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Abendmahl (copyright Sieger Köder)

Predigt für Sonntag, 31.07.2022

(Predigt gehalten von Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel in der Versöhnungskirche in Köln-Rath-Heumar und der Auferstehungskirche in Köln-Ostheim)

Die Gnade und der Friede Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder in Christus,

„Unser täglich Brot gib uns heute“ beten wir im Vater Unser. Der Satz in dem Gebet, das uns Jesus selbst ans Herz gelegt hat, zeugt von dem Bewusstsein, dass das, was uns satt und zufrieden macht, letztlich von Gott kommt, aber ebenso, dass das Brot in dieser Welt so unzureichend und ungerecht verteilt ist, dass es von denjenigen oder für diejenigen, die zu kurz kommen und unter Armut, Hunger und Ungerechtigkeit leiden, erbeten werden muss.

Dass ausreichend Brot auf dem Tisch ist, ist keine Selbstverständlichkeit. Wem sage ich das?! Viele von Euch haben Hunger und Entbehrung selbst erlebt.

Aber auch die Inflation bzw. Teuerungen für Produkte des alltäglichen Bedarfs und die exorbitante Steigerung von Energiekosten, die wir vor allem im Zuge der Verwicklungen in den Ukrainekrieg in diesen Tagen erleben, sind vielleicht nur die anfänglichen Vorboten von katastrophalen Mangelzuständen und Armut, von denen wohl die ältere Generation nie gedacht hätte, dass sie sie noch mal erleben würde.

Die Erfahrung, dass Brot nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist und die Frage, wie der Bedarf gedeckt werden und der Hunger gestillt werden kann, finde ich auch in dem für den heutigen Sonntag vorgesehenen Predigttext wieder.

Es ist die Geschichte von der sogenannten Speisung der Fünftausend. Sie wird uns in den Evangelien in unterschiedlichen Varianten erzählt. Ich habe die Variante aus dem Lukasevangelium ausgesucht. Dort im Lukasevangelium Kap. 9, Verse 10-17 hören wir:

„Und die Apostel kamen zurück und erzählten Jesus, welch große Dinge sie getan hatten. Und er nahm sie zu sich, und er zog sich mit ihnen allein in die Stadt zurück, die Betsaida heißt. Als die Menge das merkte, zog sie ihm nach. Und er ließ sie zu sich und sprach zu ihnen vom Reich Gottes und machte gesund, die der Heilung bedurften. Aber der Tag fing an, sich zu neigen. Da traten die Zwölf zu ihm und sprachen: Lass das Volk gehen, damit sie hingehen in die Dörfer und Höfe ringsum und Herberge und Essen finden; denn wir sind hier in der Wüste. Er aber sprach zu ihnen: Gebt ihr ihnen zu essen. Sie sprachen: Wir haben nicht mehr als fünf Brote und zwei Fische, es sei denn, wir würden hingehen und für alle diese Leute Essen kaufen. Denn es waren etwa fünftausend Mann. Er sprach aber zu seinen Jüngern: Lasst sie sich setzen in Gruppen zu je fünfzig.

Und sie taten das und ließen alle sich setzen. Da nahm er die fünf Brote und zwei Fische und sah auf zum Himmel und dankte, brach sie und gab sie den Jüngern, damit sie dem Volk austeilten. Und sie aßen und wurden alle satt; und es wurde aufgesammelt, was sie an Brocken übrig ließen, zwölf Körbe voll.“ Amen

Liebe Schwestern und Brüder, es gibt das schöne Bonmot: „Liebe ist das einzige, was sich vermehrt, wenn man es teilt oder verteilt“. Dieser Satz bringt die Botschaft dieser Geschichte voll und ganz auf den Punkt. Am Schluss bleiben sogar noch zwölf Körbe übrig. Auf der Ebene der Erzählung ein Sinnbild dafür, dass hinterher sogar noch mehr da war als zuvor. Im ersten Moment mag man da an Zauberei denken und Jesus für einen Zaubermeister halten. Abrakadabar und aus fünf Broten und zwei Fischen werden so viele Brote und Fische, dass nicht nur 5000 ernährt werden, sondern sogar noch Überfluss entsteht. Darin mögen viele das Wunder sehen: in Jesu geheimnisvollen, göttlichen Kräften – in seinen magischen Fähigkeiten, seinen Zauberkräften, die mal eben die Naturgesetze aus den Angeln heben und für ein kleines Wirtschaftswunder am Rande der Wüste sorgen.

