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Predigt Karfreitag 02.04.2021

Kreuzworträtsel

(gehalten von Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel, gehalten in der Versöhnungskirche)

Die Gnade und der Friede Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Gottes sei mit uns allen. Amen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

meine Mutter gehörte vor einigen Jahren noch zu den Menschen, die gerne Kreuzworträtsel gemacht haben. Aber jetzt ist ihr das Leben zunehmend selbst zum Rätsel geworden. Sie ist seit mehreren Jahren dement. Und wie muss das erst für Jesus gewesen sein, der zum Opfer der Gewalten und zum Opfer von Gewalt geworden ist und von Anderen gekreuzigt wurde – völlige Sinnentstellung des Lebens. Wie kommt es, dass Menschen so etwas tun und wie verhält sich Gott dazu? Gibt es Sinn im Unsinn? Und wenn schon nicht das – wie ließe sich das Programm der Sinnlosigkeit wenden? Und wie mag Jesus selbst sein eigenes Leben und sein eigenes Leid gedeutet haben? All diese Fragen dürften die Evangelienschreiber beschäftigt haben, die uns die Kreuzigungsszene auf je recht unterschiedliche Weise erzählen. Nicht nur das. Auch werden von ihnen sehr unterschiedliche Worte, die Jesus ihrer Schilderung nach am Kreuz gesagt haben soll, überliefert.

Die Kreuzigung ist ein historisches Faktum, da sie auch in anderen außerbiblischen Quellen berichtet wird. Aber, was sich alles auf dem Weg zum Kreuz und am Kreuz ereignet haben soll und welche Worte Jesus da gesagt haben soll, kann weder historisch nachgewiesen noch verworfen werden. So sind uns die Worte Jesu auch so gesehen ein Rätsel – gewissermaßen ein Kreuzworträtsel: Ob er sie wirklich selbst so gesagt hat, oder ob sie ihm in den Mund gelegt worden sind. Rätselhaft oder zumindest geheimnisvoll erscheint einem vielleicht auch, dass es in den Evangelien zusammengezählt insgesamt genau 7 unterschiedliche Kreuzworte sind, die in den Evangelien vorkommen. Ja, in der Tat in der Bibel eine heilige Zahl, die in der Bibel meist eine Vollzahl, eine Vollendung, eine Vollkommenheit darstellen soll. Das hat eine gewisse Stimmigkeit damit, dass das letzte aus Jesu Munde überlieferte Kreuzwort lautet: „Es ist vollbracht“.

So sehr da etwas zu seinem Ziel gekommen ist, so rätselhaft bleibt doch dieses gekreuzigte Leben zugleich, wie das so vieler anderer Menschen auch. Insbesondere erscheint aber auch im Blick auf die konkret überlieferten Kreuzworte, wie sie sich zueinander verhalten und wie sie ein Ganzes ergeben. Also auch so gesehen – wahrlich ein Kreuzworträtsel.

Ich oder wir können nicht das Geheimnis dieses Rätsels lösen. Das wäre anmaßend. Da wären wir größer und wissender als Gott selbst. Da würden wir das Geheimnis des Lebens lüften. Aber wir können uns diesen Kreuzworten annähern und dabei in ihrer Tiefe viel Wahrheit und Lebenshilfe entdecken, egal ob sie so von Jesus tatsächlich so gesprochen wurden oder aber sehr wohl hätten gesprochen sein können.

Das wird eine lange Predigt, wie sie sich die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder nicht gewünscht haben – wenn es nach denen gegangen wäre, hätten wir ja gar keinen Gottesdienst gehabt, aber wenn schon mal absolute Ruhe und Stille verordnet ist, dann kann man auch mal ein bisschen länger nachdenken und dann hat man auch mal Zeit für eine längere Predigt. Man hat ja sonst nichts zu tun. Begeben wir uns also in dieses Kreuzworträtsel und versuchen wir uns diesen Kreuzworten anzunähern.

