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Predigt vom 15. August 2021

(gehalten von Pfarrer Dr. Gerhard Wenzel in der Auferstehungskirche in Ostheim und in der Versöhnungskirche in Rath-Heumar)

Die Gnade und der Friede Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen!

Liebe Schwestern und Brüder in Christus, der für den heutigen Sonntag vorgesehene Predigttext aus dem Epheserbrief ist in dreifacher Hinsicht eine Zumutung, zunächst einmal was die Länge des Bibelabschnitts betrifft, dann was die Verstehensschwierigkeiten des Textes selbst betrifft, und schließlich auch, was die Konsequenzen für uns selbst heute betrifft.

Es wäre ein Leichtes gewesen, den  Text einfach zur Seite zu legen und einen anderen Bibeltext für die Predigt zu nehmen. Aber so kommt man ja auch im wirklichen Leben nicht weiter, wenn man den Schwierigkeiten immer nur aus dem Weg geht. Also stellen wir uns besser mal dieser Herausforderung – diesen Zumutungen.

Der Epheserbrief ist wahrscheinlich nicht vom Apostel Paulus selbst geschrieben worden, sondern von einem Paulusschüler. Er schreibt in Kap. 2, Verse 1-10 Folgendes an die Gemeindemitglieder in Ephesos:

„Auch euch hat Gott zusammen mit Christus lebendig gemacht. Ihr wart nämlich tot – tot aufgrund der Verfehlungen und Sünden, die euer früheres Leben bestimmten. Ihr hattet euch nach den Maßstäben dieser Welt gerichtet und wart dem gefolgt, der über die Mächte der unsichtbaren Welt zwischen Himmel und Erde herrscht, jenem Geist, der bis heute in denen am Werk ist, die nicht bereit sind, auf Gott zu hören. Wir alle haben früher so gelebt; wir ließen uns von den Begierden unserer eigenen Natur leiten und taten, wozu unsere selbstsüchtigen Gedanken uns drängten. So, wie wir unserem Wesen nach waren, hatten wir – genau wie alle anderen – nichts verdient als Gottes Zorn. Doch Gottes Erbarmen ist unbegreiflich groß! Wir waren aufgrund unserer Verfehlungen tot, aber er hat uns so sehr geliebt, dass er uns zusammen mit Christus lebendig gemacht hat. Ja, es ist nichts als Gnade, dass ihr gerettet seid! Zusammen mit Jesus Christus hat er uns vom Tod auferweckt, und zusammen mit ihm hat er uns schon jetzt einen Platz in der himmlischen Welt gegeben, weil wir mit Jesus Christus verbunden sind. Bis in alle Ewigkeit will er damit zeigen, wie überwältigend groß seine Gnade ist, seine Güte, die er uns durch Jesus Christus erwiesen hat. Noch einmal: Durch ´Gottes` Gnade seid ihr gerettet, und zwar aufgrund des Glaubens. Ihr verdankt eure Rettung also nicht euch selbst; nein, sie ist Gottes Geschenk. Sie gründet sich nicht auf ´menschliche` Leistungen, sodass niemand ´vor Gott` mit irgendetwas großtun kann. Denn was wir sind, ist Gottes Werk; er hat uns durch Jesus Christus dazu geschaffen, das zu tun, was gut und richtig ist. Gott hat alles, was wir tun sollen, vorbereitet; an uns ist es nun, das Vorbereitete auszuführen.“ Amen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus, ein nicht gerade einfacher Text. Das deutete ich ja schon an. Bei manchen Sätzen oder Begrifflichkeiten mögen wir da nur noch Bahnhof verstehen. Wenn ich aber jetzt fragen würde, welche drei Begriffe sind denn bei euch vom Text her noch am ehesten hängen geblieben, dann würdet Ihr vermutlich alle gleich antworten: Tod, Leben, Gnade. Diese drei Begriffe kommen am häufigsten vor. Um diese drei Dinge dreht sich der Text irgendwie.

Nur wissen wir so wenig zu den Hintergründen der damaligen Zeit, dass wir uns schwer vorstellen können, was sich für die Menschen damals konkret damit verband.

Auch nach längerer Beschäftigung mit dem Text und wissenschaftlichen Auslegungen dazu muss ich sagen, dass da Manches im Dunkeln und spekulativ bleiben muss, was die Situation der damals Angesprochenen betrifft.

Es ist auch keine Frage, dass der Briefschreiber hier in sehr allgemeinen Bildern und Begriffen schreibt. Er will etwas Grundsätzliches sagen.