Dass Jesus hier als Zauberer gehandelt hat, und darin das Wunder zu sehen wäre, wird uns in der Geschichte aber weder erzählt, noch nahegelegt. Darauf will diese Geschichte nicht hinaus. Uns wird auch kein Staunen darüber berichtet, dass Jesus dieses Wunder vollbracht hätte.

Wohl ist mit dieser Geschichte eine Erfahrung festgehalten, nämlich: Bei Jesus verliert sich mein Hunger. Bei Jesus werde ich satt. Aber wodurch geschieht das, wenn nicht durch Jesu magische Kräfte?

Es ist im Evangelium gesagt: „Da nahm er die fünf Brote und zwei Fische und sah auf zum Himmel und dankte, brach sie und gab sie den Jüngern, damit sie dem Volk austeilten. Und sie aßen und wurden alle satt.“

Offenbar war es also das Austeilen, das Miteinander Teilen, was alle in Jesu Gegenwart satt gemacht hatte, was Abhilfe geschaffen und den Hunger aller gestillt hat.

Hunger ist kein Schicksal. Es ist kein Naturzustand. Hunger ist gemacht. Ob damals in Folge des 2. Weltkriegs oder ob heute in vielen Ländern der Welt, die oft als sogenannte Dritte Welt bezeichnet wird. Einseitiger Getreideanbau für Futter unserer Tiere und Kraftstoffproduktion, während Menschen andernorts aus Mangel an Getreide verhungern. Billigtextilwaren und Getreidepreisspekulationen, nun erneut auch besonders im Zusammenhang  mit dem Ukrainekrieg, mit dem so viele im Augenblick gerne Geschäfte machen oder propagandistisch ausnutzen, kommen Menschen dort teuer zu stehen. Unsere Preise, die nicht wir persönlich gemacht haben, aber doch die Handelsinteressen von Unternehmen und die Politik westlicher und anderer Regierungen diktieren dort den Alltag in Armut und Hunger. Und zwischendrin hören wir aber immer wieder, dass die Weltbevölkerung so schnell und so sehr wachsen würde und dass das unser eigentliches Problem wäre. Da muss man schon fast zynisch fragen, ob da nicht ein dritter Weltkrieg eine willkommene Lösung wäre, zumindest aus der Sicht derer, die nur in Zahlen denken und ohnehin nie genug kriegen können.

Die Argumentation, es gäbe zu viele Menschen dafür, dass alle satt werden könnten, ist ein Ammenmärchen und so alt wie die Geschichte der Menschheit.

Das sagen ja auch die Jünger. Auch sie argumentieren mit der Überzahl der zu Sättigenden: Sie sprachen: „Wir haben nicht mehr als fünf Brote und zwei Fische, es sei denn, wir würden hingehen und für alle diese Leute Essen kaufen. Denn es waren etwa fünftausend Mann.“

Sie müssten also für alle Essen kaufen. Dann wäre das Problem vermutlich gelöst, so denken sie. „Wir müssen erst nur alles gentechnisch verändern, höhere Erträge bzw. Ernten erwirtschaften, dann brauche niemand Hunger zu leiden“, so wird heute ganz ähnlich argumentiert und uns manipulativ eingeredet. In Wirklichkeit ist es aber so, dass man ausgerechnet hat, dass allein das Getreide in der Welt heute vollkommen ausreichen würde, um alle heute lebenden Menschen ausreichend zu ernähren. Von all dem Obst und Gemüse, Fleisch und Fisch ganz abgesehen.

Hunger wird gemacht. Daran hängen Interessen. Es wäre genug da, aber es ist falsch oder gar nicht verteilt. Für mich ist diese Jesusgeschichte eine Anfrage an unser Wirtschaften, an unsere Sozialpolitik und auch an unsere augenblickliche Kriegspolitik, denn Friedenspolitik kann man das ja nicht mehr nennen. Aber die Jesusgeschichte ist auch Anfrage an unsere ganz persönliche Bereitschaft, zu teilen.

Nicht dass wir uns da missverstehen. Jesus vertritt ja hier keine Diktatur des Proletariats oder was auch immer. Es geht nicht etwa einfach um irgendeine Mangelverwaltung. Das scheint ja im Augenblick eher das Problem unserer Überflussgesellschaft zu sein, dass die Regierenden sich auf einmal mehr und mehr mit einer Mangelverwaltung konfrontiert sehen: Mangel an Holz, an Öl, an Gas, an Weizen, an Medikamenten und an was auch immer.