Als erstes Kreuzwort begegnet uns im Markusevangelium 15, 34 das Kreuzwort, das wir vorhin auch in der Lesung hörten: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Das hat Jesus also dem Markusevangelium gemäß gesagt. Eigentlich müssten wir sagen „gebetet“, denn es ist nicht einfach nur Ausdruck von Gottverlassenheit, sondern auch Zitat aus Psalm 22, den wir anfangs gesprochen haben. Das Markusevangelium ist von allen Evangelien das, was besonders wirklichkeitsnah und menschlich in seinen Schilderungen ist. Es zeigt uns das Leben und das Leben und Wirken Jesu, ganz unverschnörkelt so, wie es ist und dennoch oder gerade deshalb irgendwie geheimnisvoll. Tod und Leben, Leid und Liebe, Zweifel und Hoffnung liegen da ganz eng verbunden beieinander. Und so ist auch die im Markusevangelium geschilderte Gottesferne, die Jesus erlebt, nicht einfach nur nüchterne Beschreibung von etwas Erlebtem, von dem, was da gerade vor sich geht, sondern auch Frage – Frage nach Gottes Nähe, nach seiner Solidarität. Im Psalm 22 selbst finden wir das auch wieder. Es ist ein Ringen mit Gott. Ein Schütteln und Wachrütteln, ein Hineinrufen Gottes in die eigene Wirklichkeit. Der, der mir so fern erscheint, den brauche ich jetzt am meisten.

Der Psalm beginnt mit den Worten: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne. Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe.“ Aber gegen alle erlebte Anfechtung, Anfeindung und Verzweiflung will der Betende doch unbedingt festhalten an diesem Gott. Sein Klagen und Rufen soll ihn bewegen, auf den Plan rufen. Es ist nicht einfach Wort der Resignation, sondern leiderfüllter und leidenschaftlicher Hilferuf: „Hilf mir aus dem Rachen des Löwen und vor den Hörnern der wilden Stiere – ja, du wirst mir antworten“, heißt es da. Die Klage und Verzweiflung über die erlebte Gottesferne ist zugleich Ausdruck der Hoffnung auf Gottes Solidarität.

„Die Elenden sollen essen, dass sie satt werden. Die nach dem Herrn fragen, werden ihn loben“, heißt es da und: „Es werden sich zum Herrn bekehren aller Welt Enden. Denn des HERRN ist das Reich und er herrscht unter den Völkern.“ Der, der am Kreuz der Gewalt der Herrschenden ausgeliefert ist, vergewissert sich im Gebet, dass der HERR der Welt ein Anderer ist.

„Mein Gott, mein Gott, warum hast DU mich verlassen?“ ist für mich persönlich das elementarste Kreuzwort, denn darin können alle Leidenden der Welt einstimmen, können ich alle Leidenden wiederfinden. Diejenigen, die in Diktaturen ihrer Freiheit beraubt und verfolgt werden, die Asylsuchenden, die gesellschaftlich an den Rand Gedrängten, aber auch die von unheilbarer oder nur schwer heilbarer Krankheit Geschlagenen, die Trauernden und insbesondere auch die, die durch Corona einen Menschen verloren haben – „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ ist am Kreuz für sie alle gesprochen. Jeder kann seine eigene Gottesferne in diesen Worten am Kreuz wiedererkennen, ausgesprochen hören und damit doch zugleich angesprochen und getröstet finden, denn das sagt und hofft der Psalmbeter trotz allem: Gott hört uns, denn er ist und bleibt auf der Seite der Leidenden. Er hält meine Ohnmacht mit mir aus. Und er stellt sich dem Lebenswidrigen entgegen. Der an Gott gerichtete Verzweiflungsruf ist der größte Ausdruck von Gottvertrauen, den es geben kann und stärker als jedes vollmündig daher geplapperte Glaubensbekenntnis.

Im Lukasevangelium begegnet uns das zweite Kreuzwort. Es lautet: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Gemäß Lukas scheinen alle an der Passion und Kreuzigung Jesu beteiligten Personen nicht zu wissen, was sie tun und entweder wie blind, also verblendet zu sein wie ein Teil fanatischer Pharisäer und Schriftgelehrter oder der von ihnen aufgehetzte Mob oder selbst hilflose Erfüllungsgehilfen zu sein, wie Judas, der Jesus ausliefert oder die Soldaten, die ihren Dienst tun oder aber Verantwortungsträger, die bestimmten politischen Sachzwängen unterliegen, wie der römische Befehlshaber Pilatus, der sich nach seinem Urteil demonstrativ seine Hände in Unschuld wäschst. ‘Sie wissen nicht, was sie tun’. „Sie alle wissen nicht, was sie tun“ – so wird es im Lukasevangelium dargestellt. Das ist bei Lukas aber Ironie und soll keineswegs bedeuten, dass diese unschuldig seien. Und diese Ironie wird uns noch am ehesten deutlich und nachvollziehbar wenn man an die berühmte Entschuldigung oder den berühmten Spruch denkt, den viele Deutsche nach der Nazizeit auf den Lippen hatten: „Von den KZ’s usw. haben wir ja alle gar nichts gewusst“.