Dem möchte ich mich gerne mit Euch nun ein wenig annähern.  Der Schreiber spricht von einem früheren und einem jetzigen Zustand, die er gegenüber stellt: Früher wart Ihr tot. Jetzt seid Ihr lebendig, schreibt er den Gemeindemitgliedern im Epheserbrief.

Das ist das erste Schwierige im Verstehen. Was soll das heißen? Was soll das sein? Wir leben heute so diesseitsbezogen, dass wir nie auf die Idee kämen, zu sagen, dass wir früher einmal tot waren und jetzt leben. Nein, das Leben hier scheint für die meisten alles zu sein und dann kommt der Tod. Die Reihenfolge wäre für viele heute also eher umgekehrt.

Es ist klar, dass der Paulusschüler hier einen inneren Prozess anspricht und nicht irgendeine biologische Aussage treffen will. Innerlich waren die Epheser früher tot und dann lebendig geworden? Aber wie das? Woran hat das gelegen?

Haben sie zu wenig geschlafen? Oder hatten sie Depressionen wegen Corona? Oder waren sie einfach lebensmüde?

Nein, all das wird nicht als Grund benannt. Es scheint eher um die Art ihrer Lebensführung zu gehen, um ihre Lebenseinstellung und ihren Lebensentwurf. Jedenfalls spricht der Paulusschüler das hier an und nichts Anderes. Da nimmt er kein Blatt vor dem Mund: „Ihr wart nämlich tot – tot aufgrund der Verfehlungen und Sünden, die euer früheres Leben bestimmten.“ Was konkret diese Verfehlungen und Sünden waren, benennt er leider nicht. Das bleibt im Dunkeln, ist aber zum Verstehen seiner Gedankengänge nicht wirklich notwendig, denn was er sagen will, wird bei der Gegenüberstellung doch zunehmend deutlicher. Er schreibt: „Ihr hattet euch nach den Maßstäben dieser Welt gerichtet und wart dem gefolgt, der über die Mächte der unsichtbaren Welt zwischen Himmel und Erde herrscht, jenem Geist, der bis heute in denen am Werk ist, die nicht bereit sind, auf Gott zu hören.“

Den „Maßstäben der Welt“ stellt er das Hören auf Gott gegenüber. Das sind also für ihn die beiden Pole, zwischen denen sich die Epheser damals bewegt haben. Und wo sie lebendig geworden sind, sich also wegbewegt haben von den „Maßstäben der Welt“ und hinbewegt haben zum Hören auf Gott. Es wurde bei ihnen offenbar erkennbar, dass sie auf Gott Hörende wurden.

Ist das Weltflucht, Weltfeindlichkeit, die er den Ephesern da ans Herz legt? Ist für ihn die Welt so böse, dass er dem Leben in der Welt ein Leben mit Gott gegenüberstellen will? Das wäre in etwa dasselbe Denken wie bei christlichen Fundamentalisten heute oder auch wie bei islamischen Fundamentalisten. Die wollen alle mit der bösen Welt aufräumen. Ob im Iran oder dann bald auch in Afghanistan. Da wird alles, was auch nur irgendwie weltliches Leben ist oder menschliches Bedürfnis ist, unterdrückt, zurechtgestutzt, verboten, eingeengt. Ein Gottesstaat mit Sharia, einer Moralpolizei. Das wäre doch Hören auf Gott statt nach den Maßstäben der Welt zu leben.

Da wäre der Schreiber des Epheserbriefes mit seinen Gedanken also in bester oder schlechtester Gesellschaft mit islamischen und christlichen Fundamentalisten, wo er die Maßstäbe der Welt und das Hören auf Gott und Gottes Handeln so stark gegenüber stellt. Oder etwa doch nicht?

Ich glaube, dass das, was er sagen will, eine tiefere spirituelle Dimension hat, die für den Einzelnen sogar befreiend ist und nicht beherrschend wie die Diktatur eines Gottestaates oder das Diktat der vielen Gesinnungspädagogen wie sie heute oft im politischen oder medialen Raum umherschwirren.

Dem Schreiber geht es nicht um eine grundsätzliche Verneinung der Welt, sondern nur um die Befreiung aus Abhängigkeiten dieser Welt und einem rein materiellen Denken. Wir und das Leben sind mehr als nur Materie und auch mehr als die Werte, die auch in der heutigen Gesellschaft unser Leben dominieren wollen. Und da wird nun die Beschäftigung mit dem Text des Epheserbriefes spannend und der Paulusschüler wird auch etwas konkreter. Er beschreibt diesen Prozess der Verinnerlichung der gesellschaftlichen Werte und Abhängigkeiten und schließt sich dabei selbst mit ein:

„Wir alle haben früher so gelebt; wir ließen uns von den Begierden unserer eigenen Natur leiten und taten, wozu unsere selbstsüchtigen Gedanken uns drängten. So, wie wir unserem Wesen nach waren, hatten wir – genau wie alle anderen – nichts verdient als Gottes Zorn.“ Ich will das mal in unsere Zeit übersetzen, damit diese Zeilen über die Begierden usw. etwas verständlicher werden. Das System, das heute Mensch und Natur ausbeutet, funktioniert nur deshalb, weil wir alle es mitgetragen und uns ihm unterworfen haben, weil wir unser Leben damit nämlich ganz gut eingerichtet haben. Meine Begierde ist es, eine Mango essen zu wollen. Jedenfalls redet mir das eine Stimme in mir ein, dass das wichtig wäre für mein Leben. In Wirklichkeit ist das natürlich die Stimme der Werbung. Wie kommt die Mango hierher? Die schwimmt ja nicht mal eben selbst über den Ozean oder fliegt selbst durch die Luft. Die wird vielmehr von Schiffen und Flugzeugen hierher gebracht. Nachtflugverkehr in Köln ist die Folge und Ausbeutung von Menschen in den Herkunftsländern und Schädigung des Klimas. Nach den Maßstäben der Welt ist das alles gut, denn das gibt ja wirtschaftlichen Erfolg und die Freiheit, ein Bedürfnis zu befriedigen, in dem Fall eine Mango essen zu können, gehört zu den höchsten Werten in unserer Gesellschaft, genauso wie „Haste was, biste was“ , „Jeder ist sich selbst der Nächste“ usw.. Das ist ja nicht die Welt an sich, die das so sagt oder die schlecht wäre, sondern das sind verinnerlichte Werte weltlicher Mächte und Strukturen, die viele von uns bewusst oder unbewusst gut heißen.

Und da ist die Botschaft des Paulusschülers aufdeckend: Wir haben Anteil an dem Zerstörerischen, weil wir uns leiten lassen von Begierden und „selbstsüchtigen Gedanken“ – so formuliert er. Ich weiß nicht, ob man es von der damaligen Gesellschaft des Paulusschülers sagen kann, aber von der heutigen Gesellschaftsform kann man es auf jeden Fall sagen: Es ist eine selbstsüchtige Gesellschaft. Die Menschen sind süchtig nach ihrem Selbst. Das Selbst, was auch immer das genau ist, dominiert alle Lebensbereiche, auch den des Verkehrs. Das Auto, was aus dem griechischen übersetzt nichts Anderes heißt als „selbst“ – vermüllt zunehmend Land und Städte. Daran ändert auch das Elektroauto nichts. Das ist weiterhin Blechlawine des Individualverkehrs. Auto-nomie im wahrsten Sinne. Das Selbst bestimmt heute alle Lebensbereiche.

Und nun kommt die besondere Botschaft des Paulusschülers, die damals und heute gilt. Die Entdeckung deines Selbst, die Befreiung deines Selbst und das Glücklichsein deines Selbst geschieht aber nicht durch all diese Dinge. Nein, da stecken wir vielmehr nur in den Abhängigkeiten unserer Begierden und Bedürfnisse, die gerne immer wieder von der Werbeindustrie und mit medialen Mitteln angefacht werden, sondern dein Selbst, dein Ich kommt ganz anders zu sich selbst und zu einem glücklichen, gelungenen Leben, nämlich, indem es zu Gott kommt, auf Gott hört. Und das ist gar nicht mal deine Leistung, sondern das ist etwas, wo Gott eine Brücke zu Dir schlägt. Das ist die besondere spirituelle Botschaft des Paulusschülers. Er nennt das die Gnade Gottes. In einer gnadenlosen Gesellschaft, die in Betrieben und sonst wo die Kuh bis zum letzten melkt, bevor sie sie nur auf den Müll schmeißt ist die Gnade Gottes ein Fremdwort aus der Sicht der meisten. In Wirklichkeit aber das lebensnotwendige Korrektiv und Befreiung. Sie sagt uns, wir leben nicht nur durch unsere Leistung, sondern durch die Liebe Gottes, durch sein geschenktes Leben und seine voraussetzungslose Solidarität mit uns. Wer bei uns nichts mehr leistet, fliegt schnell aus dem System. Das sind die sündigen Maßstäbe der Welt. Das ist in der Tat bei Gott anders und das befreit das Selbst von jeglicher menschlichen oder weltlichen Fremdherrschaft.