Mit der Geschichte der Speisung der Fünftausend wird nicht ein bestimmtes Wirtschaftsmodell propagiert, sei es das der Anhäufung von Gütern, sei es das einer Mangelverwaltung. Sondern die Geschichte stellt schlicht und einfach die Frage: Wie kann man vermeiden, dass Menschen in dieser Welt Hunger leiden oder durch das Elend von Armut umkommen müssen?

Mit dieser Frage wird ja Jesus von den Jüngern konfrontiert. Und er sucht ach Antwort. Übertragen könnten wir auch sagen: Gott selbst wird mit der Ungerechtigkeit und dem Hunger in dieser Welt konfrontiert und er sucht nach Antwort.

Und Jesus lässt die Menschen, denen der Magen knurrt, eine ganz besondere Erfahrung machen: Nämlich, dass der Ansatzpunkt zur Lösung des Problems das Teilen ist, wie das Teilen zugleich Sinnbild für das Leben an sich ist, Sinnbild für ein glückliches, gelingendes gemeinsames Leben.

Wie gelingt es Jesus, die Jünger auf den Geschmack des Teilens zu bringen? Nicht, indem er einfach nur alle abfüttern lässt, die Jünger also tatsächlich losschickt, um ausreichend Brot zu kaufen. Das wäre ja eine Möglichkeit gewesen.

Auch schickt er die Masse nicht einfach weg, wie es seine Jünger empfehlen. So heißt es ja im Text: Da traten die Zwölf zu ihm und sprachen: „Lass das Volk gehen, damit sie hingehen in die Dörfer und Höfe ringsum und Herberge und Essen finden.“ Das wäre doch ganz einfach gewesen, einfach wegschicken. Dann hat man mit dem Problem nicht mehr zu tun. Oder einfach verdrängen, wie das heute passiert. Einfach die Augen schließen, den Fernseher aus. Oder einfach gar nicht über all die Länder berichten, wo gehungert wird und Menschen unter Ungerechtigkeit leiden. Wo kein Kläger, da kein Richter. Oder einfach Armutsberichte der Bundesregierung oder anderer Institutionen schönfärben, wie das in den zurückliegenden Jahren immer wieder geschehen ist, statt die Zahlen und Nöte der Menschen ernst zu nehmen – ernst zu nehmen, dass sich hinter all diesen Zahlen Menschenschicksale in unserem Land verbergen.

Nein, abspeisen lassen will Jesus diese Menschen nicht, für die er sich verantwortlich fühlt. Was hätten die denken sollen, wenn er vom Reich Gottes erzählt und sie dann zum Brot essen nicht in dieses Reich einlädt, sondern nach Hause schickt – vielleicht auch noch mit dem zynischen Hinweis: „Jeder muss ein Opfer bringen“, wie er ja heute bei uns zum beflügelten Wort aus dem Munde derer geworden ist, die sich alles leisten können.

Nein, Jesus lässt die Menschen nicht abspeisen – weder durch Verdrängung und Ausblenden noch durch irgendwelche besonderen Spektakel. Das ist keine Show, die da abgeht. Das ist echtes Leben im Reich Gottes. Und da kommt es auf die Jünger, auf uns selbst an.

Denn, was passiert nun? Jesus lässt die Leute nicht nachhause schicken, dort hin, wo ohnehin bereits alle Hoffnungen begraben sind, denn nicht umsonst, sind sie ihm alle gefolgt. Und er lässt auch keinen Großeinkauf machen, um den Hunger zu stillen und seine Gefolgschaft zu sichern, wie das Diktatoren, Autokraten und Populisten machen.

Was passiert, ist vielmehr Folgendes:

Er aber sprach zu den Jüngern: „Gebt ihr ihnen zu essen!“. Jesus verweist die Jünger also auf sie selbst, darauf, dass sie gefragt sind und auf ihre Möglichkeiten, auch wenn sie nur gering sein mögen. Nein, Armut, Not, Hunger Ungerechtigkeit aufheben ist nicht nur Sache der Politiker oder der Regierenden oder des Sozialamtes oder des Jobcenters oder was auch immer. Es ist Frage an uns alle. Es ist vor allem Frage an unsere christliche Gemeinschaft und an uns selbst, an jeden Einzelnen auch mit seinen Potenzialen. „Nächstenliebe kannst Du nicht delegieren“ so hieß ein Schild, das in der Diakoniestation meiner Heimatstadt hing.

Da kann man nicht auf andere verweisen, wenn man in der Liebe, im Teilen selbst gefragt ist. „Er aber sprach zu ihnen: Gebt ihr ihnen zu essen.

