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Predigt zum Sonntag Exaudi 21.05.23 über 1. Sam.3, 1-10

Predigt aus der Auferstehungskirche Ostheim vom 21.05.2023 von von Prädikantenanwärterin Ulrike Plath

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Liebe Gemeinde,

„Gott hat immer ein offenes Ohr für dich.“, das steht auf der Internetseite einer christlichen Medien-Stiftung. Das ist eine tröstliche Zusicherung auf die Bitte aus Psalm 27 hin, die dem heutigen Sonntag Exaudi (d.h. „höre“) seinen Namen gibt: „Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe.“

Wenn wir beten, wünschen wir uns, dass Gott uns hört. Aber wünschen wir uns manchmal nicht auch, dass wir Gottes Antwort oder Zusage tatsächlich hören? Damit wir ganz sicher sind, dass Gott uns gehört hat? Geht Ihnen das auch so?

Aber wie würde sich das überhaupt anhören, wenn Gott direkt zu uns sprechen würde? Würde Gott überhaupt in klar verständlichen Worten sprechen?

Lassen Sie diese Fragen mal einen Moment wirken …..

 

Der Predigttext für den heutigen Sonntag handelt genau davon: wie das ist, wenn jemand Gott sprechen hört. Davon, wie Gott Samuel ruft und ihn zum Richter und Propheten des Volkes Israel be – ruft.

Dieser Text ist einer von den neuen Pflichttexten, die wir seit dem Kirchenjahr 2018/19 nach und nach kennenlernen. Er ist relativ unbekannt, deshalb lohnt es sich, mal ein wenig genauer hin zu hören, was da passiert. Er steht im 1. Buch Samuel, Kap 3, 1-10, hier aus der Bibel in gerechter Sprache:

1 Der Junge Samuel also stand im Dienst Gottes unter der Aufsicht Elis. Das Wort Gottes war selten zu dieser Zeit, Gesichte waren nicht verbreitet.

2 Eines Tages nun geschah dies: Eli lag schon an seinem Schlafplatz, seine Augen hatten angefangen, trüb zu werden, so dass er nicht mehr sehen konnte.

3 Die Gotteslampe war noch nicht erloschen.

Und Samuel lag im Tempel Gottes, wo sich der Gottesschrein befand.

4 Da rief Gott Samuel. Der sagte: »Da bin ich!«

5 Und er rannte zu Eli und sagte: »Da bin ich! Du hast mich ja gerufen.«

Der aber sagte: »Ich habe dich nicht gerufen. Lege dich wieder hin!« So ging er und legte sich hin.

6 Und Gott rief noch einmal: »Samuel!« Da stand Samuel auf, ging zu Eli und sagte: »Da bin ich! Du hast mich ja gerufen.« Der aber sagte: »Ich habe dich nicht gerufen, mein Sohn. Lege dich wieder hin!«

7 Samuel hatte Gott nämlich noch nicht kennen gelernt, ihm war noch kein Wort Gottes offenbart worden.

8 Dann rief Gott Samuel zum dritten Mal. Der stand auf, ging zu Eli und sagte: »Da bin ich! Du hast mich ja gerufen.« Da begriff Eli, dass es Gott war, der den Jungen rief.

9 Und Eli sagte zu Samuel: »Geh! Lege dich hin! Wenn dich dann jemand ruft, sag: Rede, Gott! Dein Getreuer hört ja.« Da ging Samuel und legte sich an seinen Platz.

10 Und Gott kam, stellte sich hin und rief wie die andern Male: »Samuel! Samuel!« Da sagte Samuel: »Rede! Dein Getreuer hört ja.«

Zusammengefasst ist die Handlung ziemlich einfach:

Gott ruft einen Jungen namens Samuel, der glaubt, der Rufer sei sein Lehrer, der Priester Eli. Er geht zu ihm, und wird wieder weggeschickt, denn der Lehrer hatte ihn nicht gerufen. Eli begreift beim dritten Mal, dass es Gott ist, der Samuel ruft, und sagt seinem Schüler, wie er antworten soll. Beim vierten Ruf gehorcht der Schüler entsprechend.

In dieser Kürze klingt das irgendwie unspektakulär….

Was verbirgt sich da also alles? Was macht den Text wertvoll für die Menschen seiner Entstehungszeit und für uns heute?

Zuerst einmal:

In was für einer Zeit geschieht die Szene zwischen Gott, Samuel und Eli?

Das Wort Gottes war selten zu dieser Zeit, Gesichte waren nicht verbreitet. Also: Gott ist den Menschen nicht wichtig, Visionen von Propheten kennt man so gut wie nicht mehr.