Springen wir in unsere Gegenwart. Da hören wir mahnende, nachdenklich stimmende Worte des Gesundheitsministers Spahn: „Nach dieser Corona-Zeit wird man sich viel vergeben müssen.“ Die Frage ist für mich, wer kann das? Lässt sich das anordnen? Einlagen? Oder ist vergeben nicht vielmehr etwas, was allein dem Geschädigten obliegt. Und von „müssen“ kann da doch wohl so nicht die Rede sein. Sich jetzt schon die Absolution für nicht wahrgenommene Verantwortung oder politische Fehler mit existenzzerstörender Auswirkung zu holen gleicht da einem unaufrichtigen Katholiken, der heute kräftig sündigt, weil er davon ausgeht: morgen geh ich zur Beichte und der liebe Gott oder Priester verzeiht mir das sowieso.

Wir alle tragen Verantwortung führt uns Lukas in seinem Evangelium vielmehr vor Augen, so gern wir die auch verdrängen oder leugnen mögen als wenn wir nicht wüssten, was wir tun oder wie wir es anders tun könnten. Wir werden aus dieser Verantwortung nicht entlassen. Und das ist auch das Tragische, was ich in dieser Corona-Zeit als besonders negativ erlebe. Viele wollen keine Verantwortung übernehmen. Nicht nur die, die keine Maske tragen oder keinen Abstand halten oder sich die Hände nicht desinfizieren etc., sondern auch ganz andere nicht. Als ich wegen der Durchführung unserer Kinderfreizeit im Sommer letzten Jahres eine Anfrage beim Ministerium von Nordrhein-Westfalen gestartet habe, welches Recht, also welche Corona-Schutzverordnungen denn für die Durchführung der Kinderfreizeit gelten würden, also dänische oder nordrhein-westfälische, da der Betreiber des Hauses behauptete die dänischen Regeln seien anzuwenden, bekam ich schließlich zur Antwort, dass wir uns von einem Anwalt beraten lassen sollten, um zu klären, welches Recht gilt. Das war ein Offenbarungseid, wie wenig Ministerien oder Ministerialbeamte bereit sind, an Entscheidungsverantwortung zu übernehmen und das von sich wegschieben, zumal auch unser eigens extra entwickeltes Hygieneschutzkonzept vom Ministerium ignoriert wurde. Oder kürzlich war in der Seniorenwohngemeinschaft, wo meine Mutter wohnt der Virus ausgebrochen. Von 12 Bewohnerinnen, waren sechs infiziert, eine ist gestorben, eine schwebt derzeit noch zwischen Leben und Tod, die anderen vier sind mittlerweile wieder guter Dinge. Meine Mutter musste wie die anderen auch die ganze Zeit über im Zimmer verbleiben und verstand als Verwirrte nicht, warum und fühlte sich eingesperrt. Der eigentliche Punkt ist aber, dass das dortige Gesundheitsamt sich zwei Wochen zuvor angemeldet hatte, um Impfungen im Haus durchzuführen, dann aber wieder abgemeldet hatte mit der Begründung, die Wohngemeinschaften seien bei den rechtlichen Regelungen gar nicht vorgesehen, sondern nur Pflegeheime, dass man also zu ihnen nicht rauskommen würde, sondern sie privat Termine machen müssten. Absurd, denn die Situation in der Wohngemeinschaft ist exakt dieselbe wie im Pflegeheim, zum größten Teil stark pflegebedürftige Menschen und fast alle dement. Ich habe mir ausgemalt, meine Mutter wäre verstorben. Ich hätte das Gesundheitsamt und den Gesetzgeber dazu verklagt. Selbst wenn das so im Gesetz steht, verbietet niemand de Gesundheitsamt auch zu solchen Wohngemeinschaften hinaus zu fahren. Aber niemand will Verantwortung übernehmen. Vergebung wird man dafür nicht einklagen können. Sie kann allenfalls durch die gewährt werden, die die Opfer sind. Aber uns zeigen diese Beispiele, dass eine Kreuzigung und auch Corona und der Umgang mit Corona mehr als ein Betriebsunfall ist. Es geht um Verantwortungsübernahme und wo sie nicht wahrgenommen wurde, kann nur noch Vergebung einen Weg in die Zukunft weisen. Wenn wir nicht vergeben folgt Frust dem Frust, Gewalt der Gewalt, Tod dem Tod. „Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Wir merken, wie sehr wir der Gnade Gottes bedürfen, um eine Zukunft zu haben. Wenn die Anhänger Jesu ein Gemetzel unter denen, die den Tod Jesu herbeigeführt hatten, angerichtet hätten, dann hätte es nie ein Ostern, nie eine Auferstehung, nie ein Christentum gegeben, nie eine Auferstehung des Friedens. Ostern hat die Gewalt des Kreuzes gebrochen und sie vergeben.