Die Jünger sprachen schließlich: Wir haben nicht mehr als fünf Brote und zwei Fische.“ Nicht Jesus hat das am Ende ausgeteilt. Es waren die Jünger selbst – eine Feinheit, die in der Geschichte oft überlesen wird.

Es heißt: „Da nahm er die fünf Brote und zwei Fische und sah auf zum Himmel und dankte, brach sie und gab sie den Jüngern, damit sie sie dem Volk austeilten.“ Die Zeilen sind nicht Hinweis darauf, dass die Jünger hier nichts als Befehlsempfänger Jesu gewesen wären, sondern die Jünger sind es, die am Ende das Wenige, was sie haben, austeilen.

Was das für ein Glück ist und was das bewegt hat, wie das satt gemacht hat und wie die Liebe sich dadurch vermehrt hat, ja, wie das Wenige ganz viel wurde, kann nur derjenige nachvollziehen, der in der Zeit des Hungers im Krieg, in Kriegsgefangenschaft oder aber in der Nachkriegszeit von einem Anderen einmal ein Stück Brot geschenkt erhielt oder aber die Menschen, die vor einem Jahr die große Überschwemmungskatastrophe erlebt und alles verloren hatten und dann erlebten, wie zahlreiche wildfremde Menschen kamen, um zu helfen, weil sie sich gefragt fühlten. Zum kleinen Ort Schuld, davon erzählte mir das Ehepaar Gottschalk von unserer Gemeinde, die dort ein Ferienhaus haben, kamen Menschen sogar aus Holland und aus Dresden und Potsdam. Sie brachten Dinge, Gerätschaften und vieles Andere mit, vor allem sich selbst und ihre Zeit. Die Ortsbewohner haben in diesen Wochen mit all ihren Helfern, von denen viele dort heute immer noch in irgendeiner Form aktiv sind, ein Fest gefeiert. Offenbar blieben also noch 12 Körbe mit Brocken übrig, um das mal im Bild der Geschichte zu sagen. Das ist der Mehrwert des Teilens. Und eine Tafel der Menschen aus Dresden und Potsdam erinnert in anrührender Weise an diesen Mehrwert. Vor einigen Jahren gab es in diesen Regionen Ostdeuschtlands ebenso große Überschwemmungskatastrophen. Auf der Erinnerungstafel oder den Plakaten war zu lesen: Damals seid Ihr aus Nordrhein-Westfalen gekommen um uns zu helfen. Jetzt sind wir gekommen, um Euch zu helfen.

Jesus sagt: Ich bin das Brot des Lebens: Wer zu mir kommt, wird aufhören zu hungern, und wer an mich glaubt, wird aufhören zu dürsten. Das ist wahr – wo wir teilen, wird das Jesuswort Wirklichkeit.

Was wir teilen müssen ist nicht immer nur Geld. Heute ist vielleicht das ebenso oder viel Kostbarere die Zeit. Wobei man ja auch sagt Zeit ist Geld. Umso kostbarer, wenn diese geteilt wird. Ich möchte deshalb die Predigt mit einer Variante der Jesusgeschichte schließen, die aus der Feder des Theologen und Schriftstellers Lothar Zenetti stammt:

Bei ihm geht die Geschichte so: „Und Jesus sah eine große Menge Volkes, die Menschen taten ihm leid und er redete zu ihnen von der unwiderstehlichen Liebe Gottes.

Als es dann Abend wurde, sagten die Jünger: Herr schicke diese Leute fort, es ist schon spät, sie haben keine Zeit. Gebt Ihr ihnen doch davon, so sagte er, gebt ihnen doch von eurer Zeit!

Wir haben selber keine, fanden sie, und was wir haben, dieses Wenige, wie soll das reichen für so viele?

Doch da war einer unter ihnen, der hatte wohl noch fünf Termine frei, mehr nicht, zur Not, dazu zwei Viertelstunden.

Und Jesus nahm, mit einem Lächeln, diese fünf Termine, die sie hatten und die beiden Viertelstunden in die Hand. Er blickte auf zum Himmel, sprach das Dankgebet und Lob, dann ließ er austeilen die kostbare Zeit durch seine Jünger an die vielen Menschen.

Und siehe da: Es reichte nun das Wenige für alle. Am Ende füllten sie sogar zwölf Tage mit dem, was übrig war an Zeit, das war nicht wenig.

Es wird berichtet, dass alle ganz schön staunten.

Amen