Die Bibel selbst beschreibt diese Zeit an anderer Stelle mit den Worten: jeder tat, was er wollte. Selbst die Priester richten sich nicht mehr nach den Regeln, die Gott für ihre heilige Aufgabe und für die Gemeinschaft aller Menschen vorgeschrieben hat.

Ich finde das hochaktuell. Wo ist Gottes Stimme heute im Alltag zu hören? Beziehungsweise: wer spricht noch öffentlich über Gott anstatt über Kirchenskandale? Fast ist Gott aus dem allgemeinen öffentlichen Leben verschwunden, selbst wir hier in den Kirchen werden immer weniger. In den Medien braucht es mittlerweile Erklär-Videos, damit die Menschen verstehen, warum gerade welcher Feiertag ist. Gläubige, egal in welcher Religion, scheinen mittlerweile der Sonderfall zu sein.

Aber all dies ist – wie wir gehört haben – nichts neues.

Zweitens:

Wann genau ruft Gott nach Samuel?

Nicht tagsüber oder z.B. während einer Mittagsruhe, sondern In der Nacht: Die Gotteslampe war noch nicht erloschen steht da. Die Gotteslampe brannte in einem Tempel normalerweise während der ganzen Nacht bis zum Morgen. Dafür zu sorgen, war eine der Pflichten der Priester.

 Drittens:

Wo befinden sich die drei Akteure?

Das wird vorher erzählt: Alles findet statt im Heiligtum für Gott Jahwe in Schilo, etwa 40km nördlich des heutigen Jerusalem. Schilo war das zentrale Heiligtum der Israeliten, bevor der Tempel in Jerusalem gebaut wurde. Dort befanden sich die wichtigsten Kultgegenstände der Wüstenwanderungszeit: das Begegnungszelt, d.h. die Stiftshütte, und der Gottesschrein, d.h. die Gotteslade oder Bundeslade. Die Menschen pilgerten deshalb nach Schilo zu Wallfahrten und jährlichen Festen. So machten es auch Samuels Eltern.

Samuel selbst ist der Beweis für Gottes Gegenwart und Gottes Hinhören hier an diesem Ort:

Samuels Mutter Hanna betete hier zu Gott Jahwe in großer Verzweiflung um einen Sohn. Dieses Kind wollte sie im Gegenzug Gott weihen. Und Gott hörte hier ihr Gebet und antwortete ihr, indem er ihre Bitte erfüllte. Noch als Kleinkind brachten die Eltern den Jungen zum obersten Priester Eli nach Schilo. Hannas Versprechen zu erfüllen war wiederum ihre Antwort auf Gottes Hören und Antworten, auf die Erfüllung ihres Wunsches.

Viertens:

Wo genau befindet sich Samuel in dieser Nacht?

Und Samuel lag im Tempel Gottes, wo sich der Gottesschrein befand. Den Gottesschrein, die Bundeslade, bauten die Israeliten nach göttlicher Anweisung auf ihrem Weg durch die Wüste (vgl. 2.Mose 25). Solche Kisten oder Truhen mit mehr oder weniger Schmuckwerk und Verzierungen gab es vor drei- bis viertausend Jahren in vielen Religionen. In ihnen befanden sich Kultobjekte wie heilige Steine, Götterstatuen und Gottesbilder. In den Truhen trug man diese spirituellen Gegenstände auf Reisen oder in Schlachten mit sich als Schutz und Kraftquelle oder man bewahrte sie darin auf, bis man sie an Feiertagen öffentlich anbetete.

Da eines der ersten Gebote Gottes für die Israeliten das Bilderverbot war, kann sich in der Lade in Schilo keinerlei Gottesbild von Jahwe befunden haben. Kein Bild kann wiedergeben, wie die Gottheit aussieht, die zu Mose gesagt hatte: Ich heiße Gott-Ich-bin-da. Ich verspreche mit diesem Namen: Ich bin, ich war und ich werde sein – immer so, wie ihr Menschen mich braucht. (vgl. 2. Mose 3)

Gott ist vielfältig und immer wieder anders. Kein Bild kann abbilden, dass Gottes Güte so weit reicht, so weit der Himmel ist und Gottes Wahrheit so weit die Wolken gehen.

Die Bibel sagt nicht, ob sich zu Samuels Zeit die Steintafeln mit den 10 Geboten in der Lade in Schilo befanden. Auf jeden Fall war der eigentliche Inhalt der Gotteslade nicht sichtbar: Schon diese Truhe an sich steht für Gottes Bund mit den Menschen und für das Versprechen von ewiger Treue, für Gottes Vielfalt, für Gottes Anwesenheit. Das kann man nicht hören. Akustisch ist in der Lade Stille. Aber in der Stille ist Gott. Ganz nahe bei Samuel.

