Kriegen, der Flüchtlingssituation und dem Wettrüsten mal noch gar nicht gesprochen.
Irgendwo ist immer ein Sturm! Irgendwo geht immer jemand unter. Irgendwo läuft immer ein Boot voll. Schlechte Nachrichten gibt es genug.
Wie halten wir dagegen? Das ist heute das Thema.
Zu den Miesmachern, Schlechtrednern, Untergangspredigern will ich nicht gehören.
Das Negative, die schlechten Nachrichten nehmen viel Raum in unserer Gesellschaft und auch in unseren Kirchen ein, daher ist der Blick auf das Gute und Hoffnungsvolle so wichtig. Ich will die Stürme, die Katastrophen, die uns bedrohen, nicht verharmlosen, ich will sie bearbeiten und Hoffnungsbilder, gelungenes Leben, rettendes Ufer voran stellen.
So lese ich die biblische Geschichte, die von einem großen Sturm erzählt und von den Jüngern Jesu, die in einem Boot sitzen. (Ich steige in dieses Boot und setze mich neben sie.)
35 Am Abend dieses Tages sagte Jesus zu ihnen: Wir wollen ans andere Ufer hinüberfahren. 36 Sie schickten die Leute fort und fuhren mit ihm in dem Boot, in dem er saß, weg; und andere Boote begleiteten ihn. 37 Plötzlich erhob sich ein heftiger Wirbelsturm und die Wellen schlugen in das Boot, sodass es sich mit Wasser zu füllen begann. 38 Er aber lag hinten im Boot auf einem Kissen und schlief.
Jesus liegt auf einem Kissen und schläft mitten im Sturm.
Während ich mir Sorgen mache, Unsicherheit und Angst empfinde, auch wenn Gott in meinem Leben eine Rolle spielt und ich Jesus an meiner Seite weiß –
Manchmal reicht das eben nicht.
Wenn etwas in mein Leben hereinbricht, mich verunsichert, wenn Entscheidungen gefällt werden müssen, es nicht so weitergeht, wie ich mir das vorgestellt habe und alles ins Schlingern gerät – dann möchte ich in meinem Glauben Kraft finden. Und ich hoffe, dass da jemand da ist, wirkmächtig, gegenwärtig.
Und ich frage mit den Jüngern im Boot, das voll Wasser läuft: Kümmert´s dich nicht, dass wir untergehen? Und viele schließen sich an mit der gleichen Frage, ein großer Chor mit dem immer gleichen Refrain: Kümmert´s dich nicht, dass wir untergehen?
– So fragen die Menschen nach den Überflutungen, nach der Diagnose, nach der Kündigung, in einem zu schließenden Kirchengebäude.
Irgendwo ist immer ein Sturm – und irgendwo scheint immer jemand zu schlafen ….. Oder eben nicht da zu sein – nicht spürbar da.
Aber: Jesus ist ja da. Mit in dem Boot, das heftig auf den Wellen schaukelt. Er hat sich nicht verborgen, er lässt sich nicht verleugnen. Er ist da.
Er ruht, so wie unser Glaube oft ruht.
Seien wir doch mal ehrlich – wie oft sind wir letztlich in die Kirche – diese oder andere gegangen?
Was hat unser Lebensglück mit der Gemeinschaft der Christen und Christinnen zu tun, zu der wir gehören?
Wann haben wir zuletzt Gutes gesprochen über Gott und über unsere Gemeinde?
Und trotzdem trauen wir uns das noch, was die Jünger damals taten?
Sie weckten ihn und riefen: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen? 39 Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich und es trat völlige Stille ein.
Irgendwo ist immer ein Sturm, der das Leben durcheinanderwirbelt, liebe Schwestern und Brüder in Christus, aber nur hier ist ein HERR über Wind und Wellen.
„Schweig, sei still!“
Ich habe im griechischen Text extra nochmal nachgeschaut.
Und da ist es eindeutig: Das „Schweig und sei still“ von Jesus ist an den Wind und die Wellen gerichtet.
Nicht an die schreienden Jünger: „Kümmerts dich nicht dass wir zugrunde gehen“ – und nicht an uns, die wir rufen:
„Gott, wo bist du? Und: Mach doch endlich, dass es besser wird?“
Nein, wir dürfen, wir können, wir sollen zu Jesus rufen. Ausdrücklich. Wo wir Menschen Gott aus dem Geschehen dieser Welt noch nicht verbannen und uns trauen, uns Jesus an unsere Seite zu wünschen, da liegen wir richtig!
Gott wird uns nicht vor dem Sturm bewahren, aber vor dem Untergehen. Wir haben sein Wort. Kümmert´s dich nicht, dass wir untergehen? Es hat ihn längst gekümmert. Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben nicht verloren werden, sondern das … Leben haben (Joh 3,16).