Das Neue in unserem Leben, ja die Befreiung kommt also von Gott selbst. Das will der Paulusschüler mit seinen Worten sagen, wenn er schreibt: „Ja, es ist nichts als Gnade, dass ihr gerettet seid! Zusammen mit Jesus Christus hat er uns vom Tod auferweckt, und zusammen mit ihm hat er uns schon jetzt einen Platz in der himmlischen Welt gegeben, weil wir mit Jesus Christus verbunden sind. Bis in alle Ewigkeit will er damit zeigen, wie überwältigend groß seine Gnade ist, seine Güte, die er uns durch Jesus Christus erwiesen hat. Noch einmal: Durch ´Gottes` Gnade seid ihr gerettet, und zwar aufgrund des Glaubens. Ihr verdankt eure Rettung also nicht euch selbst; nein, sie ist Gottes Geschenk. Sie gründet sich nicht auf ´menschliche` Leistungen, sodass niemand ´vor Gott` mit irgendetwas großtun kann. Denn was wir sind, ist Gottes Werk.“ So der Paulusschüler.

Vor Gott müssen wir uns nicht beweisen, wie wir es vielleicht manchmal vor dem eigenen Vater oder dem eigenen Vorgesetzten oder bei Lehrern in der Schule tun müssen oder uns abverlangt wird. Er hat andere Maßstäbe als die Welt. Er kennt Gnade und das was uns nun also vom Paulusschüler gegenüber als tot und lebendig gegenübergestellt wird, ist einmal das tote Vegetieren, das keine Gnade kennt und über Leichen geht und auf der anderen Seite ein Leben mit Gott oder in Christus, wie der Schreiber das sagt: das lebendige Leben, wo du zu Dir selbst und zu deiner eigentlichen Zweckbestimmung als Mensch kommst. In den Gemeinden soll das sichtbar werden und so gesehen ist Gottes Gnade für uns auch eine Zumutung, jedoch im positiven Sinn. Für jeden ganz persönlich und für unsere Gemeinde wie damals in Ephesus. Gott will uns Mut machen aus der Gnade zu leben. Die Gnade soll überall sichtbar werden.

Was heißt das konkret? Konkret heißt das aus meiner Sicht: In unserer Kirche und in unseren Gemeinden dürfen nicht die betriebswirtschaftlichen und bürokratischen Perspektiven regieren und leiten und schon mal gar nicht allein. Leiten lassen müssen wir uns durch Christus, denn mit ihm sind wir auferweckt, haben wir selbst eine Zukunft bei Gott. Alles andere wäre tot. Wir müssen uns da von den „Maßstäben der Welt“ unterscheiden, wie es im Epheserbrief heißt. Und aus der Gnade Gottes leben würde auch bedeuten, dass wir bei uns anders mit Menschen umgehen, die Fehler haben oder Fehler machen oder auch mit Krankheiten von Mitarbeitenden, als wie das in unserer Gesellschaft getan wird. Wir müssen mit den Unvollkommenheiten des jeweils Anderen und mit seinen Grenzen leben lernen in diesem kleinen „Biotop für Bekloppte“, wie ich in begrifflicher Aufnahme von Jürgen Becker immer gerne auf die Gemeinde bezogen sage. Dieses „Biotop für Bekloppte“ ist zugleich auch der Raum, wo Gottes Gnade leben muss und will. Als Gemeinde aus der Gnade leben tun wir auch dort, wo wir wie in der Arche oder bei anderen Projekten oder als einzelne Christen in der Gemeinde uns Menschen zuwenden, die gesellschaftlich am Rande stehen mögen, aber unsere Zuwendung brauchen: Wohnungslose, Flüchtlinge, krankheits- oder altersbedingt vereinsamte Menschen und viele andere mehr. Wer das erlebt, erlebt, dass er zu der Gemeinschaft der Lebenden gehört.

Gottes Gnade bleibt für uns eine Zumutung, die sichtbar werden will in der Art und Weise, wie wir unser Leben führen. Wo das nicht mehr sichtbar ist, treten Menschen aus der Kirche aus, weil sie keine Relevanz für ihr Leben spüren. Wo aber die Sichtbarkeit der Gnade und dass der Geist Gottes die Kirche regiert, deutlich greifbar wird, da treten sie ein oder nehmen neugierig geworden wieder Tuchfühlung auf. Wir sind sicher nicht die Gnade Gottes, aber wenn wir zeigen, dass wir aus ihr leben, wird Christus selbst für Menschen sichtbar. Deshalb hat uns der Paulusschüler das mit den folgenden Worten ans Herz gelegt: „Gott hat uns durch Jesus Christus dazu geschaffen, das zu tun, was gut und richtig ist. Gott hat alles, was wir tun sollen, vorbereitet; an uns ist es nun, das Vorbereitete auszuführen.“ Die Zumutung von Gottes Gnade verhelfe uns dazu! Amen