Das kennen wir auch aus anderen Bibelstellen: Gott erscheint oft an Orten und in Zeiten von Reduzierung, Leere, Stille: in der Wüste, in der Einsamkeit, in Ausnahmesituationen.

Wüstenzeit nennen wir heute Zeiten tiefster Krisen, wenn unser Leben tatsächlich oder indirekt bedroht wird und wir auf das Grundsätzliche des Lebens zurückgeworfen werden: z.B. in Krankheiten, bei tiefgreifenden Veränderungen, wenn uns der Halt im Leben abhanden kommt – dann finden Menschen zu Gott oder erleben ihren Glauben neu. Vielleicht, weil sie dann offener sind für Gottes Nähe als im normalen Alltag.

Stille ist auch eine Voraussetzung für spirituelle Kontemplation oder Meditation. Das Freimachen von Lärm, ablenkender Fülle, hindernden Gedanken ist ein Weg, der zu einer Begegnung mit Gott führen kann.

Aber Samuel muss all dies nicht durchmachen oder tun. Gott hat ihn erwählt und ruft ihn. Einfach so.

Nach der Geschäftigkeit des Tages ist es auch im Heiligtum still geworden. Eli und Samuel haben sich zur Ruhe gelegt. In der Stille kann Samuel wahrnehmen, dass er bei seinem Namen gerufen wird.

Es heißt: Da rief Gott Samuel. Der sagte: »Da bin ich!«  Und er rannte zu Eli und sagte: »Da bin ich! Du hast mich ja gerufen.« Der aber sagte: »Ich habe dich nicht gerufen. Lege dich wieder hin!« So ging er und legte sich hin.

Samuel hat Gottes Stimme noch nie vorher gehört und glaubt daher, dass der alte, blinde Eli ihn ruft. So wie der das wahrscheinlich öfter am Tag tut. Und Samuel ist ein gehorsamer und hilfsbereiter Junge, der sofort aufsteht, um dem Ruf zu folgen.

Dreimal schickt ihn Eli zurück ins Bett – so wie man einen quengelnden Jungen zum Weiterschlafen überreden will, der nachts plötzlich am Bett der Eltern auftaucht. Haben Sie da nicht auch gleich Bilder im Kopf? Die eigenen Kinder im Schlafzimmer? Oder Ihr eigener Kinder-Blick auf die plötzlich geweckten Eltern? Die waren öfter nicht erfreut. Eli ist es vielleicht auch nicht.

Es wird uns leicht gemacht, uns diese fast familiäre Szene vorzustellen.

Und das passiert dreimal: Samuel weckt den vielleicht zunehmend genervten Eli und begreift nicht, was passiert.

Damit Samuel erkennt, wer ihn tatsächlich anspricht, braucht er die Hilfe seines Lehrers. Eli erklärt Samuel nicht nur, dass es Gottes Stimme ist, die er da hört. Er sagt dem Jungen auch, wie er Gott antworten soll. Geh! Lege dich hin! Wenn dich dann jemand ruft, sag: Rede, Gott! Dein Getreuer hört ja.

 Also nicht nur einfach: Rede, Gott!, obwohl selbst das ja schon ein großer, bedeutender Satz ist.

Eli hat begriffen, worum es hier geht und lehrt Samuel zwei Dinge:

Zum einen: Da redet Gott zu dir, und du musst hinhören. Aber Samuel soll außerdem auch sagen:

Dein Getreuer hört ja.

Eli lehrt Samuel: Sei und bleibe ein Getreuer Gottes. Samuel soll mit diesen Worten zustimmen Gottes Diener zu sein, sein Leben ganz Gottes Weisung zu unterwerfen, zu hören, was Gott sagt und tun, was Gott von ihm verlangt.

In vielen Bibelübersetzungen steht statt Getreuer hier Knecht oder Diener. Aber als Knecht oder Diener muss man nur stur die Regeln befolgen. Bei Samuels Aufgabe geht es aber um mehr:

Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt, so heißt es bis heute im Schma Jisrael, im „Höre, Israel“, dem wichtigsten Gebet der jüdischen Religion. Diese uralten Worte aus der Thora beteten schon Samuel und Eli und sie werden bis heute täglich gesprochen. Und viele Jahrhunderte nach Samuel zitiert auch Jesus von Nazareth diese Worte als wichtigstes Gebot für den Dienst an Gott.