Und so ist auch das dritte Kreuzwort ein Vorgriff auf Ostern, wenn man so will. Ebenso im Lukasevangelium spricht Jesus einem der beiden Mörder, die mit ihm gekreuzigt werden zu: „Wahrlich ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Ein ungeheuer Zuspruch, der einem Menschen, der auf den Tod zugeht, alle Angst nehmen kann. Dieser eine der beiden Schwerverbrecher hatte unmittelbar zuvor seine Schuld bekannt, hat also seine nicht wahrgenommene Verantwortung und seinen Verstoß gegen Gottes Gebote eingestanden und Jesus um Fürsprache bei Gott gebeten. Dies und die Reaktion Jesu sollen uns verdeutlichen, dass das Kreuz Umkehr eröffnen soll. Wenn wir auf das Kreuz schauen, es nüchtern betrachten, dann erschüttert es uns und hilft uns zur Umkehr zum Leben, genauso wie uns Corona erschüttert und hilft, uns bewusst zu machen, wie elementar die Gemeinschaft und das menschliche Miteinander ist und um wieviel wertvoller uns schützenswerter es ist als Vieles andere in unserem Leben, wie etwa ein rücksichtsloses Wirtschaften, das einen Angriff darauf darstellt.

 Lied 91, 4-6 „Herr Stärke mich, dein Leiden zu bedenken“

 Predigt Teil 2

Auch das vierte Kreuzwort finden wir im Lukasevangelium. Jesus sagt: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände“. Es bedeutet nicht, dass Jesus seinen Geist aufgeben will, wohl aber, dass er sich in die Liebe Gottes ergibt, ihr ganz hingibt.

Zwischen Widerstand und Ergebung – so könnte man die Erfahrungen auf den Punkt bringen von Menschen, die schwer krank sind oder sich im Sterbeprozess befinden. Dietrich Bonhoeffer, der ähnlich wie Jesus seinen Weg konsequent zuende gegangen ist und für und in seinem Glauben im KZ gestorben ist, hatte dort ebenso in einem seiner letzten Texte von Widerstand und Ergebung gesprochen. Kampf dem Übel, aber auch irgendwann Fallen lassen in Gottes Arme. Sich Gott hingeben, ihm ergeben, sich von ihm führen lassen verleiht vielen Kranken oder auch sterbenden Menschen eine innere Ruhe in all ihren Schmerzen, die ihnen so kein Medikament geben kann. Ja, gerade wo Schmerzmittel nicht hinreichen und der Schmerz gar kein körperlicher , sondern ein seelischer ist, tut es gut zu sagen: „Gott, ich kann mir nicht selbst den Weg bereiten. Zeig Du mir den Weg und führe mich an deiner Hand. Reich mir deine Hand, die mich stärkt, wo ich mich so verloren und alleine fühle.“ Jesus sagt: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände“ Er weiß um unsere Krankheiten und Schmerzen, hat es selbst durchgemacht. „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich all unsre Schmerzen“ heißt es im Prophetenbuch Jesaja vom sogenannten Gottesknecht. Das ist eine Vorstellung von einem Messias, von einem von Gott gesandten König der Liebe, der mit uns leidet und darin ganz anders ist als die üblichen Weltenherrscher, die doch nur auf sich selbst schauen. In den Evangelien wird dargestellt, dass genau das mit Jesus zur Erfüllung gekommen ist. „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen.2 Ich kann mich bei Gott, bei Christus damit fallen lassen und mich mit all dem ganz ergeben.

Chor: „Fürwahr, er trug unsre Krankheit“

 Predigt Teil 3

Je mehr wir den Kreuzworten weiter folgen, desto mehr führen Sie uns nicht in den Tod, sondern ins Leben. Mehr und mehr werden sie ein Vorschein von dem, was noch aussteht, von dem, was noch kommt und was Gewalt oder auch der Tod nicht nehmen können. Die letzten drei Kreuzworte stehen ganz in diesem Licht. Wir finden sie alle drei im Johannesevangelium. In Vers 26 u. 27 heißt es da: „Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: „Frau, siehe, das ist nun dein Sohn“. Dann sprach er zu dem Jünger: „Siehe, das ist nun deine Mutter!“ Und von der Stunde an nahm der Jünger sie zu sich.