Mit einem mächtigen Wort, mit dem Wort des Lebens gegen den Tod, mit der Aussicht auf eine ewige Verbindung zum Heil und eine Aussöhnung mit allen erlebten Widrigkeiten des Lebens, schon längst gesprochen in die Welt und in alle Ewigkeit, mit dem Wort: Ich bin da dürfen und können wir leben!
„Ich möchte mich an den alten Versprechungen Gottes festhalten wie ein Ertrinkender an einer Schiffsplanke. Ich will darauf vertrauen, dass Gott größer ist als jede Welle und jeder Sturm, auch wenn das an meinem Leben nicht immer abzulesen ist. „Gerhard Schönauer, Bayreuther Dekan.
40 Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? 41 Da ergriff sie große Furcht und sie sagten zueinander: Wer ist denn dieser, dass ihm sogar der Wind und das Meer gehorchen?
Liebe Festgemeinde,
Das rettende Ufer gehört uns, obwohl unser Glauben, unsere Hoffnung oft noch nicht schwimmen kann.
Irgendwo ist immer ein Sturm, der das Leben durcheinanderwirbelt. – Ich suche nach dem, was außerhalb der stürmischen Zeiten passiert, oder schaue auf das, was sich nach dem Sturm (wieder) entwickelt.
Dazu eine wahre Geschichte:
Eines Morgens kam der Lehrer in die Klasse und ließ unangekündigt einen Test schreiben. Wie immer verteilte er die Aufgabenblätter mit dem Text nach unten. Und wie so oft murrten die Schüler. Doch als sie die Blätter umdrehten, waren sie überrascht.
Statt Aufgaben war nur ein schwarzer Punkt darauf zu finden, genau in der Mitte. „Schreibt einfach auf, was ihr auf dem Blatt seht“, sagte der Lehrer und setzte sich an seinen Tisch. Für einen Moment waren die Schülerinnen und Schüler unschlüssig, doch dann begannen sie zu arbeiten. Nach einer Weile sammelte der Lehrer die Testblätter ein und begann, die entstandenen Betrachtungen laut vorzulesen. Durch die Bank hatten alle Schüler über den schwarzen Punkt geschrieben: über seine Position in der Seitenmitte, über seine Größe im Verhältnis zum Papierformat und so weiter. Am Ende lächelte der Lehrer und sagte: “ Niemand hat etwas über den freien Raum um den Punkt herum geschrieben – über den weißen Teil des Papiers. Jeder hat sich auf den schwarzen Punkt konzentriert. Das Gleiche machen wir in unserem Leben. Wir haben ein weißes Blatt erhalten, um den Freiraum darauf zu nutzen und zu beschreiben. Aber wir haben immer nur die dunklen Flecken im Blick.“
Wir sind es, die immer nur auf die dunklen Flecken im Leben schauen. Nein, übersehen können wir die nicht.
Aber sie sollen unser Leben nicht bestimmen.
Wir rudern weiter, gegen die Wellen und wenn es sein muss mitten ins Auge des Sturmes.
Aber ich bin ja nicht alleine unterwegs.
Jesus ist mit mir, mit uns in einem Boot.
Und viele andere sind auch (noch) da.
Es wäre eine schöne, lohnende Aufgabe für uns Christ.innen in Ostheim, das Weiße auf dem Papier zu beschreiben. Den Freiraum und die Möglichkeiten, und nicht immer nur die dunklen Flecken.
Es gibt z.b. hier in Ostheim Wohnraum für unbegleitet geflüchtete Jugendliche, und zwischen Einigen von ihnen und einigen Ostheimer Menschen, die sie betreuen, hat sich schon richtig Freundschaftliches entwickelt, was ihnen wiederum ein Stück zuhause bietet.
Für die Behandlung eines Leidens kann sich jemand eine berufliche Auszeit nehmen und sich helfen lassen.
Eine Filiale wird jetzt doch nicht geschlossen. Aber inzwischen ist ein Betroffener im Betriebsrat und hat gelernt, sich für andere und sich selbst einzusetzen.
Die Pfarrstelle wird nicht mehr besetzt – aber die Verbliebenen Haupt- und Ehrenamtlichen tun alles, um die Kirche weiter als Ort des Lebens zu öffnen.
Gott wird uns nicht vor dem Sturm bewahren, aber vor dem Untergehen. Das tut er durch und mit Jesus Christus, seinen heiligen Engeln und durch dich und mich, wenn wir mit unserem Christsein die weißen Flächen beschreiben und füllen, statt immer auf die dunklen Punkte zu schauen. AMEN