Dein Getreuer hört!  Diese bedeutsame Antwort soll Samuel Gott geben. Ein Treueschwur, der Herz und Seele und das ganze Gemüt betrifft, vervollständigt seine Berufung. Deshalb kommt jetzt der Höhepunkt der Geschichte:  Und Gott kam, stellte sich hin und rief …

Und jetzt gibt es mindestens zwei Möglichkeiten, das zu deuten:

Entweder: Gott ist nicht genervt wie Eli. Gott, ewig geduldiges Elternteil, Schöpfungsliebe und Menschentreue in Person, gibt nicht auf, Samuel zu rufen. Gott macht einfach solange weiter, bis es klappt mit der Antwort.

Oder: Viermal ruft Gott – so oft, wie Schriftzeichen in dem Gottes-Namen sind, den gläubige Jüdinnen und Juden nicht aussprechen. J-H-W-H.

Als – symbolisch gesehen – die vier Zeichen vollständig sind, ruft deshalb Gott Samuel nicht nur, sondern erscheint selbst. Gott stellt sich hin und ist gegenwärtig an Samuels Bett.

Das ist ein so unvorstellbar heiliger Moment, dass nur Samuel Gott im Halbdunkel sehen darf. Selbst der Priester Eli würde sterben, wenn er das mitansehen könnte. Aber zum Glück ist er blind.

Wer die Krönung in London vor ein paar Wochen live verfolgt hat, konnte so etwas Ähnliches miterleben: Die eigentliche Salbung von König Charles mit Öl aus Jerusalem wurde als so heilig betrachtet, so voller Gottes Gegenwart, dass dieser Akt durch die höchsten Priester hinter blickdichten Wandschirmen vorgenommen wurde, nicht sichtbar für die Öffentlichkeit.

Im Predigttext, in der heiligen Schrift, wird ein heiliger Moment beschrieben. In absichtlich gestalteten Worten voller Symbolik wird gesagt:

Es war Gott, der Samuel berief. Das war ein heiliger Akt. Alles, was Samuel als Prophet, Richter und Lenker des Volkes Israel sprach und tat, kam von Gott.

Daraus entwickelte sich die Geschichte Gottes mit uns Menschen weiter bis hin zu Jesus und bis hin zu uns.

Wenn hier also nicht unbedingt wahre Fakten erzählt werden, sondern vor allem symbolische heilige Handlung …  … Ja, aber dann können wir doch alle oberflächlichen Details in Frage stellen:

– vielleicht wurde Samuel gar nicht in in Schilo, sondern an einem andern Ort berufen, um die Geschicke des Volkes Israel zu leiten.

– vielleicht erklang Gottes Stimme einfach im Traum eines Kindes, das auf heiligem Boden lebte und eine Empfänglichkeit für Gottes Gegenwart entwickelt hatte.

– vielleicht war Samuel gar kein Kind mehr, als das alles geschah, und Eli war gar nicht blind.

– Vielleicht hörte Samuel keine menschliche Stimme, die er mit Elis verwechselte. Sondern vielleicht nahm Samuel Gottes Ruf in irgendeiner anderen Form, Art oder Weise wahr.

Aber ob alles nun tatsächlich genau so stattgefunden hat, oder nicht, ist nicht wichtig:

Was bleibt, ist eine Botschaft dieses Textes auch für uns heute:

Gott und die Menschen führen Gespräche miteinander. Wir können Gott hören. Gott spricht und ruft dabei nicht unbedingt mit menschlicher Stimme – wir müssen offen dafür sein, dass Gottes Stimme unendlich vielfältig ist. Wir können sie mit allen Sinnen wahrnehmen und in allem finden, das die Welt und das uns erfüllt. Und Jesus von Nazareth hat uns deutlich gemacht, dass Gott in jedem Mitmenschen anwesend ist. Es gibt immer jemandem, dem wir zuhören sollten. Denn es kann sein, dass wir Gott hören.

Ich glaube, dass viele Menschen verlernt haben, das zu hören, was Gott immer wieder neu vermitteln will: Güte und Treue und das Versprechen, immer da zu sein.

Zu viele Menschen haben in zu vielen Jahren und Jahrhunderten nicht hingehört und tun es auch heute nicht. Systeme des Kolonialismus, der Unterdrückung und der Diskriminierung basieren immer darauf, dass Menschen in ihrer von Gott gegebenen Würde, in ihrem heiligen Menschsein nicht gehört werden.

Wir hier als Teil der Kirche haben  vielleicht in unserer Zeit die Aufgabe, nicht nur hin zu hören, sondern auch im Sinne Gottes zu sprechen und zu  handeln, Gottes Stimme und Gottes Hände zu sein – von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt.

Und wir dürfen hoffen und vertrauen, dass Gott dabei mit uns ist und war und immer sein wird.

Und Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der öffne unsere Herzen und Sinne, und stärke unsere Liebe. Amen