Ich bin dem Evangelienschreiber des Johannesevangeliums so unendlich dankbar für diese Passage. Denn wie tröstlich ist das! In Gesprächen mit Angehörigen von Verstorbenen erlebe ich oft, wie auf einmal ganz andere Menschen und Begegnungen für sie wichtig werden, die es vorher nicht waren. Und was wir hier hören ist Gemeinschaftsstiftung noch mitten in Jesu Sterben. Und ich muss an einen Film denken, der heißt Smoke und spielt in einem New Yorker Tabakwarenladen und erzählt von verschiedenen Menschen, deren Wege sich dort kreuzen und zusammenführen. Alle sind Ersatzbeziehungen. Alle haben in irgendeiner Weise Verluste erlebt, aber finden Menschen, die an deren Stelle treten. Niemand ist ersetzbar. Das ist gewiss. Aber es gibt doch das wundervolle Erleben, dass etwas ganz neues, ganz Anderes wird. In dem Film wird zum erzählt, wie ein Teenager in einer Wohnung einer älteren alleinstehenden erblindeten Dame einbricht. Die bemerkt ihn und denkt, es sei ihr Enkelsohn, der endlich mal zu Besuch kommt, aber bisher nie von sich hören ließ. Der einbrechende Teenager ist ganz verdutzt und es rührt ihn so an, dass er den Enkelsohn spielt und die ältere Dame schließlich öfters besucht.

Tot bleibt nicht tot. Gott ist ein großer Gemeinschaftsstifter und das sollte uns gerade auch in Coronazeiten bewusst bleiben.

Dann folgt das wohl kürzeste Kreuzwort Jesu. „Mich dürstet“ sagt er. Und uns erscheint das in einem doppelten Lichte. Einmal ist es ein Wort konkreter Bedürftigkeit und tatsächlich füllte man einen Schwamm mit Essig und hielt ihm den an den Mund. Und entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis wollte man ihn damit nicht quälen oder verhöhnen, sondern es war wohltuend. Ähnlich wie man bei Schwerkranken oder Sterbenden die ausgetrockneten Lippen mit Wasser oder Margarine benetzt. Neben dieser konkreten Bedürftigkeit, hören wir aber auch

die tiefere Dimension dieses Wortes: Jesus hat es immer nach Gerechtigkeit und Frieden gedürstet und er hat sich dabei mit Anderen solidarisiert. Es ist letztlich ein Durst nach dem Schauen Gottes von Angesicht zu Angesicht. Das soll von Gott aus Wirklichkeit werden.

Und schließlich sagt Jesus dann zuallerletzt: „Es ist vollbracht.“  Was ist vollbracht? Kann man fragen. Es sind zwei Dinge, die in einem vollbracht sind, die ein und dasselbe sind: Das Werk der Offenbarung Gottes ist vollbracht – Gott, der sich uns zeigt, wie er ist und das Werk der Liebe Jesu ist vollbracht. Gott zeigt sich in der Liebe Christi. Jesu leidenschaftliche Liebe hat ihn ans Kreuz geführt, aber sie hat da nicht ihr Ende gefunden. Die Liebe Jesu lebt auf in seiner Auferstehung. Die Liebe und der Friede Jesu, wie er es gelebt und verkörpert hat, wird durch Gott ins Recht gesetzt. Gott steht auf gegen die erlittene Gewalt und durchkreuzt die Endgültigkeit des Kreuzes. Genau das werden die Jünger Jesu erleben. Sie werden erleben, wie es nicht beim Tod bleibt, sondern dass sich der Friede Gottes, ja, sein Wille zum Frieden, sich seinen Weg sucht. Drei mal werden sie den Auferstandenen zu sich sprechen hören. „Friede, sei mit Euch!“. Der Friede wird wieder neu in ihr Leben treten und sie aus ihrer Einsamkeit hinter verschlossenen Türen herausführen. „Es ist vollbracht“ ist das letzte Kreuzwort. Jesus ist diesen Weg gegangen, damit der Friede Gottes am Ende siegt. Amen

Chor „Dona nobis pacem“